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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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geistliche sowohl als Mönche, dar. Rutebeuf wird nicht müde, die Schein-
Heiligkeit, Ueppigkeit und Habsucht des geistlichen Standes zu geißeln. Bis¬
weilen sind es ernstliche Jnvectiven; der Dichter droht den pflichtvergessenen
Seelenhirten mit der ewigen Verdammniß; ein häufig wiederkehrender Ge¬
danke ist der, daß alle heiligen Märtyrer, die ihr Leben unter den schreck¬
lichsten Martern für den Glauben hingegeben haben, Narren gewesen sein
müßten, wenn es den Mönchen gelingen sollte, in den Himmel zu kommen,
nur weil sie ein weißes, graues oder schwarzes Gewand trügen, und dann
- und wann ein Gebet murmelten, im Uebrigen es sich aber bei guten Kellern
und Küchen oder gar bei schönen Beichtkindern wohl sein ließen. Wir greifen
nur einige der am meisten charakteristischen aus der großen Zahl der hierher
gehörigen Stellen heraus:


Auf, ihr Prälaten unsrer heil'gen Kirche,
Die ihr, vor teilten Winde euch zu schützen,
Nicht wollt zum Morgengottesdienste gehn:
Euch ruft der Ritter Gottfried von Sargines,
Vom Feind umdroht an Palästina's Strand!
Doch ach, der ist verrathen und betrogen,
Der etwas weiteres von euch erwartet,
Als guten Wein im Keller, gute Speisen,
Mit starkem Pfeffer kunstgerecht gewürzt.
Das da sind eure Kriege, eure Thaten,
Das euer Gott und eure Tugend! --



Auf, reiche Priester und ihr großen Pfründner,
Die ihr in Speis und Trank die Zeit verbringt,
Und euren Bauch zu eurem Gotte macht:
Sagt nur: Wie wollt in Gottes Reich ihr kommen?
Ihr, die nicht einen einz'gen Psalm wollt beten.
Die winzigen zwei Berse abgerechnet,
Die ihr behaglich nach dem Essen murmelt.

An andern Orten ist die Satire in komische Erzählungen eingekleidet, in
welchen dem Mönch oder Priester häufig die Rolle des Don Juan zufällt.
Entführungen schöner Frauen durch Geistliche scheinen eben nicht zu den
Seltenheiten gehört zu haben. In einer dieser Erzählungen "dö Kore ve-
niss" wird ein junges Edelfrciulein von einem Mönch verleitet, ihre Eltern
und ihren Bräutigam zu verlassen, die Tracht eines Klostergeistlichen anzu¬
nehmen und mit ihrem Verführer als Bettelmönch durch das Land zu ziehen.
Endlich wird das Geheimniß von einer Ritterdame, bei der das Paar her¬
bergt, entdeckt, der böse Klosterbruder gezwungen, 100 Livres zur Aussteuer
des Mädchens beizutragen, und dieses ihrem Verlobten zurückzugeben, der sie


geistliche sowohl als Mönche, dar. Rutebeuf wird nicht müde, die Schein-
Heiligkeit, Ueppigkeit und Habsucht des geistlichen Standes zu geißeln. Bis¬
weilen sind es ernstliche Jnvectiven; der Dichter droht den pflichtvergessenen
Seelenhirten mit der ewigen Verdammniß; ein häufig wiederkehrender Ge¬
danke ist der, daß alle heiligen Märtyrer, die ihr Leben unter den schreck¬
lichsten Martern für den Glauben hingegeben haben, Narren gewesen sein
müßten, wenn es den Mönchen gelingen sollte, in den Himmel zu kommen,
nur weil sie ein weißes, graues oder schwarzes Gewand trügen, und dann
- und wann ein Gebet murmelten, im Uebrigen es sich aber bei guten Kellern
und Küchen oder gar bei schönen Beichtkindern wohl sein ließen. Wir greifen
nur einige der am meisten charakteristischen aus der großen Zahl der hierher
gehörigen Stellen heraus:


Auf, ihr Prälaten unsrer heil'gen Kirche,
Die ihr, vor teilten Winde euch zu schützen,
Nicht wollt zum Morgengottesdienste gehn:
Euch ruft der Ritter Gottfried von Sargines,
Vom Feind umdroht an Palästina's Strand!
Doch ach, der ist verrathen und betrogen,
Der etwas weiteres von euch erwartet,
Als guten Wein im Keller, gute Speisen,
Mit starkem Pfeffer kunstgerecht gewürzt.
Das da sind eure Kriege, eure Thaten,
Das euer Gott und eure Tugend! —



Auf, reiche Priester und ihr großen Pfründner,
Die ihr in Speis und Trank die Zeit verbringt,
Und euren Bauch zu eurem Gotte macht:
Sagt nur: Wie wollt in Gottes Reich ihr kommen?
Ihr, die nicht einen einz'gen Psalm wollt beten.
Die winzigen zwei Berse abgerechnet,
Die ihr behaglich nach dem Essen murmelt.

An andern Orten ist die Satire in komische Erzählungen eingekleidet, in
welchen dem Mönch oder Priester häufig die Rolle des Don Juan zufällt.
Entführungen schöner Frauen durch Geistliche scheinen eben nicht zu den
Seltenheiten gehört zu haben. In einer dieser Erzählungen „dö Kore ve-
niss" wird ein junges Edelfrciulein von einem Mönch verleitet, ihre Eltern
und ihren Bräutigam zu verlassen, die Tracht eines Klostergeistlichen anzu¬
nehmen und mit ihrem Verführer als Bettelmönch durch das Land zu ziehen.
Endlich wird das Geheimniß von einer Ritterdame, bei der das Paar her¬
bergt, entdeckt, der böse Klosterbruder gezwungen, 100 Livres zur Aussteuer
des Mädchens beizutragen, und dieses ihrem Verlobten zurückzugeben, der sie


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[0275] geistliche sowohl als Mönche, dar. Rutebeuf wird nicht müde, die Schein- Heiligkeit, Ueppigkeit und Habsucht des geistlichen Standes zu geißeln. Bis¬ weilen sind es ernstliche Jnvectiven; der Dichter droht den pflichtvergessenen Seelenhirten mit der ewigen Verdammniß; ein häufig wiederkehrender Ge¬ danke ist der, daß alle heiligen Märtyrer, die ihr Leben unter den schreck¬ lichsten Martern für den Glauben hingegeben haben, Narren gewesen sein müßten, wenn es den Mönchen gelingen sollte, in den Himmel zu kommen, nur weil sie ein weißes, graues oder schwarzes Gewand trügen, und dann - und wann ein Gebet murmelten, im Uebrigen es sich aber bei guten Kellern und Küchen oder gar bei schönen Beichtkindern wohl sein ließen. Wir greifen nur einige der am meisten charakteristischen aus der großen Zahl der hierher gehörigen Stellen heraus: Auf, ihr Prälaten unsrer heil'gen Kirche, Die ihr, vor teilten Winde euch zu schützen, Nicht wollt zum Morgengottesdienste gehn: Euch ruft der Ritter Gottfried von Sargines, Vom Feind umdroht an Palästina's Strand! Doch ach, der ist verrathen und betrogen, Der etwas weiteres von euch erwartet, Als guten Wein im Keller, gute Speisen, Mit starkem Pfeffer kunstgerecht gewürzt. Das da sind eure Kriege, eure Thaten, Das euer Gott und eure Tugend! — Auf, reiche Priester und ihr großen Pfründner, Die ihr in Speis und Trank die Zeit verbringt, Und euren Bauch zu eurem Gotte macht: Sagt nur: Wie wollt in Gottes Reich ihr kommen? Ihr, die nicht einen einz'gen Psalm wollt beten. Die winzigen zwei Berse abgerechnet, Die ihr behaglich nach dem Essen murmelt. An andern Orten ist die Satire in komische Erzählungen eingekleidet, in welchen dem Mönch oder Priester häufig die Rolle des Don Juan zufällt. Entführungen schöner Frauen durch Geistliche scheinen eben nicht zu den Seltenheiten gehört zu haben. In einer dieser Erzählungen „dö Kore ve- niss" wird ein junges Edelfrciulein von einem Mönch verleitet, ihre Eltern und ihren Bräutigam zu verlassen, die Tracht eines Klostergeistlichen anzu¬ nehmen und mit ihrem Verführer als Bettelmönch durch das Land zu ziehen. Endlich wird das Geheimniß von einer Ritterdame, bei der das Paar her¬ bergt, entdeckt, der böse Klosterbruder gezwungen, 100 Livres zur Aussteuer des Mädchens beizutragen, und dieses ihrem Verlobten zurückzugeben, der sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/275>, abgerufen am 04.07.2024.