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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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alsdann heirathet. In einem andern Fabliau Rutebeuf's "an saersstg-in se
as 1a kams an eksvalisr" gelingt es einem Geistlichen, einem Ritter seine
Gattin untreu zu machen. Der Verführer leert den Schatz seines Klosters,
über den er die Aufsicht hat,'sie die Geldtruhe und die Schmuckkästen ihres
Gemahls, und beide gehen mit ihrer Beute in die weite Welt. Die beraub¬
ten Klosterbrüder und der Ritter setzen indessen den Flüchtigen nach; sie wer¬
den ereilt und ins Gefängniß geworfen. In der Stille des Kerkers kommen
beide zum Bewußtsein ihrer Schändlichkeit, und flehen in inbrünstigen Gebet
die Hilfe der Mutter Gottes an, der sie vor ihrem Fehltritt in unwandel¬
barer Treue gedient. Die Gnadenreiche läßt sich erweichen und bewirkt das
Wunder, daß in der folgenden Nacht, während die Mönche des Klosters
und der Ritter schlafen, alles wieder so hergestellt wird, wie es vor der
Flucht war. Der Prior des Klosters, der am Morgen strenges Gericht über
den Frevler zu halten gedenkt, findet nach seinem Erwachen den Kirchenschatz
in der schönsten Ordnung, und den Sünder mit andächtigem Gesicht vor
dem Altar. Der Ritter, welcher sich mit Rachegedanken gegen sein treuloses
Weib zur Ruhe gelegt hatte, erblickte am Morgen die schöne Sünderin an
seiner Seite und alles geraubte Gut an Ort und Stelle. Allgemeine Ver¬
wunderung. Man schickt zum Bischof, und der Hochwürdige verfügt sich mit
der ganzen Geistlichkeit in den Kerker, den die Gefangenen eingenommen
hatten. Dort findet man die zwei Teufel, welche die Dame und den Mönch
verführt hatten und von Maria an ihre Stelle in den Kerker eingesperrt
worden waren. Diese bösen Geister ergehen sich in den höchsten Lobeserhe¬
bungen über den Charakter der beiden Delinquenten, auf deren tugendhafte
Seelen sie viele vergebliche Angriffe gemacht haben. Jedermann ist über das
Wunder erstaunt und gerührt; der Mönch wird in seinem Kloster geehrt
wie nie zuvor, und kommt in den Geruch der Heiligkeit, der Ritter drückt
seine Dame versöhnt an's Herz. -- Auffällig wird manchem unserer Leser die
Rolle sein, welche Maria in dieser Erzählung, sowie diejenige, welche Petrus
in dem Fabliau "as 8t. ?ierrs se äou Mglsor" spielt. Indeß dies liegt
ganz im Geiste jener Zeit. Man ließ die Heiligen, ohne allzuzarte Rücksicht
auf Moralität, alle möglichen Dinge ausführen, wenn dieselben nur dazu
beitrugen, ihre Macht in glänzendem Lichte erscheinen zu lassen. In dem
"miraels" d. h. geistlichem Schauspiele "llisoMIs" von Rutebeuf wird die
heilige Jungfrau auf offener Scene gegen den Teufel persönlich gewaltthätig,
um ihm eine Urkunde zu entreißen, auf welcher der Priester Theophilus
sich dem Fürsten der Finsterniß verschrieben hat; -- also offenbares
Faustrecht.

Neben dem lockern und üppigen Leben der Geistlichkeit mußte namentlich
ihre Habgier Aergerniß geben, und die Troveors, denen es, wie wir ge-


alsdann heirathet. In einem andern Fabliau Rutebeuf's „an saersstg-in se
as 1a kams an eksvalisr" gelingt es einem Geistlichen, einem Ritter seine
Gattin untreu zu machen. Der Verführer leert den Schatz seines Klosters,
über den er die Aufsicht hat,'sie die Geldtruhe und die Schmuckkästen ihres
Gemahls, und beide gehen mit ihrer Beute in die weite Welt. Die beraub¬
ten Klosterbrüder und der Ritter setzen indessen den Flüchtigen nach; sie wer¬
den ereilt und ins Gefängniß geworfen. In der Stille des Kerkers kommen
beide zum Bewußtsein ihrer Schändlichkeit, und flehen in inbrünstigen Gebet
die Hilfe der Mutter Gottes an, der sie vor ihrem Fehltritt in unwandel¬
barer Treue gedient. Die Gnadenreiche läßt sich erweichen und bewirkt das
Wunder, daß in der folgenden Nacht, während die Mönche des Klosters
und der Ritter schlafen, alles wieder so hergestellt wird, wie es vor der
Flucht war. Der Prior des Klosters, der am Morgen strenges Gericht über
den Frevler zu halten gedenkt, findet nach seinem Erwachen den Kirchenschatz
in der schönsten Ordnung, und den Sünder mit andächtigem Gesicht vor
dem Altar. Der Ritter, welcher sich mit Rachegedanken gegen sein treuloses
Weib zur Ruhe gelegt hatte, erblickte am Morgen die schöne Sünderin an
seiner Seite und alles geraubte Gut an Ort und Stelle. Allgemeine Ver¬
wunderung. Man schickt zum Bischof, und der Hochwürdige verfügt sich mit
der ganzen Geistlichkeit in den Kerker, den die Gefangenen eingenommen
hatten. Dort findet man die zwei Teufel, welche die Dame und den Mönch
verführt hatten und von Maria an ihre Stelle in den Kerker eingesperrt
worden waren. Diese bösen Geister ergehen sich in den höchsten Lobeserhe¬
bungen über den Charakter der beiden Delinquenten, auf deren tugendhafte
Seelen sie viele vergebliche Angriffe gemacht haben. Jedermann ist über das
Wunder erstaunt und gerührt; der Mönch wird in seinem Kloster geehrt
wie nie zuvor, und kommt in den Geruch der Heiligkeit, der Ritter drückt
seine Dame versöhnt an's Herz. — Auffällig wird manchem unserer Leser die
Rolle sein, welche Maria in dieser Erzählung, sowie diejenige, welche Petrus
in dem Fabliau „as 8t. ?ierrs se äou Mglsor" spielt. Indeß dies liegt
ganz im Geiste jener Zeit. Man ließ die Heiligen, ohne allzuzarte Rücksicht
auf Moralität, alle möglichen Dinge ausführen, wenn dieselben nur dazu
beitrugen, ihre Macht in glänzendem Lichte erscheinen zu lassen. In dem
„miraels" d. h. geistlichem Schauspiele „llisoMIs" von Rutebeuf wird die
heilige Jungfrau auf offener Scene gegen den Teufel persönlich gewaltthätig,
um ihm eine Urkunde zu entreißen, auf welcher der Priester Theophilus
sich dem Fürsten der Finsterniß verschrieben hat; — also offenbares
Faustrecht.

Neben dem lockern und üppigen Leben der Geistlichkeit mußte namentlich
ihre Habgier Aergerniß geben, und die Troveors, denen es, wie wir ge-


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[0276] alsdann heirathet. In einem andern Fabliau Rutebeuf's „an saersstg-in se as 1a kams an eksvalisr" gelingt es einem Geistlichen, einem Ritter seine Gattin untreu zu machen. Der Verführer leert den Schatz seines Klosters, über den er die Aufsicht hat,'sie die Geldtruhe und die Schmuckkästen ihres Gemahls, und beide gehen mit ihrer Beute in die weite Welt. Die beraub¬ ten Klosterbrüder und der Ritter setzen indessen den Flüchtigen nach; sie wer¬ den ereilt und ins Gefängniß geworfen. In der Stille des Kerkers kommen beide zum Bewußtsein ihrer Schändlichkeit, und flehen in inbrünstigen Gebet die Hilfe der Mutter Gottes an, der sie vor ihrem Fehltritt in unwandel¬ barer Treue gedient. Die Gnadenreiche läßt sich erweichen und bewirkt das Wunder, daß in der folgenden Nacht, während die Mönche des Klosters und der Ritter schlafen, alles wieder so hergestellt wird, wie es vor der Flucht war. Der Prior des Klosters, der am Morgen strenges Gericht über den Frevler zu halten gedenkt, findet nach seinem Erwachen den Kirchenschatz in der schönsten Ordnung, und den Sünder mit andächtigem Gesicht vor dem Altar. Der Ritter, welcher sich mit Rachegedanken gegen sein treuloses Weib zur Ruhe gelegt hatte, erblickte am Morgen die schöne Sünderin an seiner Seite und alles geraubte Gut an Ort und Stelle. Allgemeine Ver¬ wunderung. Man schickt zum Bischof, und der Hochwürdige verfügt sich mit der ganzen Geistlichkeit in den Kerker, den die Gefangenen eingenommen hatten. Dort findet man die zwei Teufel, welche die Dame und den Mönch verführt hatten und von Maria an ihre Stelle in den Kerker eingesperrt worden waren. Diese bösen Geister ergehen sich in den höchsten Lobeserhe¬ bungen über den Charakter der beiden Delinquenten, auf deren tugendhafte Seelen sie viele vergebliche Angriffe gemacht haben. Jedermann ist über das Wunder erstaunt und gerührt; der Mönch wird in seinem Kloster geehrt wie nie zuvor, und kommt in den Geruch der Heiligkeit, der Ritter drückt seine Dame versöhnt an's Herz. — Auffällig wird manchem unserer Leser die Rolle sein, welche Maria in dieser Erzählung, sowie diejenige, welche Petrus in dem Fabliau „as 8t. ?ierrs se äou Mglsor" spielt. Indeß dies liegt ganz im Geiste jener Zeit. Man ließ die Heiligen, ohne allzuzarte Rücksicht auf Moralität, alle möglichen Dinge ausführen, wenn dieselben nur dazu beitrugen, ihre Macht in glänzendem Lichte erscheinen zu lassen. In dem „miraels" d. h. geistlichem Schauspiele „llisoMIs" von Rutebeuf wird die heilige Jungfrau auf offener Scene gegen den Teufel persönlich gewaltthätig, um ihm eine Urkunde zu entreißen, auf welcher der Priester Theophilus sich dem Fürsten der Finsterniß verschrieben hat; — also offenbares Faustrecht. Neben dem lockern und üppigen Leben der Geistlichkeit mußte namentlich ihre Habgier Aergerniß geben, und die Troveors, denen es, wie wir ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/276>, abgerufen am 04.07.2024.