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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Aerzte und Advocaten ihren Theil. Doch die Satiren, welche auf sie ge¬
macht werden, sind sich in allen Zeiten so gleich gewesen, daß es Eulen nach
Athen tragen hieße, wollten wir dieselben hier genauer detailliren. Die
Advocaten wurden überdies erst nach Ludwigs des Heiligen Tod mächtig
und reich. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts waren sie es schon in dem
Grade, daß die Geistlichkeit eifersüchtig auf sie wurde und von den Kanzeln
herab gegen die Gerichtshöfe donnerte. Es war um diese Zeit, als der
Predigermönch die Worte ausrief: "Heutzutage tragen unsre Herren von der
Justiz lange Roben, und ihre Weiber gehen einher, gekleidet gleich Fürstin¬
nen; wenn man ihre Kleider ausdrückte, so würde Blut hervorquellen!"

Auch die Ritterschaft und der Verfall des echt ritterlichen Geistes ent¬
ging der scharfen Beobachtung der Troveors nicht. Neben komischen Dar¬
stellungen von gewaltigen Kämpen, "die mit einem einzigen Hiebe eine Fliege
zu köpfen vermögen", finden sich ernste Mahnrufe an die christliche Ritter¬
schaft, sich zu ermannen, und den Geist der Schlaffheit und Bequemlichkeit
abzuschütteln, der an die Stelle des früheren ritterlichen Opfermuthes getre¬
ten war. Hier ist es wiederum Rutebeuf, der allen andern in Kühnheit,
Ernst und poetischem Feuer vorangeht. Seine beiden LomMintes ä'ontrs
nor und die Oomp1amt6 ac LonstÄnlirwplö, in denen er die erloschene
Flamme der Begeisterung für den heiligen Krieg in Palästina wieder anzu¬
fachen fucht, zeigen neben vielen zu weit ausgesponnen Passagen stellenweise
die Beredtsamkeit und den Schwung tyrtäischer Schlachtlieder. Konnte der
Kriegerstand beredter und bitterer getadelt werden, als in folgenden
Versen? --


Ihr Ritter, wenn, in Weines Flammen glühend,
Ihr sitzt im Kreise um des Heerdes Feuer,
Seht ihr gar oft auch schon in Palästina,
Mit macht'gen Streichen in die Feinde dringend.
Doch, wenn am Morgen ihr vom Schlaf erwacht,
Dann klingt die Rede anders: all die Todten,
Die eure Hand erschlug, sind auferstanden;
Statt trotz'ge Muselmänner zu verfolgen,
Hetze ihr das Reh und folgt dem scheuen Hasen: --
Die Schlacht, so denkt ihr. ist kein Kinderspiel.

In den Aufforderungen, den Christen "outrs nor" Hilfe zu bringen, wendet
er sich an alle Klassen der Bevölkerung, Fürsten, Ritter, Geistliche, Bürger.
In wehmüthiger Begeisterung spricht er von den Bedrängnissen, welche
Geoffroy von Sargines auszustehen hatte, der tapfere Gouverneur von Acre,
dem Hauptorte der Besitzungen, die den Christen noch im gelobten Lande
geblieben waren:


Aerzte und Advocaten ihren Theil. Doch die Satiren, welche auf sie ge¬
macht werden, sind sich in allen Zeiten so gleich gewesen, daß es Eulen nach
Athen tragen hieße, wollten wir dieselben hier genauer detailliren. Die
Advocaten wurden überdies erst nach Ludwigs des Heiligen Tod mächtig
und reich. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts waren sie es schon in dem
Grade, daß die Geistlichkeit eifersüchtig auf sie wurde und von den Kanzeln
herab gegen die Gerichtshöfe donnerte. Es war um diese Zeit, als der
Predigermönch die Worte ausrief: „Heutzutage tragen unsre Herren von der
Justiz lange Roben, und ihre Weiber gehen einher, gekleidet gleich Fürstin¬
nen; wenn man ihre Kleider ausdrückte, so würde Blut hervorquellen!"

Auch die Ritterschaft und der Verfall des echt ritterlichen Geistes ent¬
ging der scharfen Beobachtung der Troveors nicht. Neben komischen Dar¬
stellungen von gewaltigen Kämpen, „die mit einem einzigen Hiebe eine Fliege
zu köpfen vermögen", finden sich ernste Mahnrufe an die christliche Ritter¬
schaft, sich zu ermannen, und den Geist der Schlaffheit und Bequemlichkeit
abzuschütteln, der an die Stelle des früheren ritterlichen Opfermuthes getre¬
ten war. Hier ist es wiederum Rutebeuf, der allen andern in Kühnheit,
Ernst und poetischem Feuer vorangeht. Seine beiden LomMintes ä'ontrs
nor und die Oomp1amt6 ac LonstÄnlirwplö, in denen er die erloschene
Flamme der Begeisterung für den heiligen Krieg in Palästina wieder anzu¬
fachen fucht, zeigen neben vielen zu weit ausgesponnen Passagen stellenweise
die Beredtsamkeit und den Schwung tyrtäischer Schlachtlieder. Konnte der
Kriegerstand beredter und bitterer getadelt werden, als in folgenden
Versen? —


Ihr Ritter, wenn, in Weines Flammen glühend,
Ihr sitzt im Kreise um des Heerdes Feuer,
Seht ihr gar oft auch schon in Palästina,
Mit macht'gen Streichen in die Feinde dringend.
Doch, wenn am Morgen ihr vom Schlaf erwacht,
Dann klingt die Rede anders: all die Todten,
Die eure Hand erschlug, sind auferstanden;
Statt trotz'ge Muselmänner zu verfolgen,
Hetze ihr das Reh und folgt dem scheuen Hasen: —
Die Schlacht, so denkt ihr. ist kein Kinderspiel.

In den Aufforderungen, den Christen „outrs nor" Hilfe zu bringen, wendet
er sich an alle Klassen der Bevölkerung, Fürsten, Ritter, Geistliche, Bürger.
In wehmüthiger Begeisterung spricht er von den Bedrängnissen, welche
Geoffroy von Sargines auszustehen hatte, der tapfere Gouverneur von Acre,
dem Hauptorte der Besitzungen, die den Christen noch im gelobten Lande
geblieben waren:


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[0278] Aerzte und Advocaten ihren Theil. Doch die Satiren, welche auf sie ge¬ macht werden, sind sich in allen Zeiten so gleich gewesen, daß es Eulen nach Athen tragen hieße, wollten wir dieselben hier genauer detailliren. Die Advocaten wurden überdies erst nach Ludwigs des Heiligen Tod mächtig und reich. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts waren sie es schon in dem Grade, daß die Geistlichkeit eifersüchtig auf sie wurde und von den Kanzeln herab gegen die Gerichtshöfe donnerte. Es war um diese Zeit, als der Predigermönch die Worte ausrief: „Heutzutage tragen unsre Herren von der Justiz lange Roben, und ihre Weiber gehen einher, gekleidet gleich Fürstin¬ nen; wenn man ihre Kleider ausdrückte, so würde Blut hervorquellen!" Auch die Ritterschaft und der Verfall des echt ritterlichen Geistes ent¬ ging der scharfen Beobachtung der Troveors nicht. Neben komischen Dar¬ stellungen von gewaltigen Kämpen, „die mit einem einzigen Hiebe eine Fliege zu köpfen vermögen", finden sich ernste Mahnrufe an die christliche Ritter¬ schaft, sich zu ermannen, und den Geist der Schlaffheit und Bequemlichkeit abzuschütteln, der an die Stelle des früheren ritterlichen Opfermuthes getre¬ ten war. Hier ist es wiederum Rutebeuf, der allen andern in Kühnheit, Ernst und poetischem Feuer vorangeht. Seine beiden LomMintes ä'ontrs nor und die Oomp1amt6 ac LonstÄnlirwplö, in denen er die erloschene Flamme der Begeisterung für den heiligen Krieg in Palästina wieder anzu¬ fachen fucht, zeigen neben vielen zu weit ausgesponnen Passagen stellenweise die Beredtsamkeit und den Schwung tyrtäischer Schlachtlieder. Konnte der Kriegerstand beredter und bitterer getadelt werden, als in folgenden Versen? — Ihr Ritter, wenn, in Weines Flammen glühend, Ihr sitzt im Kreise um des Heerdes Feuer, Seht ihr gar oft auch schon in Palästina, Mit macht'gen Streichen in die Feinde dringend. Doch, wenn am Morgen ihr vom Schlaf erwacht, Dann klingt die Rede anders: all die Todten, Die eure Hand erschlug, sind auferstanden; Statt trotz'ge Muselmänner zu verfolgen, Hetze ihr das Reh und folgt dem scheuen Hasen: — Die Schlacht, so denkt ihr. ist kein Kinderspiel. In den Aufforderungen, den Christen „outrs nor" Hilfe zu bringen, wendet er sich an alle Klassen der Bevölkerung, Fürsten, Ritter, Geistliche, Bürger. In wehmüthiger Begeisterung spricht er von den Bedrängnissen, welche Geoffroy von Sargines auszustehen hatte, der tapfere Gouverneur von Acre, dem Hauptorte der Besitzungen, die den Christen noch im gelobten Lande geblieben waren:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/278>, abgerufen am 04.07.2024.