Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Besitz Finnlands nur mühsam behaupten und von seinem Tode bis zur
Thronbesteigung Gustav Adolfs war dieses Grenzland der Schauplatz unauf¬
hörlicher Kämpfe.

Im 17. Jahrhundert trat eine Periode der Ruhe ein; der sieggekrönte
Enkel Gustav Wasa's unterwarf Est- und Livland und wurde dadurch der
unbestrittene Herrscher der Ostsee. Finnland konnte sich von den erlittenen
Einbußen erholen, das Kirchenwesen, die Rechtspflege und die Landesverwal¬
tung wurden neu geordnet, die Städte erweitert und befestigt, Handel und
Schifffahrt durch Freiheiten und Privilegien zu einem gewissen Flor gehoben.
Aber schon unter Karl Gustav begannen die Händel mit Nußland aufs
Neue, unter Karl XII. gingen Ingermannland und Ostfinnland (Karelier mit
der Hauptstadt Wiborg) an Peter den Großen verloren, um durch den Nystädter
Frieden (1721) sammt Liv- und Estland Rußland abgetreten zu werden. Von
da an hatte Rußland die Unterwerfung des gesammten Finnland als festes
unverrückbares Ziel im Auge. Die Parteikämpfe der Mützen und Hüte lähmten
die Lebenskraft des einst so mächtigen nordischen Königreichs, zerstörten den
Zusammenhang der verschiedenen Theile des Reichs, hemmten die Schlag¬
fertigkeit der Armee, während die russische Autokratie trotz aller inneren Wirren
und Pallastrevolutionen immer mächtiger und unwiderstehlicher emporwuchs.
Russische Einflüsse waren seit 1714 im Stillen thätig gewesen, um das Band
zwischen Finnland und Schweden zu lösen; schon Elisabeth, Peters Tochter,
erfreute sich so ausgedehnter, durch das russische Finnland vermittelter Ver¬
bindungen in dem heutigen Großfürstenthum, daß sie die Bewohner desselben
in einem vom 18 März 1742 datirten Manifest auffordern konnte, "sich von
Schwedens Gewalt und Jurisdiction zu befreien und loszumachen, damit das
Land künftig die Gefahr eines verderblichen Krieges und aus demselben
entspringender Calamitäten vermeiden und ein freies, von keinem Theil
dependirendes Land unter eigner, sich selbständig etablirender Regierungsform
bilden könne. Wobei wir zu ihrem Schutz und ihrer Unterstützung mit unsern
Truppen, wann und wie viel sie selbst fordern, bereit sind." Dieser verfrühte
Versuch blieb allerdings folgenlos, unter Gustav III. schien Schwedens Macht
sogar einer Periode der Verjüngung entgegenzusehen -- aber schon im
Jahre 1809 hatte das Verhängnis? sich ersüllt und war das gesammte Gro߬
fürstenthum im Frieden von Friedrichshamm der russischen Krone abgetreten;
der Widerstand, den der General Graf Buxhöwden bei seinem Einrücken in
das Land gefunden, war so unbedeutend gewesen, daß die Anwendung von
Waffengewalt fast überflüssig erschien, die "uneinnehmbare" Festung Sweaborg
(die Citadelle von Helsingfors) fiel durch den Verrath eines bestochenen
schwedischen Offiziers.

Kaiser Alexander I. kam bald nach Beendigung des Krieges selbst nach


Grenzboten III. 1868. 29

Besitz Finnlands nur mühsam behaupten und von seinem Tode bis zur
Thronbesteigung Gustav Adolfs war dieses Grenzland der Schauplatz unauf¬
hörlicher Kämpfe.

Im 17. Jahrhundert trat eine Periode der Ruhe ein; der sieggekrönte
Enkel Gustav Wasa's unterwarf Est- und Livland und wurde dadurch der
unbestrittene Herrscher der Ostsee. Finnland konnte sich von den erlittenen
Einbußen erholen, das Kirchenwesen, die Rechtspflege und die Landesverwal¬
tung wurden neu geordnet, die Städte erweitert und befestigt, Handel und
Schifffahrt durch Freiheiten und Privilegien zu einem gewissen Flor gehoben.
Aber schon unter Karl Gustav begannen die Händel mit Nußland aufs
Neue, unter Karl XII. gingen Ingermannland und Ostfinnland (Karelier mit
der Hauptstadt Wiborg) an Peter den Großen verloren, um durch den Nystädter
Frieden (1721) sammt Liv- und Estland Rußland abgetreten zu werden. Von
da an hatte Rußland die Unterwerfung des gesammten Finnland als festes
unverrückbares Ziel im Auge. Die Parteikämpfe der Mützen und Hüte lähmten
die Lebenskraft des einst so mächtigen nordischen Königreichs, zerstörten den
Zusammenhang der verschiedenen Theile des Reichs, hemmten die Schlag¬
fertigkeit der Armee, während die russische Autokratie trotz aller inneren Wirren
und Pallastrevolutionen immer mächtiger und unwiderstehlicher emporwuchs.
Russische Einflüsse waren seit 1714 im Stillen thätig gewesen, um das Band
zwischen Finnland und Schweden zu lösen; schon Elisabeth, Peters Tochter,
erfreute sich so ausgedehnter, durch das russische Finnland vermittelter Ver¬
bindungen in dem heutigen Großfürstenthum, daß sie die Bewohner desselben
in einem vom 18 März 1742 datirten Manifest auffordern konnte, „sich von
Schwedens Gewalt und Jurisdiction zu befreien und loszumachen, damit das
Land künftig die Gefahr eines verderblichen Krieges und aus demselben
entspringender Calamitäten vermeiden und ein freies, von keinem Theil
dependirendes Land unter eigner, sich selbständig etablirender Regierungsform
bilden könne. Wobei wir zu ihrem Schutz und ihrer Unterstützung mit unsern
Truppen, wann und wie viel sie selbst fordern, bereit sind." Dieser verfrühte
Versuch blieb allerdings folgenlos, unter Gustav III. schien Schwedens Macht
sogar einer Periode der Verjüngung entgegenzusehen — aber schon im
Jahre 1809 hatte das Verhängnis? sich ersüllt und war das gesammte Gro߬
fürstenthum im Frieden von Friedrichshamm der russischen Krone abgetreten;
der Widerstand, den der General Graf Buxhöwden bei seinem Einrücken in
das Land gefunden, war so unbedeutend gewesen, daß die Anwendung von
Waffengewalt fast überflüssig erschien, die „uneinnehmbare" Festung Sweaborg
(die Citadelle von Helsingfors) fiel durch den Verrath eines bestochenen
schwedischen Offiziers.

Kaiser Alexander I. kam bald nach Beendigung des Krieges selbst nach


Grenzboten III. 1868. 29
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286957"/>
            <p xml:id="ID_638" prev="#ID_637"> Besitz Finnlands nur mühsam behaupten und von seinem Tode bis zur<lb/>
Thronbesteigung Gustav Adolfs war dieses Grenzland der Schauplatz unauf¬<lb/>
hörlicher Kämpfe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_639"> Im 17. Jahrhundert trat eine Periode der Ruhe ein; der sieggekrönte<lb/>
Enkel Gustav Wasa's unterwarf Est- und Livland und wurde dadurch der<lb/>
unbestrittene Herrscher der Ostsee. Finnland konnte sich von den erlittenen<lb/>
Einbußen erholen, das Kirchenwesen, die Rechtspflege und die Landesverwal¬<lb/>
tung wurden neu geordnet, die Städte erweitert und befestigt, Handel und<lb/>
Schifffahrt durch Freiheiten und Privilegien zu einem gewissen Flor gehoben.<lb/>
Aber schon unter Karl Gustav begannen die Händel mit Nußland aufs<lb/>
Neue, unter Karl XII. gingen Ingermannland und Ostfinnland (Karelier mit<lb/>
der Hauptstadt Wiborg) an Peter den Großen verloren, um durch den Nystädter<lb/>
Frieden (1721) sammt Liv- und Estland Rußland abgetreten zu werden. Von<lb/>
da an hatte Rußland die Unterwerfung des gesammten Finnland als festes<lb/>
unverrückbares Ziel im Auge. Die Parteikämpfe der Mützen und Hüte lähmten<lb/>
die Lebenskraft des einst so mächtigen nordischen Königreichs, zerstörten den<lb/>
Zusammenhang der verschiedenen Theile des Reichs, hemmten die Schlag¬<lb/>
fertigkeit der Armee, während die russische Autokratie trotz aller inneren Wirren<lb/>
und Pallastrevolutionen immer mächtiger und unwiderstehlicher emporwuchs.<lb/>
Russische Einflüsse waren seit 1714 im Stillen thätig gewesen, um das Band<lb/>
zwischen Finnland und Schweden zu lösen; schon Elisabeth, Peters Tochter,<lb/>
erfreute sich so ausgedehnter, durch das russische Finnland vermittelter Ver¬<lb/>
bindungen in dem heutigen Großfürstenthum, daß sie die Bewohner desselben<lb/>
in einem vom 18 März 1742 datirten Manifest auffordern konnte, &#x201E;sich von<lb/>
Schwedens Gewalt und Jurisdiction zu befreien und loszumachen, damit das<lb/>
Land künftig die Gefahr eines verderblichen Krieges und aus demselben<lb/>
entspringender Calamitäten vermeiden und ein freies, von keinem Theil<lb/>
dependirendes Land unter eigner, sich selbständig etablirender Regierungsform<lb/>
bilden könne. Wobei wir zu ihrem Schutz und ihrer Unterstützung mit unsern<lb/>
Truppen, wann und wie viel sie selbst fordern, bereit sind." Dieser verfrühte<lb/>
Versuch blieb allerdings folgenlos, unter Gustav III. schien Schwedens Macht<lb/>
sogar einer Periode der Verjüngung entgegenzusehen &#x2014; aber schon im<lb/>
Jahre 1809 hatte das Verhängnis? sich ersüllt und war das gesammte Gro߬<lb/>
fürstenthum im Frieden von Friedrichshamm der russischen Krone abgetreten;<lb/>
der Widerstand, den der General Graf Buxhöwden bei seinem Einrücken in<lb/>
das Land gefunden, war so unbedeutend gewesen, daß die Anwendung von<lb/>
Waffengewalt fast überflüssig erschien, die &#x201E;uneinnehmbare" Festung Sweaborg<lb/>
(die Citadelle von Helsingfors) fiel durch den Verrath eines bestochenen<lb/>
schwedischen Offiziers.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_640" next="#ID_641"> Kaiser Alexander I. kam bald nach Beendigung des Krieges selbst nach</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1868. 29</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0245] Besitz Finnlands nur mühsam behaupten und von seinem Tode bis zur Thronbesteigung Gustav Adolfs war dieses Grenzland der Schauplatz unauf¬ hörlicher Kämpfe. Im 17. Jahrhundert trat eine Periode der Ruhe ein; der sieggekrönte Enkel Gustav Wasa's unterwarf Est- und Livland und wurde dadurch der unbestrittene Herrscher der Ostsee. Finnland konnte sich von den erlittenen Einbußen erholen, das Kirchenwesen, die Rechtspflege und die Landesverwal¬ tung wurden neu geordnet, die Städte erweitert und befestigt, Handel und Schifffahrt durch Freiheiten und Privilegien zu einem gewissen Flor gehoben. Aber schon unter Karl Gustav begannen die Händel mit Nußland aufs Neue, unter Karl XII. gingen Ingermannland und Ostfinnland (Karelier mit der Hauptstadt Wiborg) an Peter den Großen verloren, um durch den Nystädter Frieden (1721) sammt Liv- und Estland Rußland abgetreten zu werden. Von da an hatte Rußland die Unterwerfung des gesammten Finnland als festes unverrückbares Ziel im Auge. Die Parteikämpfe der Mützen und Hüte lähmten die Lebenskraft des einst so mächtigen nordischen Königreichs, zerstörten den Zusammenhang der verschiedenen Theile des Reichs, hemmten die Schlag¬ fertigkeit der Armee, während die russische Autokratie trotz aller inneren Wirren und Pallastrevolutionen immer mächtiger und unwiderstehlicher emporwuchs. Russische Einflüsse waren seit 1714 im Stillen thätig gewesen, um das Band zwischen Finnland und Schweden zu lösen; schon Elisabeth, Peters Tochter, erfreute sich so ausgedehnter, durch das russische Finnland vermittelter Ver¬ bindungen in dem heutigen Großfürstenthum, daß sie die Bewohner desselben in einem vom 18 März 1742 datirten Manifest auffordern konnte, „sich von Schwedens Gewalt und Jurisdiction zu befreien und loszumachen, damit das Land künftig die Gefahr eines verderblichen Krieges und aus demselben entspringender Calamitäten vermeiden und ein freies, von keinem Theil dependirendes Land unter eigner, sich selbständig etablirender Regierungsform bilden könne. Wobei wir zu ihrem Schutz und ihrer Unterstützung mit unsern Truppen, wann und wie viel sie selbst fordern, bereit sind." Dieser verfrühte Versuch blieb allerdings folgenlos, unter Gustav III. schien Schwedens Macht sogar einer Periode der Verjüngung entgegenzusehen — aber schon im Jahre 1809 hatte das Verhängnis? sich ersüllt und war das gesammte Gro߬ fürstenthum im Frieden von Friedrichshamm der russischen Krone abgetreten; der Widerstand, den der General Graf Buxhöwden bei seinem Einrücken in das Land gefunden, war so unbedeutend gewesen, daß die Anwendung von Waffengewalt fast überflüssig erschien, die „uneinnehmbare" Festung Sweaborg (die Citadelle von Helsingfors) fiel durch den Verrath eines bestochenen schwedischen Offiziers. Kaiser Alexander I. kam bald nach Beendigung des Krieges selbst nach Grenzboten III. 1868. 29

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/245
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/245>, abgerufen am 02.07.2024.