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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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sehen, meistens schwer wurde, ihr tägliches Brod zu erwerben, ließen es sich
nicht nehmen, diese schwache Seite des geistlichen Standes besonders ein¬
gehend zu behandeln, da sie alle Ursache hatten, mit Neid auf eine Men¬
schenklasse zu blicken, der es trotz privilegirten Nichtsthuns gelang, die co¬
lossalsten Reichthümer aufzuhäufen. Eine besonders reich fließende Einnahme¬
quelle war für die Geistlichkeit die Abfassung und Vollstreckung der Testa¬
mente. Es war eine alte Sitte, in Testamenten den Armen ein Legat aus¬
zusetzen , welches dann von der Kirche verwaltet wurde. Dieser an sich lobens-
werthe Gebrauch ward aber bald die Veranlassung zu Uebelständen. Einer-
seits machten die Priester, welche dem Kranken am Todbette Beistand leiste¬
ten, die Legate an die Armen bald zum Gesetz und zur Pflicht. Sie ver¬
weigerten demjenigen, der sich ihren Anordnungen widersetzte, die Absolution
und die Sterbesacramente, ja, sie gingen so weit, ihn vom Begräbniß in
geweihter Erde auszuschließen. Verschiedene Concilbeschlüsfe setzten fest, daß
sämmtliche Testamente entweder von Geistlichen aufgesetzt, oder doch nach
ihrer Abfassung der geistlichen Behörde des Ortes vorgelegt werden sollten.
Andererseits machten die Priester sich nur zu oft aus bloßen Verwaltern
zu Eigenthümern der hinterlassenen Schätze. So entstanden reiche Klöster
und Kirchen, während die Armen, denen die Legate galten, im Elend ver¬
kamen. Unzählige Male sprechen sich die Troveors mit Entrüstung über
diesen Mißbrauch aus. In komischer Weise und mit wahrhaft feinem Witze
wird die Sucht der Geistlichen, sich durch Testamente zu bereichern, in der
Geschichte "vom Testament des Esels" dargestellt, die den Stoff für vielleicht
ein Dutzend verschiedene Bearbeitungen, darunter auch eine von Rutebeuf.
gegeben hat. Ein wohlhabender Geistlicher hatte einen Esel, der ihm
zwanzig Jahre lang die vortrefflichsten Dienste leistete. Nach dem Tode
des treuen Thieres bestattete er seinen Leichnam auf dem Kirchhofe, "da,
wo man die christlichen Leute begräbt." Die Geschichte kam dem vor¬
gesetzten Bischof zu Ohren, welcher diesen Frevel strenge zu strafen be¬
schloß. Der angeklagte Priester aber wußte den Zorn des hochwürdigen
Herrn geschickt abzulenken. "Zwanzig Jahre hat das Thier mir treu ge¬
dient," sprach er; "in jedem Jahre verdiente es außer seinem Unterhalte
Zwanzig Sous, so daß es während seines ganzen Lebens die Summe von
20 Livres zurücklegte. Diese 20 Livres, blank und unbeschnitten, mit dem
Vildniß unseres Königs in voller Waffenrüstung, hat es Euch, hochwürdi¬
ger Herr, in seinem Testament vermacht, damit Ihr für seine Seele betet."
"El." sprach der Bischof, "so viel bewaffneten Männern vermag ich nicht
zu widerstehen. Gott sei seiner (nämlich des Esels) Seele gnädig und ver¬
zeihe ihm alle seine Missethaten."

Neben den Geistlichen erhielten auch die übrigen Stände, namentlich


sehen, meistens schwer wurde, ihr tägliches Brod zu erwerben, ließen es sich
nicht nehmen, diese schwache Seite des geistlichen Standes besonders ein¬
gehend zu behandeln, da sie alle Ursache hatten, mit Neid auf eine Men¬
schenklasse zu blicken, der es trotz privilegirten Nichtsthuns gelang, die co¬
lossalsten Reichthümer aufzuhäufen. Eine besonders reich fließende Einnahme¬
quelle war für die Geistlichkeit die Abfassung und Vollstreckung der Testa¬
mente. Es war eine alte Sitte, in Testamenten den Armen ein Legat aus¬
zusetzen , welches dann von der Kirche verwaltet wurde. Dieser an sich lobens-
werthe Gebrauch ward aber bald die Veranlassung zu Uebelständen. Einer-
seits machten die Priester, welche dem Kranken am Todbette Beistand leiste¬
ten, die Legate an die Armen bald zum Gesetz und zur Pflicht. Sie ver¬
weigerten demjenigen, der sich ihren Anordnungen widersetzte, die Absolution
und die Sterbesacramente, ja, sie gingen so weit, ihn vom Begräbniß in
geweihter Erde auszuschließen. Verschiedene Concilbeschlüsfe setzten fest, daß
sämmtliche Testamente entweder von Geistlichen aufgesetzt, oder doch nach
ihrer Abfassung der geistlichen Behörde des Ortes vorgelegt werden sollten.
Andererseits machten die Priester sich nur zu oft aus bloßen Verwaltern
zu Eigenthümern der hinterlassenen Schätze. So entstanden reiche Klöster
und Kirchen, während die Armen, denen die Legate galten, im Elend ver¬
kamen. Unzählige Male sprechen sich die Troveors mit Entrüstung über
diesen Mißbrauch aus. In komischer Weise und mit wahrhaft feinem Witze
wird die Sucht der Geistlichen, sich durch Testamente zu bereichern, in der
Geschichte „vom Testament des Esels" dargestellt, die den Stoff für vielleicht
ein Dutzend verschiedene Bearbeitungen, darunter auch eine von Rutebeuf.
gegeben hat. Ein wohlhabender Geistlicher hatte einen Esel, der ihm
zwanzig Jahre lang die vortrefflichsten Dienste leistete. Nach dem Tode
des treuen Thieres bestattete er seinen Leichnam auf dem Kirchhofe, „da,
wo man die christlichen Leute begräbt." Die Geschichte kam dem vor¬
gesetzten Bischof zu Ohren, welcher diesen Frevel strenge zu strafen be¬
schloß. Der angeklagte Priester aber wußte den Zorn des hochwürdigen
Herrn geschickt abzulenken. „Zwanzig Jahre hat das Thier mir treu ge¬
dient," sprach er; „in jedem Jahre verdiente es außer seinem Unterhalte
Zwanzig Sous, so daß es während seines ganzen Lebens die Summe von
20 Livres zurücklegte. Diese 20 Livres, blank und unbeschnitten, mit dem
Vildniß unseres Königs in voller Waffenrüstung, hat es Euch, hochwürdi¬
ger Herr, in seinem Testament vermacht, damit Ihr für seine Seele betet."
"El." sprach der Bischof, „so viel bewaffneten Männern vermag ich nicht
zu widerstehen. Gott sei seiner (nämlich des Esels) Seele gnädig und ver¬
zeihe ihm alle seine Missethaten."

Neben den Geistlichen erhielten auch die übrigen Stände, namentlich


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[0277] sehen, meistens schwer wurde, ihr tägliches Brod zu erwerben, ließen es sich nicht nehmen, diese schwache Seite des geistlichen Standes besonders ein¬ gehend zu behandeln, da sie alle Ursache hatten, mit Neid auf eine Men¬ schenklasse zu blicken, der es trotz privilegirten Nichtsthuns gelang, die co¬ lossalsten Reichthümer aufzuhäufen. Eine besonders reich fließende Einnahme¬ quelle war für die Geistlichkeit die Abfassung und Vollstreckung der Testa¬ mente. Es war eine alte Sitte, in Testamenten den Armen ein Legat aus¬ zusetzen , welches dann von der Kirche verwaltet wurde. Dieser an sich lobens- werthe Gebrauch ward aber bald die Veranlassung zu Uebelständen. Einer- seits machten die Priester, welche dem Kranken am Todbette Beistand leiste¬ ten, die Legate an die Armen bald zum Gesetz und zur Pflicht. Sie ver¬ weigerten demjenigen, der sich ihren Anordnungen widersetzte, die Absolution und die Sterbesacramente, ja, sie gingen so weit, ihn vom Begräbniß in geweihter Erde auszuschließen. Verschiedene Concilbeschlüsfe setzten fest, daß sämmtliche Testamente entweder von Geistlichen aufgesetzt, oder doch nach ihrer Abfassung der geistlichen Behörde des Ortes vorgelegt werden sollten. Andererseits machten die Priester sich nur zu oft aus bloßen Verwaltern zu Eigenthümern der hinterlassenen Schätze. So entstanden reiche Klöster und Kirchen, während die Armen, denen die Legate galten, im Elend ver¬ kamen. Unzählige Male sprechen sich die Troveors mit Entrüstung über diesen Mißbrauch aus. In komischer Weise und mit wahrhaft feinem Witze wird die Sucht der Geistlichen, sich durch Testamente zu bereichern, in der Geschichte „vom Testament des Esels" dargestellt, die den Stoff für vielleicht ein Dutzend verschiedene Bearbeitungen, darunter auch eine von Rutebeuf. gegeben hat. Ein wohlhabender Geistlicher hatte einen Esel, der ihm zwanzig Jahre lang die vortrefflichsten Dienste leistete. Nach dem Tode des treuen Thieres bestattete er seinen Leichnam auf dem Kirchhofe, „da, wo man die christlichen Leute begräbt." Die Geschichte kam dem vor¬ gesetzten Bischof zu Ohren, welcher diesen Frevel strenge zu strafen be¬ schloß. Der angeklagte Priester aber wußte den Zorn des hochwürdigen Herrn geschickt abzulenken. „Zwanzig Jahre hat das Thier mir treu ge¬ dient," sprach er; „in jedem Jahre verdiente es außer seinem Unterhalte Zwanzig Sous, so daß es während seines ganzen Lebens die Summe von 20 Livres zurücklegte. Diese 20 Livres, blank und unbeschnitten, mit dem Vildniß unseres Königs in voller Waffenrüstung, hat es Euch, hochwürdi¬ ger Herr, in seinem Testament vermacht, damit Ihr für seine Seele betet." "El." sprach der Bischof, „so viel bewaffneten Männern vermag ich nicht zu widerstehen. Gott sei seiner (nämlich des Esels) Seele gnädig und ver¬ zeihe ihm alle seine Missethaten." Neben den Geistlichen erhielten auch die übrigen Stände, namentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/277>, abgerufen am 02.10.2024.