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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Immerhin sicherte das Manifest vom 15. März 1809 dem Großfürsten-
thum eine Anzahl wichtiger Rechte, durch welche dasselbe in vielfacher Be¬
ziehung einen selbständigen Staat bildet: es hat sein eigenes Staats-, Civil-
und Criminalrecht, und ein selbständiges Steuersystem, die Herrschaft des
Lutherthums und der schwedischen Sprache sind formell anerkannt, die Ver¬
waltung ist durchaus selbständig und von den russischen Neichsbehörden un¬
abhängig. Finnland hat ferner seine von der russischen getrennte Finanz¬
verwaltung und stellt keine Rekruten; die Militärpflicht beschränkt sich auf
Erhaltung einiger Bataillone finnländischer Scharfschützen. Eingriffe in die
bestehenden Einrichtungen -- wenn sie auch keineswegs ausgeschlossen sind
und häufig genug vorkommen -- werden durch die wenigstens formell giltige
Bestimmung erschwert, daß jede legislative Veränderung der Zustimmung
aller vier Stände bedarf. In Kriegszeiten verfährt der Kaiser ohne Zu-
Ziehung der Stände; in secundären Fragen genügt die Uebereinstimmung von
drei Ständen; stehen zwei Stimmen gegen zwei, so gilt dies für Ablehnung.

Die Verbindung der russischen Staatsgewalt mit Finnland vermittelt
der vom Kaiser ernannte Staatssecretär, der seinen Wohnsitz in Petersburg
hat und zugleich Präsident eines aus vier Gliedern bestehenden Comite's ist,
welches die einlaufenden Sachen prüft und für die Unterlegung an den Kaiser-
Großfürsten vorbereitet. Innerhalb Landes ruht die gesammte Oberverwal¬
tung in den Händen des kaiserlichen Generalgouverneurs, der zu Helsingfors
residirt. Während der Minister-Staatssecretär geborener Finnländer sein
muß, wird der Generalgouvemeur vom Kaiser ohne jede Einschränkung er¬
nannt; die drei letzten kaiserlichen Statthalter, Graf Berg, Baron Rokassowsky
und Graf Adlerberg (Sohn des Hausministers und jüngerer Bruder des
Commandeurs des kaiserlichen Hauptquartiers) waren sämmtlich Nichtfinn-
länder. Der Generalgouvemeur ist co ipso Präsident des finnländischen
Senats, der obersten Justiz- und Verwaltungsbehörde des Landes, welche
aus mindestens vierzehn, vom Kaiser auf je drei Jahr gewählten Gliedern
besteht. Unter dem Justizdepartement dieser Behörde stehen die drei obersten
Gerichtshöfe (Hofgerichte) von Abo, Wasa und Wyborg. Nächst dem Ge¬
neralgouvemeur ist der Senatsprokurator die vornehmste Person dieser
Oberbehöroe "die Achse, um welche sich der Geschäftsgang bewegt." er nimmt
eine Stellung ein. die der des russischen Justizministers vielfach ähnlich ist,
da dieser zugleich das Amt eines Generalprokureuren des russischen Senats
versieht. Unter den Senatsdepartements stehen die acht Provinzialgouverneure,
welche gleichfalls vom Kaiser ernannt werden; Kronvögte und Lcmdesfiscale
stehen an der Spitze der Kreis- und Kirchspielsverwaltung. Die Justiz wird
auf dem flachen Lande in erster und zweiter Instanz von zwei Wahlbeamten
geübt, denen ein Collegium von je zwölf gewählten Bauern zur Seite steht,


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Immerhin sicherte das Manifest vom 15. März 1809 dem Großfürsten-
thum eine Anzahl wichtiger Rechte, durch welche dasselbe in vielfacher Be¬
ziehung einen selbständigen Staat bildet: es hat sein eigenes Staats-, Civil-
und Criminalrecht, und ein selbständiges Steuersystem, die Herrschaft des
Lutherthums und der schwedischen Sprache sind formell anerkannt, die Ver¬
waltung ist durchaus selbständig und von den russischen Neichsbehörden un¬
abhängig. Finnland hat ferner seine von der russischen getrennte Finanz¬
verwaltung und stellt keine Rekruten; die Militärpflicht beschränkt sich auf
Erhaltung einiger Bataillone finnländischer Scharfschützen. Eingriffe in die
bestehenden Einrichtungen — wenn sie auch keineswegs ausgeschlossen sind
und häufig genug vorkommen — werden durch die wenigstens formell giltige
Bestimmung erschwert, daß jede legislative Veränderung der Zustimmung
aller vier Stände bedarf. In Kriegszeiten verfährt der Kaiser ohne Zu-
Ziehung der Stände; in secundären Fragen genügt die Uebereinstimmung von
drei Ständen; stehen zwei Stimmen gegen zwei, so gilt dies für Ablehnung.

Die Verbindung der russischen Staatsgewalt mit Finnland vermittelt
der vom Kaiser ernannte Staatssecretär, der seinen Wohnsitz in Petersburg
hat und zugleich Präsident eines aus vier Gliedern bestehenden Comite's ist,
welches die einlaufenden Sachen prüft und für die Unterlegung an den Kaiser-
Großfürsten vorbereitet. Innerhalb Landes ruht die gesammte Oberverwal¬
tung in den Händen des kaiserlichen Generalgouverneurs, der zu Helsingfors
residirt. Während der Minister-Staatssecretär geborener Finnländer sein
muß, wird der Generalgouvemeur vom Kaiser ohne jede Einschränkung er¬
nannt; die drei letzten kaiserlichen Statthalter, Graf Berg, Baron Rokassowsky
und Graf Adlerberg (Sohn des Hausministers und jüngerer Bruder des
Commandeurs des kaiserlichen Hauptquartiers) waren sämmtlich Nichtfinn-
länder. Der Generalgouvemeur ist co ipso Präsident des finnländischen
Senats, der obersten Justiz- und Verwaltungsbehörde des Landes, welche
aus mindestens vierzehn, vom Kaiser auf je drei Jahr gewählten Gliedern
besteht. Unter dem Justizdepartement dieser Behörde stehen die drei obersten
Gerichtshöfe (Hofgerichte) von Abo, Wasa und Wyborg. Nächst dem Ge¬
neralgouvemeur ist der Senatsprokurator die vornehmste Person dieser
Oberbehöroe „die Achse, um welche sich der Geschäftsgang bewegt." er nimmt
eine Stellung ein. die der des russischen Justizministers vielfach ähnlich ist,
da dieser zugleich das Amt eines Generalprokureuren des russischen Senats
versieht. Unter den Senatsdepartements stehen die acht Provinzialgouverneure,
welche gleichfalls vom Kaiser ernannt werden; Kronvögte und Lcmdesfiscale
stehen an der Spitze der Kreis- und Kirchspielsverwaltung. Die Justiz wird
auf dem flachen Lande in erster und zweiter Instanz von zwei Wahlbeamten
geübt, denen ein Collegium von je zwölf gewählten Bauern zur Seite steht,


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[0247] Immerhin sicherte das Manifest vom 15. März 1809 dem Großfürsten- thum eine Anzahl wichtiger Rechte, durch welche dasselbe in vielfacher Be¬ ziehung einen selbständigen Staat bildet: es hat sein eigenes Staats-, Civil- und Criminalrecht, und ein selbständiges Steuersystem, die Herrschaft des Lutherthums und der schwedischen Sprache sind formell anerkannt, die Ver¬ waltung ist durchaus selbständig und von den russischen Neichsbehörden un¬ abhängig. Finnland hat ferner seine von der russischen getrennte Finanz¬ verwaltung und stellt keine Rekruten; die Militärpflicht beschränkt sich auf Erhaltung einiger Bataillone finnländischer Scharfschützen. Eingriffe in die bestehenden Einrichtungen — wenn sie auch keineswegs ausgeschlossen sind und häufig genug vorkommen — werden durch die wenigstens formell giltige Bestimmung erschwert, daß jede legislative Veränderung der Zustimmung aller vier Stände bedarf. In Kriegszeiten verfährt der Kaiser ohne Zu- Ziehung der Stände; in secundären Fragen genügt die Uebereinstimmung von drei Ständen; stehen zwei Stimmen gegen zwei, so gilt dies für Ablehnung. Die Verbindung der russischen Staatsgewalt mit Finnland vermittelt der vom Kaiser ernannte Staatssecretär, der seinen Wohnsitz in Petersburg hat und zugleich Präsident eines aus vier Gliedern bestehenden Comite's ist, welches die einlaufenden Sachen prüft und für die Unterlegung an den Kaiser- Großfürsten vorbereitet. Innerhalb Landes ruht die gesammte Oberverwal¬ tung in den Händen des kaiserlichen Generalgouverneurs, der zu Helsingfors residirt. Während der Minister-Staatssecretär geborener Finnländer sein muß, wird der Generalgouvemeur vom Kaiser ohne jede Einschränkung er¬ nannt; die drei letzten kaiserlichen Statthalter, Graf Berg, Baron Rokassowsky und Graf Adlerberg (Sohn des Hausministers und jüngerer Bruder des Commandeurs des kaiserlichen Hauptquartiers) waren sämmtlich Nichtfinn- länder. Der Generalgouvemeur ist co ipso Präsident des finnländischen Senats, der obersten Justiz- und Verwaltungsbehörde des Landes, welche aus mindestens vierzehn, vom Kaiser auf je drei Jahr gewählten Gliedern besteht. Unter dem Justizdepartement dieser Behörde stehen die drei obersten Gerichtshöfe (Hofgerichte) von Abo, Wasa und Wyborg. Nächst dem Ge¬ neralgouvemeur ist der Senatsprokurator die vornehmste Person dieser Oberbehöroe „die Achse, um welche sich der Geschäftsgang bewegt." er nimmt eine Stellung ein. die der des russischen Justizministers vielfach ähnlich ist, da dieser zugleich das Amt eines Generalprokureuren des russischen Senats versieht. Unter den Senatsdepartements stehen die acht Provinzialgouverneure, welche gleichfalls vom Kaiser ernannt werden; Kronvögte und Lcmdesfiscale stehen an der Spitze der Kreis- und Kirchspielsverwaltung. Die Justiz wird auf dem flachen Lande in erster und zweiter Instanz von zwei Wahlbeamten geübt, denen ein Collegium von je zwölf gewählten Bauern zur Seite steht, 29"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/247>, abgerufen am 02.07.2024.