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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Bevölkerung wohnt in Städten, die übrigen 90"/<> sind über das Land zer¬
streut, häufig durch so große Entfernungen getrennt, daß der Hilfsbedürftige
zu Grunde geht, ehe er sich durch Schnee und Eis zu den nächsten Nachbarn
durchgearbeitet hat. Die Urbewohner bilden einen Stamm der großen fin¬
nischen Völkerfamilie, die bis zum Ural hin ihre Sitze hat, aber fast allent¬
halben fremden Völkern unterworfen ist; wie der Finne von Peru und Uf
dem Russen, der Este dem baltischen Deutschen, so ist der Finne von Suo-
menmaa (die nationale Bezeichnung für das Großfürstenthum) seit Jahrhun¬
derten schwedischen Einfluß unterworfen. Schon im 13. Jahrhundert
faßten schwedische Herrscher östlich vom böhmischen Meerbusen festen
Fuß, indem sie den südlichen Theil des heutigen Großfürstenthums, Tawast-
land und Karelier unterwarfen und dann weiter bis nach Ingermann-
land (das heutige Gouvernement Se. Petersburg) vordrangen. Der Stempel
ihrer Kultur war bald dem gesammten Lande aufgeprägt, von den Schweden
empfingen die Finnen das Christenthum, lernten sie die Elemente alles Wissens,
wurden sie im 16. Jahrhundert der lutherischen Kirchenreformation unter¬
worfen. Es war kein schweres Joch, das die Enkel Jarls und Thorkels den
Besiegten aufzwangcn, denn die altscandinavische Bauernfreiheit wurde auch
dem Finnen gegönnt, wenn dieser sich gefallen ließ, allen politischen Einfluß
in den Händen der Schweden zu lassen. Der schwedische Ritter waltete als
Richter und Bezirkshauptmann, er führte die Fahne, wenn von Stockholm
her ein Aufgebot ergangen war, schwedische Priester und Lehrer sorgten für
die Volksbildung, die Städte waren rein schwedische Schöpfungen: Abo soll
bereits von Erik dem Heiligen angelegt worden sein, Wiborg wurde von
Torkel Knutssohn, Tawaftehus von Birger Jarl begründet und mit schwe¬
dischen Kolonisten bevölkert. Das harte Geschick der den Russen unterwor¬
fenen Finnenstämme trug wesentlich dazu bei, die Stellung der schwedischen
Herrscher zu befestigen; in immerwährenden Raubzügen suchten die Gro߬
fürsten von Nowgorod ihre Macht nach Westen auszudehnen und ihre alten
Ansprüche auf Tawasteland zu behaupten, das, russischer Tradition zu Folge,
schon in vorschwedischer Zeit unterworfen und christianisirt gewesen sein soll.
Nur im Bunde mit dem schwedischen Element ließ sich diesen gefährlichen
Feinden Widerstand leisten, die unter Alexander Newski bereits siegreich bis
in das Herz Kareliens vorgedrungen waren und aller Wahrscheinlichkeit nach
ihre Eroberung behauptet hätten, wenn nicht die unglückliche Schlacht an
der Kalka (1224) die Horden Tschingischans in die sarmatische Ebene geführt
und für Jahrhunderte alles Leben erstickt hätten. Als Iwan II., der Sammler
nach Abschüttelung des Mongolenjochs den Zaarenthron bestiegen und dem
Unwesen der Theilfürstenthümer und der Kleinstaaterei ein Ende gemacht
hatte, rückte die russische Gefahr noch näher; schon Seen Sture konnte den


Bevölkerung wohnt in Städten, die übrigen 90"/<> sind über das Land zer¬
streut, häufig durch so große Entfernungen getrennt, daß der Hilfsbedürftige
zu Grunde geht, ehe er sich durch Schnee und Eis zu den nächsten Nachbarn
durchgearbeitet hat. Die Urbewohner bilden einen Stamm der großen fin¬
nischen Völkerfamilie, die bis zum Ural hin ihre Sitze hat, aber fast allent¬
halben fremden Völkern unterworfen ist; wie der Finne von Peru und Uf
dem Russen, der Este dem baltischen Deutschen, so ist der Finne von Suo-
menmaa (die nationale Bezeichnung für das Großfürstenthum) seit Jahrhun¬
derten schwedischen Einfluß unterworfen. Schon im 13. Jahrhundert
faßten schwedische Herrscher östlich vom böhmischen Meerbusen festen
Fuß, indem sie den südlichen Theil des heutigen Großfürstenthums, Tawast-
land und Karelier unterwarfen und dann weiter bis nach Ingermann-
land (das heutige Gouvernement Se. Petersburg) vordrangen. Der Stempel
ihrer Kultur war bald dem gesammten Lande aufgeprägt, von den Schweden
empfingen die Finnen das Christenthum, lernten sie die Elemente alles Wissens,
wurden sie im 16. Jahrhundert der lutherischen Kirchenreformation unter¬
worfen. Es war kein schweres Joch, das die Enkel Jarls und Thorkels den
Besiegten aufzwangcn, denn die altscandinavische Bauernfreiheit wurde auch
dem Finnen gegönnt, wenn dieser sich gefallen ließ, allen politischen Einfluß
in den Händen der Schweden zu lassen. Der schwedische Ritter waltete als
Richter und Bezirkshauptmann, er führte die Fahne, wenn von Stockholm
her ein Aufgebot ergangen war, schwedische Priester und Lehrer sorgten für
die Volksbildung, die Städte waren rein schwedische Schöpfungen: Abo soll
bereits von Erik dem Heiligen angelegt worden sein, Wiborg wurde von
Torkel Knutssohn, Tawaftehus von Birger Jarl begründet und mit schwe¬
dischen Kolonisten bevölkert. Das harte Geschick der den Russen unterwor¬
fenen Finnenstämme trug wesentlich dazu bei, die Stellung der schwedischen
Herrscher zu befestigen; in immerwährenden Raubzügen suchten die Gro߬
fürsten von Nowgorod ihre Macht nach Westen auszudehnen und ihre alten
Ansprüche auf Tawasteland zu behaupten, das, russischer Tradition zu Folge,
schon in vorschwedischer Zeit unterworfen und christianisirt gewesen sein soll.
Nur im Bunde mit dem schwedischen Element ließ sich diesen gefährlichen
Feinden Widerstand leisten, die unter Alexander Newski bereits siegreich bis
in das Herz Kareliens vorgedrungen waren und aller Wahrscheinlichkeit nach
ihre Eroberung behauptet hätten, wenn nicht die unglückliche Schlacht an
der Kalka (1224) die Horden Tschingischans in die sarmatische Ebene geführt
und für Jahrhunderte alles Leben erstickt hätten. Als Iwan II., der Sammler
nach Abschüttelung des Mongolenjochs den Zaarenthron bestiegen und dem
Unwesen der Theilfürstenthümer und der Kleinstaaterei ein Ende gemacht
hatte, rückte die russische Gefahr noch näher; schon Seen Sture konnte den


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[0244] Bevölkerung wohnt in Städten, die übrigen 90"/<> sind über das Land zer¬ streut, häufig durch so große Entfernungen getrennt, daß der Hilfsbedürftige zu Grunde geht, ehe er sich durch Schnee und Eis zu den nächsten Nachbarn durchgearbeitet hat. Die Urbewohner bilden einen Stamm der großen fin¬ nischen Völkerfamilie, die bis zum Ural hin ihre Sitze hat, aber fast allent¬ halben fremden Völkern unterworfen ist; wie der Finne von Peru und Uf dem Russen, der Este dem baltischen Deutschen, so ist der Finne von Suo- menmaa (die nationale Bezeichnung für das Großfürstenthum) seit Jahrhun¬ derten schwedischen Einfluß unterworfen. Schon im 13. Jahrhundert faßten schwedische Herrscher östlich vom böhmischen Meerbusen festen Fuß, indem sie den südlichen Theil des heutigen Großfürstenthums, Tawast- land und Karelier unterwarfen und dann weiter bis nach Ingermann- land (das heutige Gouvernement Se. Petersburg) vordrangen. Der Stempel ihrer Kultur war bald dem gesammten Lande aufgeprägt, von den Schweden empfingen die Finnen das Christenthum, lernten sie die Elemente alles Wissens, wurden sie im 16. Jahrhundert der lutherischen Kirchenreformation unter¬ worfen. Es war kein schweres Joch, das die Enkel Jarls und Thorkels den Besiegten aufzwangcn, denn die altscandinavische Bauernfreiheit wurde auch dem Finnen gegönnt, wenn dieser sich gefallen ließ, allen politischen Einfluß in den Händen der Schweden zu lassen. Der schwedische Ritter waltete als Richter und Bezirkshauptmann, er führte die Fahne, wenn von Stockholm her ein Aufgebot ergangen war, schwedische Priester und Lehrer sorgten für die Volksbildung, die Städte waren rein schwedische Schöpfungen: Abo soll bereits von Erik dem Heiligen angelegt worden sein, Wiborg wurde von Torkel Knutssohn, Tawaftehus von Birger Jarl begründet und mit schwe¬ dischen Kolonisten bevölkert. Das harte Geschick der den Russen unterwor¬ fenen Finnenstämme trug wesentlich dazu bei, die Stellung der schwedischen Herrscher zu befestigen; in immerwährenden Raubzügen suchten die Gro߬ fürsten von Nowgorod ihre Macht nach Westen auszudehnen und ihre alten Ansprüche auf Tawasteland zu behaupten, das, russischer Tradition zu Folge, schon in vorschwedischer Zeit unterworfen und christianisirt gewesen sein soll. Nur im Bunde mit dem schwedischen Element ließ sich diesen gefährlichen Feinden Widerstand leisten, die unter Alexander Newski bereits siegreich bis in das Herz Kareliens vorgedrungen waren und aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Eroberung behauptet hätten, wenn nicht die unglückliche Schlacht an der Kalka (1224) die Horden Tschingischans in die sarmatische Ebene geführt und für Jahrhunderte alles Leben erstickt hätten. Als Iwan II., der Sammler nach Abschüttelung des Mongolenjochs den Zaarenthron bestiegen und dem Unwesen der Theilfürstenthümer und der Kleinstaaterei ein Ende gemacht hatte, rückte die russische Gefahr noch näher; schon Seen Sture konnte den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/244>, abgerufen am 02.07.2024.