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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Finnland, um auf einem am 25. März 1809 eröffneten Landtage zu Borgo
die Zügel der Negierung zu ergreifen; schon am Is. März desselben Jah¬
res hatte er ein feierliches Manifest erlassen, welches die Verheißung voll¬
ständiger Erhaltung der alten Verfassung und selbständiger Constituirung
des Großfürstenthums enthielt. Dieses Aktenstück, das noch gegenwärtig die
Grundlage der öffentlichen Zustände Finnlandes bildet, lautet wie folgt:
"Wir Alexander I. :c. Großfürst von Finnland thun kund: daß nachdem Wir
durch die Fügung der Vorsehung das Großfürstenthum Finnland in Besitz
genommen, Wir hiermit haben bestätigen und bekräftigen wollen des Landes
Religion und Grundgesetze, wie auch die Privilegien und Gerechtsamen, welche
ein jeder Stand im genannten Großfürstenthume besonders und alle Bewohner
desselben im Allgemeinen so höhere, wie niedrere bis jetzt der Constitution
gemäß genossen haben; indem Wir geloben alle diese Vorrechte und Ver¬
fassungen fest und unverrückt in ihrer vollen Kraft beizubehalten. Zu meh¬
rerer Gewißheit haben wir diese Versicherungsacte mit Unserer eigenhändigen
Unterschrift unterzeichnet."

Um sich die Liebe seiner neuen Unterthanen zu sichern, ging der kluge
Fürst noch einen Schritt weiter; Ostfinnland, das seit dem Jahre 1714 in
russischen Händen war und ein russisches Gouvernement bildete, in dem sich
der russische Einfluß zwar noch nicht consolidirt hatte, das aber bereits viele
Tausend zur griechischen Kirche convertirter finnischer Bewohner zählte --
Ostfinnland wurde mit dem Großfürstenthum verbunden, indem es eine be¬
sondere Provinz desselben bildete und an all' den konstitutionellen Rechten des
Landes, von dem es seit 95 Jahren abgerissen gewesen war, wieder
Theil nahm.

Diese constitutionellen Rechte waren und sind freilich von zweifelhaftem
Werth. Die Grundzüge der finnländischen Verfassung entsprechen vollständig den
Einrichtungen, welche 1772 durch den Staatsstreich Gustavs III. in Schweden
eingeführt waren; während dieser Sieg des Absolutismus an der Stätte, wo
er erfochten worden, nur einige Jahre lang seine Wirkung übte und im wei¬
teren Verlauf wiederum an das Selbstbestimmungsrecht der vier alten Stände
verloren ging, hat er in Finnland einen dauernden Zustand begründet.
Theilnahme an der Gesetzgebung und Steuerbewilligungsrecht war den Stän¬
den von Gustav III. übrig gelassen worden und dieser Prärogativen erfreut
der finnländische Landtag sich noch heute -- Alles Uebrige hängt vom Sou¬
verän ab, der sich freilich Großfürst von Finnland nennt, aber zugleich und
hauptsächlich Kaiser von Rußland ist. Die Rolle, welche dabei für den finn¬
ländischen Landtag übrig geblieben ist, charakterisirt sich am besten dadurch,
daß seit der Versammlung von Borgo bis zum Jahre 1863, mithin 54 Jahre
lang kein Landtag abgehalten worden war!


Finnland, um auf einem am 25. März 1809 eröffneten Landtage zu Borgo
die Zügel der Negierung zu ergreifen; schon am Is. März desselben Jah¬
res hatte er ein feierliches Manifest erlassen, welches die Verheißung voll¬
ständiger Erhaltung der alten Verfassung und selbständiger Constituirung
des Großfürstenthums enthielt. Dieses Aktenstück, das noch gegenwärtig die
Grundlage der öffentlichen Zustände Finnlandes bildet, lautet wie folgt:
„Wir Alexander I. :c. Großfürst von Finnland thun kund: daß nachdem Wir
durch die Fügung der Vorsehung das Großfürstenthum Finnland in Besitz
genommen, Wir hiermit haben bestätigen und bekräftigen wollen des Landes
Religion und Grundgesetze, wie auch die Privilegien und Gerechtsamen, welche
ein jeder Stand im genannten Großfürstenthume besonders und alle Bewohner
desselben im Allgemeinen so höhere, wie niedrere bis jetzt der Constitution
gemäß genossen haben; indem Wir geloben alle diese Vorrechte und Ver¬
fassungen fest und unverrückt in ihrer vollen Kraft beizubehalten. Zu meh¬
rerer Gewißheit haben wir diese Versicherungsacte mit Unserer eigenhändigen
Unterschrift unterzeichnet."

Um sich die Liebe seiner neuen Unterthanen zu sichern, ging der kluge
Fürst noch einen Schritt weiter; Ostfinnland, das seit dem Jahre 1714 in
russischen Händen war und ein russisches Gouvernement bildete, in dem sich
der russische Einfluß zwar noch nicht consolidirt hatte, das aber bereits viele
Tausend zur griechischen Kirche convertirter finnischer Bewohner zählte —
Ostfinnland wurde mit dem Großfürstenthum verbunden, indem es eine be¬
sondere Provinz desselben bildete und an all' den konstitutionellen Rechten des
Landes, von dem es seit 95 Jahren abgerissen gewesen war, wieder
Theil nahm.

Diese constitutionellen Rechte waren und sind freilich von zweifelhaftem
Werth. Die Grundzüge der finnländischen Verfassung entsprechen vollständig den
Einrichtungen, welche 1772 durch den Staatsstreich Gustavs III. in Schweden
eingeführt waren; während dieser Sieg des Absolutismus an der Stätte, wo
er erfochten worden, nur einige Jahre lang seine Wirkung übte und im wei¬
teren Verlauf wiederum an das Selbstbestimmungsrecht der vier alten Stände
verloren ging, hat er in Finnland einen dauernden Zustand begründet.
Theilnahme an der Gesetzgebung und Steuerbewilligungsrecht war den Stän¬
den von Gustav III. übrig gelassen worden und dieser Prärogativen erfreut
der finnländische Landtag sich noch heute — Alles Uebrige hängt vom Sou¬
verän ab, der sich freilich Großfürst von Finnland nennt, aber zugleich und
hauptsächlich Kaiser von Rußland ist. Die Rolle, welche dabei für den finn¬
ländischen Landtag übrig geblieben ist, charakterisirt sich am besten dadurch,
daß seit der Versammlung von Borgo bis zum Jahre 1863, mithin 54 Jahre
lang kein Landtag abgehalten worden war!


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[0246] Finnland, um auf einem am 25. März 1809 eröffneten Landtage zu Borgo die Zügel der Negierung zu ergreifen; schon am Is. März desselben Jah¬ res hatte er ein feierliches Manifest erlassen, welches die Verheißung voll¬ ständiger Erhaltung der alten Verfassung und selbständiger Constituirung des Großfürstenthums enthielt. Dieses Aktenstück, das noch gegenwärtig die Grundlage der öffentlichen Zustände Finnlandes bildet, lautet wie folgt: „Wir Alexander I. :c. Großfürst von Finnland thun kund: daß nachdem Wir durch die Fügung der Vorsehung das Großfürstenthum Finnland in Besitz genommen, Wir hiermit haben bestätigen und bekräftigen wollen des Landes Religion und Grundgesetze, wie auch die Privilegien und Gerechtsamen, welche ein jeder Stand im genannten Großfürstenthume besonders und alle Bewohner desselben im Allgemeinen so höhere, wie niedrere bis jetzt der Constitution gemäß genossen haben; indem Wir geloben alle diese Vorrechte und Ver¬ fassungen fest und unverrückt in ihrer vollen Kraft beizubehalten. Zu meh¬ rerer Gewißheit haben wir diese Versicherungsacte mit Unserer eigenhändigen Unterschrift unterzeichnet." Um sich die Liebe seiner neuen Unterthanen zu sichern, ging der kluge Fürst noch einen Schritt weiter; Ostfinnland, das seit dem Jahre 1714 in russischen Händen war und ein russisches Gouvernement bildete, in dem sich der russische Einfluß zwar noch nicht consolidirt hatte, das aber bereits viele Tausend zur griechischen Kirche convertirter finnischer Bewohner zählte — Ostfinnland wurde mit dem Großfürstenthum verbunden, indem es eine be¬ sondere Provinz desselben bildete und an all' den konstitutionellen Rechten des Landes, von dem es seit 95 Jahren abgerissen gewesen war, wieder Theil nahm. Diese constitutionellen Rechte waren und sind freilich von zweifelhaftem Werth. Die Grundzüge der finnländischen Verfassung entsprechen vollständig den Einrichtungen, welche 1772 durch den Staatsstreich Gustavs III. in Schweden eingeführt waren; während dieser Sieg des Absolutismus an der Stätte, wo er erfochten worden, nur einige Jahre lang seine Wirkung übte und im wei¬ teren Verlauf wiederum an das Selbstbestimmungsrecht der vier alten Stände verloren ging, hat er in Finnland einen dauernden Zustand begründet. Theilnahme an der Gesetzgebung und Steuerbewilligungsrecht war den Stän¬ den von Gustav III. übrig gelassen worden und dieser Prärogativen erfreut der finnländische Landtag sich noch heute — Alles Uebrige hängt vom Sou¬ verän ab, der sich freilich Großfürst von Finnland nennt, aber zugleich und hauptsächlich Kaiser von Rußland ist. Die Rolle, welche dabei für den finn¬ ländischen Landtag übrig geblieben ist, charakterisirt sich am besten dadurch, daß seit der Versammlung von Borgo bis zum Jahre 1863, mithin 54 Jahre lang kein Landtag abgehalten worden war!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/246>, abgerufen am 02.07.2024.