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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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-- ein Beingerippe. --
Seitdem geboren in der Krippe
Gott von Marie,
Sah man 'nen solchen Eh'stand nie.

Er besaß nichts, als er sie heirathete, und sie noch weniger; jetzt sitzen
sie zusammen und haben weder Holz zum Brennen, noch Hausrath. Der
Dichter schämt sich, seine Freunde zu empfangen, da er sie nicht in so kläg¬
lich meublirte Zimmer sühren mag. Die Zerstörung von Troja war nicht
so gründlich, wie die seiner Verhältnisse. Doch zum Schluß tröstet er sich mit
seinem Dichterruhm. "Ich bin kein Handarbeiter", ruft er aus; "man könnte
mich für einen Priester halten, denn durch meine religiösen Gedichte veran¬
lasse ich mehr Leute, sich zu bekreuzigen, als ein Priester, wenn er das Evan¬
gelium liest. Man darf meine Fabliaux wohl an den.langen Abenden er¬
zählen, denn es gibt keine, die ihnen gleichen." -- Die peinlichsten Augen¬
blicke in seinem Dasein sind diejenigen, in welchen er mit leeren Händen von
einem geschäftlichen Ausfluge zurückkehrt und daheim an die Thür klopft:
"Ich wage nicht, an meine Thür zu klopfen, mit leerer Hand," schreibt er.
und wer nur ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird etwas
von Ehestandsscenen und Gardinenpredigten ahnen. Ein anderer Iroveor,
Lota Nuset, der viel geistige Verwandtschaft mit Ruteveuf zeigt, von dem
uns aber leider nur wenig erhalten ist, hat diese Idee in einem kleinen Ge¬
dichte weiter ausgeführt, von dem wir uns nicht versagen können, einiges
mitzutheilen.


Herr Graf, ich hab' mit der Fiedel
Gebiert Euch lange schon,
Doch habt Ihr noch nicht entrichtet
Den längst verdienten Lohn.
Das ist nicht schön:
Bet Gottes heil'ger Mutter,
Ich werde von Euch gehn.
In meinen Taschen klingt kein Geld,
Mein Mantelsack ist schlecht bestellt.
Herr Graf, dem ich ergeben
Und dem ich Unterthan,
Laßt mich, wenn's Euch gelegen.
Ein reich' Geschenk empfahn
Aus Freundlichkeit;
Denn gern möcht' ich jetzt heimgehn
In meine Häuslichkeit:
Und klingt das Geld im Beutel nicht,
Macht meine Frau ein bös' Gesicht.

Grenzboten III. 1868, 32
— ein Beingerippe. —
Seitdem geboren in der Krippe
Gott von Marie,
Sah man 'nen solchen Eh'stand nie.

Er besaß nichts, als er sie heirathete, und sie noch weniger; jetzt sitzen
sie zusammen und haben weder Holz zum Brennen, noch Hausrath. Der
Dichter schämt sich, seine Freunde zu empfangen, da er sie nicht in so kläg¬
lich meublirte Zimmer sühren mag. Die Zerstörung von Troja war nicht
so gründlich, wie die seiner Verhältnisse. Doch zum Schluß tröstet er sich mit
seinem Dichterruhm. „Ich bin kein Handarbeiter", ruft er aus; „man könnte
mich für einen Priester halten, denn durch meine religiösen Gedichte veran¬
lasse ich mehr Leute, sich zu bekreuzigen, als ein Priester, wenn er das Evan¬
gelium liest. Man darf meine Fabliaux wohl an den.langen Abenden er¬
zählen, denn es gibt keine, die ihnen gleichen." — Die peinlichsten Augen¬
blicke in seinem Dasein sind diejenigen, in welchen er mit leeren Händen von
einem geschäftlichen Ausfluge zurückkehrt und daheim an die Thür klopft:
»Ich wage nicht, an meine Thür zu klopfen, mit leerer Hand," schreibt er.
und wer nur ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird etwas
von Ehestandsscenen und Gardinenpredigten ahnen. Ein anderer Iroveor,
Lota Nuset, der viel geistige Verwandtschaft mit Ruteveuf zeigt, von dem
uns aber leider nur wenig erhalten ist, hat diese Idee in einem kleinen Ge¬
dichte weiter ausgeführt, von dem wir uns nicht versagen können, einiges
mitzutheilen.


Herr Graf, ich hab' mit der Fiedel
Gebiert Euch lange schon,
Doch habt Ihr noch nicht entrichtet
Den längst verdienten Lohn.
Das ist nicht schön:
Bet Gottes heil'ger Mutter,
Ich werde von Euch gehn.
In meinen Taschen klingt kein Geld,
Mein Mantelsack ist schlecht bestellt.
Herr Graf, dem ich ergeben
Und dem ich Unterthan,
Laßt mich, wenn's Euch gelegen.
Ein reich' Geschenk empfahn
Aus Freundlichkeit;
Denn gern möcht' ich jetzt heimgehn
In meine Häuslichkeit:
Und klingt das Geld im Beutel nicht,
Macht meine Frau ein bös' Gesicht.

Grenzboten III. 1868, 32
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[0271] — ein Beingerippe. — Seitdem geboren in der Krippe Gott von Marie, Sah man 'nen solchen Eh'stand nie. Er besaß nichts, als er sie heirathete, und sie noch weniger; jetzt sitzen sie zusammen und haben weder Holz zum Brennen, noch Hausrath. Der Dichter schämt sich, seine Freunde zu empfangen, da er sie nicht in so kläg¬ lich meublirte Zimmer sühren mag. Die Zerstörung von Troja war nicht so gründlich, wie die seiner Verhältnisse. Doch zum Schluß tröstet er sich mit seinem Dichterruhm. „Ich bin kein Handarbeiter", ruft er aus; „man könnte mich für einen Priester halten, denn durch meine religiösen Gedichte veran¬ lasse ich mehr Leute, sich zu bekreuzigen, als ein Priester, wenn er das Evan¬ gelium liest. Man darf meine Fabliaux wohl an den.langen Abenden er¬ zählen, denn es gibt keine, die ihnen gleichen." — Die peinlichsten Augen¬ blicke in seinem Dasein sind diejenigen, in welchen er mit leeren Händen von einem geschäftlichen Ausfluge zurückkehrt und daheim an die Thür klopft: »Ich wage nicht, an meine Thür zu klopfen, mit leerer Hand," schreibt er. und wer nur ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird etwas von Ehestandsscenen und Gardinenpredigten ahnen. Ein anderer Iroveor, Lota Nuset, der viel geistige Verwandtschaft mit Ruteveuf zeigt, von dem uns aber leider nur wenig erhalten ist, hat diese Idee in einem kleinen Ge¬ dichte weiter ausgeführt, von dem wir uns nicht versagen können, einiges mitzutheilen. Herr Graf, ich hab' mit der Fiedel Gebiert Euch lange schon, Doch habt Ihr noch nicht entrichtet Den längst verdienten Lohn. Das ist nicht schön: Bet Gottes heil'ger Mutter, Ich werde von Euch gehn. In meinen Taschen klingt kein Geld, Mein Mantelsack ist schlecht bestellt. Herr Graf, dem ich ergeben Und dem ich Unterthan, Laßt mich, wenn's Euch gelegen. Ein reich' Geschenk empfahn Aus Freundlichkeit; Denn gern möcht' ich jetzt heimgehn In meine Häuslichkeit: Und klingt das Geld im Beutel nicht, Macht meine Frau ein bös' Gesicht. Grenzboten III. 1868, 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/271>, abgerufen am 04.07.2024.