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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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"Verfror'ner Herr/' so spricht sie,
"El, sag', wo kommst Du her?
In welchem Lande warst Du,
Und hast die Taschen leer?
Hast nichts verdient,
Dein Mantelsack wirft Falten,
Und ist gefüllt mit Wind;
Ein Thor ist, dem es fiele ein,
Solch' armem Wichte gut zu sein!"
Wenn ich nach Hause komme,
Und meine Frau erblickt
Den Mantelsack geschwollen,
Mich selber schön geschmückt,
Im Staatsgewand,
Dann wirft sie sonder Zaudern
Die Spindel vus der Hand
Und öffnet ihre Arme weit,
Und lacht mich an voll Zärtlichkeit.

Im Allgemeinen sehen wir, daß das Privatleben der gewerbsmäßigen
Troveors nichts weniger als glänzend war. Sie waren in ihrem Verdienste
allzusehr aus den Zufall und die Stimmung des Publicums angewiesen, und
- diese Stimmung war ihnen in der Zeit, von der wir sprechen, nicht günstig.
Das Angebot in poetischen Erzeugnissen überstieg daher bedeutend das Be¬
dürfniß und die Nachfrage. Aus manchen Andeutungen läßt sich entnehmen,
daß viele, die zu ernsteren Beschäftigungen keine Lust hatten, unter die Tro¬
veors gingen, deren sorgloses Vagabundenleben ihnen besonders zusagte. So
geschah es, daß aus den Festen reicher Leute sich häufig ein ganzer Schwarm
von Dichtern einfand, die einander den Rang in der Gunst der Gesellschaft
abzulaufen suchten. Bisweilen fangen sie in solchem Falle Lieder, die eigens
zu dem Zwecke gedichtet waren, die Concurrenten herab, und sich selbst in
ein günstiges Licht zu setzen. Mehrere solcher Productionen sind uns erhal¬
ten, und dieselben sind keineswegs Muster von Zartheit und Bescheidenheit.
Gewöhnlich geht der Redende von dem schäbigen Aussehn des zu Bekämpfen¬
den aus. Er wundert sich, daß ein Mensch, der nur ein einziges, und noch
dazu verschlissenes Wamms besitze, der eigentlich an den Graben der Land¬
straße gehöre, sich erkühne, in so anständige Gesellschaft einzudringen. Dann
wird dem Gegner seine Unwissenheit vorgeworfen und die eigene Gelehrsam¬
keit herausgestrichen. Der Redende gibt ein Register der Romane und Er¬
zählungen, die er vorzutragen, sowie der Geschicklichkeiten, die er außerdem
auszuüben vermag. Den Schluß bildet gewöhnlich die Aufforderung, einen
so schäbigen und ordinären Kerl, wie den Gegner, hinauszuwerfen.


„Verfror'ner Herr/' so spricht sie,
„El, sag', wo kommst Du her?
In welchem Lande warst Du,
Und hast die Taschen leer?
Hast nichts verdient,
Dein Mantelsack wirft Falten,
Und ist gefüllt mit Wind;
Ein Thor ist, dem es fiele ein,
Solch' armem Wichte gut zu sein!"
Wenn ich nach Hause komme,
Und meine Frau erblickt
Den Mantelsack geschwollen,
Mich selber schön geschmückt,
Im Staatsgewand,
Dann wirft sie sonder Zaudern
Die Spindel vus der Hand
Und öffnet ihre Arme weit,
Und lacht mich an voll Zärtlichkeit.

Im Allgemeinen sehen wir, daß das Privatleben der gewerbsmäßigen
Troveors nichts weniger als glänzend war. Sie waren in ihrem Verdienste
allzusehr aus den Zufall und die Stimmung des Publicums angewiesen, und
- diese Stimmung war ihnen in der Zeit, von der wir sprechen, nicht günstig.
Das Angebot in poetischen Erzeugnissen überstieg daher bedeutend das Be¬
dürfniß und die Nachfrage. Aus manchen Andeutungen läßt sich entnehmen,
daß viele, die zu ernsteren Beschäftigungen keine Lust hatten, unter die Tro¬
veors gingen, deren sorgloses Vagabundenleben ihnen besonders zusagte. So
geschah es, daß aus den Festen reicher Leute sich häufig ein ganzer Schwarm
von Dichtern einfand, die einander den Rang in der Gunst der Gesellschaft
abzulaufen suchten. Bisweilen fangen sie in solchem Falle Lieder, die eigens
zu dem Zwecke gedichtet waren, die Concurrenten herab, und sich selbst in
ein günstiges Licht zu setzen. Mehrere solcher Productionen sind uns erhal¬
ten, und dieselben sind keineswegs Muster von Zartheit und Bescheidenheit.
Gewöhnlich geht der Redende von dem schäbigen Aussehn des zu Bekämpfen¬
den aus. Er wundert sich, daß ein Mensch, der nur ein einziges, und noch
dazu verschlissenes Wamms besitze, der eigentlich an den Graben der Land¬
straße gehöre, sich erkühne, in so anständige Gesellschaft einzudringen. Dann
wird dem Gegner seine Unwissenheit vorgeworfen und die eigene Gelehrsam¬
keit herausgestrichen. Der Redende gibt ein Register der Romane und Er¬
zählungen, die er vorzutragen, sowie der Geschicklichkeiten, die er außerdem
auszuüben vermag. Den Schluß bildet gewöhnlich die Aufforderung, einen
so schäbigen und ordinären Kerl, wie den Gegner, hinauszuwerfen.


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[0272] „Verfror'ner Herr/' so spricht sie, „El, sag', wo kommst Du her? In welchem Lande warst Du, Und hast die Taschen leer? Hast nichts verdient, Dein Mantelsack wirft Falten, Und ist gefüllt mit Wind; Ein Thor ist, dem es fiele ein, Solch' armem Wichte gut zu sein!" Wenn ich nach Hause komme, Und meine Frau erblickt Den Mantelsack geschwollen, Mich selber schön geschmückt, Im Staatsgewand, Dann wirft sie sonder Zaudern Die Spindel vus der Hand Und öffnet ihre Arme weit, Und lacht mich an voll Zärtlichkeit. Im Allgemeinen sehen wir, daß das Privatleben der gewerbsmäßigen Troveors nichts weniger als glänzend war. Sie waren in ihrem Verdienste allzusehr aus den Zufall und die Stimmung des Publicums angewiesen, und - diese Stimmung war ihnen in der Zeit, von der wir sprechen, nicht günstig. Das Angebot in poetischen Erzeugnissen überstieg daher bedeutend das Be¬ dürfniß und die Nachfrage. Aus manchen Andeutungen läßt sich entnehmen, daß viele, die zu ernsteren Beschäftigungen keine Lust hatten, unter die Tro¬ veors gingen, deren sorgloses Vagabundenleben ihnen besonders zusagte. So geschah es, daß aus den Festen reicher Leute sich häufig ein ganzer Schwarm von Dichtern einfand, die einander den Rang in der Gunst der Gesellschaft abzulaufen suchten. Bisweilen fangen sie in solchem Falle Lieder, die eigens zu dem Zwecke gedichtet waren, die Concurrenten herab, und sich selbst in ein günstiges Licht zu setzen. Mehrere solcher Productionen sind uns erhal¬ ten, und dieselben sind keineswegs Muster von Zartheit und Bescheidenheit. Gewöhnlich geht der Redende von dem schäbigen Aussehn des zu Bekämpfen¬ den aus. Er wundert sich, daß ein Mensch, der nur ein einziges, und noch dazu verschlissenes Wamms besitze, der eigentlich an den Graben der Land¬ straße gehöre, sich erkühne, in so anständige Gesellschaft einzudringen. Dann wird dem Gegner seine Unwissenheit vorgeworfen und die eigene Gelehrsam¬ keit herausgestrichen. Der Redende gibt ein Register der Romane und Er¬ zählungen, die er vorzutragen, sowie der Geschicklichkeiten, die er außerdem auszuüben vermag. Den Schluß bildet gewöhnlich die Aufforderung, einen so schäbigen und ordinären Kerl, wie den Gegner, hinauszuwerfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/272>, abgerufen am 02.10.2024.