Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Borstehende wird uns einen hinlänglichen Begriff von dem Erden¬
wallen jener Künstler, unter denen Rutebeuf eine hervorragende Stelle ein¬
nimmt, gegeben haben. Interessant ist es, daß wir aus den Fabliaux auch
Nachrichten über das Schicksal erhalten, das ihnen im zukünftigen Leben be¬
vorsteht. Das Tableau as 8t, ?iörrö et Äou ^onZIeor gibt hierüber er¬
schöpfende Auskunft.--Die arme Seele eines Troveor war nach einem locke¬
ren Leben zur Hölle gefahren. Da er kein nützlickes Handwerk gelernt hatte,
wußte man ihn im Reiche der Finsterniß zu nichts anderem zu gebrauchen,
als zum Ofenheizer. Als er eines Nachmittags beschäftigt war, eine große
Anzahl von Seelen in einem großen Kessel über einem mächtigen Feuer zu
schmoren, entfernten sich die Teufel in Geschäftsangelegenheiten, indem sie
ihm einschärften, auf keinen Fall das Feuer unter dem Kessel erlöschen zu
lassen und auf die darin enthaltenen Seelen genau Acht zu haben. Als der
heil. Petrus den unbewachten Zustand der Hölle sah, hielt er den Augen¬
blick für günstig, dem Reiche der Finsterniß einige Seelen zu entreißen und
dieselben dem Himmel zuzuführen. Er begab sich in die Hölle und versuchte,
von dem Troveor einige der ihm anvertrauten Seelen zu erbitten. Allein
dieser wagte aus Furcht vor den Teufeln nicht, dem Verlangen zu will¬
fahren. Als Petrus, der ein feiner Menschenkenner war. sah, daß er auf
diesem Weg nicht zum Ziele gelangen würde, ersann er einen anderen Plan.
Er schlug dem Troveor eine Partie Würfel vor. Dieser konnte der lockenden
Versuchung nicht widerstehen, erklärte aber, unter seinen augenblicklichen
Verhältnissen nicht bei Kasse zu sein. "Schadet nichts," entgegnete der Pfört¬
ner des Himmels, "ich nehme auch arme Seelen in Zahlung an." Die
Partie begann, und der heilige Peter hatte das Glück so entschieden auf
seiner Seite, daß er dem armen Troveor eine Seele nach der andern abgewann.
Nachdem ungefähr die Hälfte der Seelen verloren war, erklärte der letztere,
nicht weiter spielen zu wollen. Petrus ließ indeß seinen Gegner nicht so
leichten Kaufs davon kommen; er schlug va baoqus vor. d. h. er setzte alle
gewonnenen Seelen gegen die noch im Kessel befindlichen. Natürlich wider¬
stand der Troveor der Versuchung nicht; die Würfel fielen, Se. Peter ge¬
wann, steckte den Nest der Seelen zu den gewonnenen in einen Sack und
ging mit ihnen zum Himmel. Gleich darauf kamen die Teufel von ihrem
Ausfluge zurück. Als Lucifer den unersetzlichen Verlust so vieler Seelen be¬
merkte, gerieth er in furchtbaren Zorn; beinahe hätte er den Troveor ins
Feuer geworfen. Er begnügte sich indeß damit, den Frevler vor die Thür
der Hölle zu setzen, indem er ihm zurief: "schert Euch hinaus, lieber Freund,
hinaus mit Euch! So dumme Leute können wir hier nicht gebrauchen; nie
werde ich wieder einen Troveor in mein Reich aufnehmen; mögen sie ihres
Weges gehen, wohin sie wollen, meinetwegen mag Gott sie zu sich in die


32"

Das Borstehende wird uns einen hinlänglichen Begriff von dem Erden¬
wallen jener Künstler, unter denen Rutebeuf eine hervorragende Stelle ein¬
nimmt, gegeben haben. Interessant ist es, daß wir aus den Fabliaux auch
Nachrichten über das Schicksal erhalten, das ihnen im zukünftigen Leben be¬
vorsteht. Das Tableau as 8t, ?iörrö et Äou ^onZIeor gibt hierüber er¬
schöpfende Auskunft.—Die arme Seele eines Troveor war nach einem locke¬
ren Leben zur Hölle gefahren. Da er kein nützlickes Handwerk gelernt hatte,
wußte man ihn im Reiche der Finsterniß zu nichts anderem zu gebrauchen,
als zum Ofenheizer. Als er eines Nachmittags beschäftigt war, eine große
Anzahl von Seelen in einem großen Kessel über einem mächtigen Feuer zu
schmoren, entfernten sich die Teufel in Geschäftsangelegenheiten, indem sie
ihm einschärften, auf keinen Fall das Feuer unter dem Kessel erlöschen zu
lassen und auf die darin enthaltenen Seelen genau Acht zu haben. Als der
heil. Petrus den unbewachten Zustand der Hölle sah, hielt er den Augen¬
blick für günstig, dem Reiche der Finsterniß einige Seelen zu entreißen und
dieselben dem Himmel zuzuführen. Er begab sich in die Hölle und versuchte,
von dem Troveor einige der ihm anvertrauten Seelen zu erbitten. Allein
dieser wagte aus Furcht vor den Teufeln nicht, dem Verlangen zu will¬
fahren. Als Petrus, der ein feiner Menschenkenner war. sah, daß er auf
diesem Weg nicht zum Ziele gelangen würde, ersann er einen anderen Plan.
Er schlug dem Troveor eine Partie Würfel vor. Dieser konnte der lockenden
Versuchung nicht widerstehen, erklärte aber, unter seinen augenblicklichen
Verhältnissen nicht bei Kasse zu sein. „Schadet nichts," entgegnete der Pfört¬
ner des Himmels, „ich nehme auch arme Seelen in Zahlung an." Die
Partie begann, und der heilige Peter hatte das Glück so entschieden auf
seiner Seite, daß er dem armen Troveor eine Seele nach der andern abgewann.
Nachdem ungefähr die Hälfte der Seelen verloren war, erklärte der letztere,
nicht weiter spielen zu wollen. Petrus ließ indeß seinen Gegner nicht so
leichten Kaufs davon kommen; er schlug va baoqus vor. d. h. er setzte alle
gewonnenen Seelen gegen die noch im Kessel befindlichen. Natürlich wider¬
stand der Troveor der Versuchung nicht; die Würfel fielen, Se. Peter ge¬
wann, steckte den Nest der Seelen zu den gewonnenen in einen Sack und
ging mit ihnen zum Himmel. Gleich darauf kamen die Teufel von ihrem
Ausfluge zurück. Als Lucifer den unersetzlichen Verlust so vieler Seelen be¬
merkte, gerieth er in furchtbaren Zorn; beinahe hätte er den Troveor ins
Feuer geworfen. Er begnügte sich indeß damit, den Frevler vor die Thür
der Hölle zu setzen, indem er ihm zurief: „schert Euch hinaus, lieber Freund,
hinaus mit Euch! So dumme Leute können wir hier nicht gebrauchen; nie
werde ich wieder einen Troveor in mein Reich aufnehmen; mögen sie ihres
Weges gehen, wohin sie wollen, meinetwegen mag Gott sie zu sich in die


32"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286985"/>
          <p xml:id="ID_712" next="#ID_713"> Das Borstehende wird uns einen hinlänglichen Begriff von dem Erden¬<lb/>
wallen jener Künstler, unter denen Rutebeuf eine hervorragende Stelle ein¬<lb/>
nimmt, gegeben haben. Interessant ist es, daß wir aus den Fabliaux auch<lb/>
Nachrichten über das Schicksal erhalten, das ihnen im zukünftigen Leben be¬<lb/>
vorsteht. Das Tableau as 8t, ?iörrö et Äou ^onZIeor gibt hierüber er¬<lb/>
schöpfende Auskunft.&#x2014;Die arme Seele eines Troveor war nach einem locke¬<lb/>
ren Leben zur Hölle gefahren. Da er kein nützlickes Handwerk gelernt hatte,<lb/>
wußte man ihn im Reiche der Finsterniß zu nichts anderem zu gebrauchen,<lb/>
als zum Ofenheizer. Als er eines Nachmittags beschäftigt war, eine große<lb/>
Anzahl von Seelen in einem großen Kessel über einem mächtigen Feuer zu<lb/>
schmoren, entfernten sich die Teufel in Geschäftsangelegenheiten, indem sie<lb/>
ihm einschärften, auf keinen Fall das Feuer unter dem Kessel erlöschen zu<lb/>
lassen und auf die darin enthaltenen Seelen genau Acht zu haben. Als der<lb/>
heil. Petrus den unbewachten Zustand der Hölle sah, hielt er den Augen¬<lb/>
blick für günstig, dem Reiche der Finsterniß einige Seelen zu entreißen und<lb/>
dieselben dem Himmel zuzuführen. Er begab sich in die Hölle und versuchte,<lb/>
von dem Troveor einige der ihm anvertrauten Seelen zu erbitten. Allein<lb/>
dieser wagte aus Furcht vor den Teufeln nicht, dem Verlangen zu will¬<lb/>
fahren. Als Petrus, der ein feiner Menschenkenner war. sah, daß er auf<lb/>
diesem Weg nicht zum Ziele gelangen würde, ersann er einen anderen Plan.<lb/>
Er schlug dem Troveor eine Partie Würfel vor. Dieser konnte der lockenden<lb/>
Versuchung nicht widerstehen, erklärte aber, unter seinen augenblicklichen<lb/>
Verhältnissen nicht bei Kasse zu sein. &#x201E;Schadet nichts," entgegnete der Pfört¬<lb/>
ner des Himmels, &#x201E;ich nehme auch arme Seelen in Zahlung an." Die<lb/>
Partie begann, und der heilige Peter hatte das Glück so entschieden auf<lb/>
seiner Seite, daß er dem armen Troveor eine Seele nach der andern abgewann.<lb/>
Nachdem ungefähr die Hälfte der Seelen verloren war, erklärte der letztere,<lb/>
nicht weiter spielen zu wollen. Petrus ließ indeß seinen Gegner nicht so<lb/>
leichten Kaufs davon kommen; er schlug va baoqus vor. d. h. er setzte alle<lb/>
gewonnenen Seelen gegen die noch im Kessel befindlichen. Natürlich wider¬<lb/>
stand der Troveor der Versuchung nicht; die Würfel fielen, Se. Peter ge¬<lb/>
wann, steckte den Nest der Seelen zu den gewonnenen in einen Sack und<lb/>
ging mit ihnen zum Himmel. Gleich darauf kamen die Teufel von ihrem<lb/>
Ausfluge zurück. Als Lucifer den unersetzlichen Verlust so vieler Seelen be¬<lb/>
merkte, gerieth er in furchtbaren Zorn; beinahe hätte er den Troveor ins<lb/>
Feuer geworfen. Er begnügte sich indeß damit, den Frevler vor die Thür<lb/>
der Hölle zu setzen, indem er ihm zurief: &#x201E;schert Euch hinaus, lieber Freund,<lb/>
hinaus mit Euch! So dumme Leute können wir hier nicht gebrauchen; nie<lb/>
werde ich wieder einen Troveor in mein Reich aufnehmen; mögen sie ihres<lb/>
Weges gehen, wohin sie wollen, meinetwegen mag Gott sie zu sich in die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] Das Borstehende wird uns einen hinlänglichen Begriff von dem Erden¬ wallen jener Künstler, unter denen Rutebeuf eine hervorragende Stelle ein¬ nimmt, gegeben haben. Interessant ist es, daß wir aus den Fabliaux auch Nachrichten über das Schicksal erhalten, das ihnen im zukünftigen Leben be¬ vorsteht. Das Tableau as 8t, ?iörrö et Äou ^onZIeor gibt hierüber er¬ schöpfende Auskunft.—Die arme Seele eines Troveor war nach einem locke¬ ren Leben zur Hölle gefahren. Da er kein nützlickes Handwerk gelernt hatte, wußte man ihn im Reiche der Finsterniß zu nichts anderem zu gebrauchen, als zum Ofenheizer. Als er eines Nachmittags beschäftigt war, eine große Anzahl von Seelen in einem großen Kessel über einem mächtigen Feuer zu schmoren, entfernten sich die Teufel in Geschäftsangelegenheiten, indem sie ihm einschärften, auf keinen Fall das Feuer unter dem Kessel erlöschen zu lassen und auf die darin enthaltenen Seelen genau Acht zu haben. Als der heil. Petrus den unbewachten Zustand der Hölle sah, hielt er den Augen¬ blick für günstig, dem Reiche der Finsterniß einige Seelen zu entreißen und dieselben dem Himmel zuzuführen. Er begab sich in die Hölle und versuchte, von dem Troveor einige der ihm anvertrauten Seelen zu erbitten. Allein dieser wagte aus Furcht vor den Teufeln nicht, dem Verlangen zu will¬ fahren. Als Petrus, der ein feiner Menschenkenner war. sah, daß er auf diesem Weg nicht zum Ziele gelangen würde, ersann er einen anderen Plan. Er schlug dem Troveor eine Partie Würfel vor. Dieser konnte der lockenden Versuchung nicht widerstehen, erklärte aber, unter seinen augenblicklichen Verhältnissen nicht bei Kasse zu sein. „Schadet nichts," entgegnete der Pfört¬ ner des Himmels, „ich nehme auch arme Seelen in Zahlung an." Die Partie begann, und der heilige Peter hatte das Glück so entschieden auf seiner Seite, daß er dem armen Troveor eine Seele nach der andern abgewann. Nachdem ungefähr die Hälfte der Seelen verloren war, erklärte der letztere, nicht weiter spielen zu wollen. Petrus ließ indeß seinen Gegner nicht so leichten Kaufs davon kommen; er schlug va baoqus vor. d. h. er setzte alle gewonnenen Seelen gegen die noch im Kessel befindlichen. Natürlich wider¬ stand der Troveor der Versuchung nicht; die Würfel fielen, Se. Peter ge¬ wann, steckte den Nest der Seelen zu den gewonnenen in einen Sack und ging mit ihnen zum Himmel. Gleich darauf kamen die Teufel von ihrem Ausfluge zurück. Als Lucifer den unersetzlichen Verlust so vieler Seelen be¬ merkte, gerieth er in furchtbaren Zorn; beinahe hätte er den Troveor ins Feuer geworfen. Er begnügte sich indeß damit, den Frevler vor die Thür der Hölle zu setzen, indem er ihm zurief: „schert Euch hinaus, lieber Freund, hinaus mit Euch! So dumme Leute können wir hier nicht gebrauchen; nie werde ich wieder einen Troveor in mein Reich aufnehmen; mögen sie ihres Weges gehen, wohin sie wollen, meinetwegen mag Gott sie zu sich in die 32"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/273>, abgerufen am 04.07.2024.