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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Doch es ist Zeit, dem Leser die schweigsamen Wunder seiner bisherigen
Reise zu erklären. Stellung von PostPferden und Postillonen ist in Finnland
ein "uns publicum der Gemeinden, dem das Recht zur Erhebung eines mäßi¬
gen Fahrgeldes entspricht; der Reihe nach senden die bäuerlichen Anwohner der
Poststationen ihre Pferde und Knechte auf dieselbe. Neben dem Stationshause
angelegte Hütten und Ställe sorgen für die Unterkunft dieses improvisirten
PostPersonals, welches wöchentlich wechselt, die Bauerfrau begleitet diese
Expedition, um die Wirthschaft zu führen; der Reisende, der von ihr Nahrung
oder Nachtquartier zu erhalten wünscht, hat sie in ihrer anliegenden Behausung
aufzusuchen. Gelingt es ihm, sich verständlich zu machen, so erhält er das
Nöthige in erträglicher Qualität zu mäßigen, durch die Taxe vorgesehenen
Preisen. Auf diese Weise werden unnütze Unkosten für Bezahlung eines'
Expeditors u. f. w. gespart und die bescheidenen Verkehrsbedürfnisse des
menschenarmen Landes, das nur während der sommerlichen Wochen zu wirk¬
lichem Leben erwacht, lassen sich an diesem Auskunftsmittel genügen. Com-
plicirtere' und kostspieligere Einrichtungen würden der Mühe und der Unkosten
nicht verlohnen, da sie nur während der kürzeren Hälfte des Jahres auf
ausgiebige Benutzung rechnen könnten. Die kleine Eisenbahnstrecke von
Helsingfors nach Tawastehus bildet die einzige Abweichung von diesem Ver¬
kehrssystem, der Schienenweg von der finnländischen nach der russischen Haupt¬
stadt existirt bis jetzt nur auf dem Papier.

Finnlands Küstenbildung entspricht, wie schon ein Blick auf die Land¬
karte lehrt, der der skandinavischen Halbinsel. Granitne Felsklippen und soge¬
nannte Scheeren ragen in endlosem Zickzack in das Meer. Buchten von
größerer und geringerer Breite bildend. An der Küste des finnischen und
an dem südlichen Theil des böhmischen Meerbusens ragen unweit dem Fest¬
lande zahlreiche kleine Eilande aus dem Meer heraus, gleichsam den Eingang
zum festen Lande bewachend und nur zum geringsten Theile bewohnt. Da
das Innere des Landes von einer Doppelkette endloser Seen zerrissen ist,
mächtige Sümpfe und auf felsigem Boden gewachsene Gestrüppe die zum
Anbau geeigneten Strecken wie Oasen erscheinen lassen, der Feldbau ein bei
der Unsicherheit des Klimas wenig lohnendes, mindestens unsicheres Hand¬
werk ist, drängt die Mehrzahl der Bevölkerung den Küsten zu, wo Handel,
Schifffahrt, Fremdenverkehr und Fischeret ein erträgliches Auskomme" sichern.
Hier findet sich die Mehrzahl der Städte, hier sind Truppen stationirt.
Fabriken und industrielle Unternehmungen angelegt, hier finden sich die Cen¬
tren des geistigen Lebens, werden die politischen und literarischen Schlagworte
ausgegeben. Je weiter ins Land hinein, desto dünner wird die Bevölkerung,
desto düsterer der Charakter der Landschaft, desto schwerer ist die Spur mensch¬
licher Thätigkeit und Culturarbeit erkennbar.


Doch es ist Zeit, dem Leser die schweigsamen Wunder seiner bisherigen
Reise zu erklären. Stellung von PostPferden und Postillonen ist in Finnland
ein «uns publicum der Gemeinden, dem das Recht zur Erhebung eines mäßi¬
gen Fahrgeldes entspricht; der Reihe nach senden die bäuerlichen Anwohner der
Poststationen ihre Pferde und Knechte auf dieselbe. Neben dem Stationshause
angelegte Hütten und Ställe sorgen für die Unterkunft dieses improvisirten
PostPersonals, welches wöchentlich wechselt, die Bauerfrau begleitet diese
Expedition, um die Wirthschaft zu führen; der Reisende, der von ihr Nahrung
oder Nachtquartier zu erhalten wünscht, hat sie in ihrer anliegenden Behausung
aufzusuchen. Gelingt es ihm, sich verständlich zu machen, so erhält er das
Nöthige in erträglicher Qualität zu mäßigen, durch die Taxe vorgesehenen
Preisen. Auf diese Weise werden unnütze Unkosten für Bezahlung eines'
Expeditors u. f. w. gespart und die bescheidenen Verkehrsbedürfnisse des
menschenarmen Landes, das nur während der sommerlichen Wochen zu wirk¬
lichem Leben erwacht, lassen sich an diesem Auskunftsmittel genügen. Com-
plicirtere' und kostspieligere Einrichtungen würden der Mühe und der Unkosten
nicht verlohnen, da sie nur während der kürzeren Hälfte des Jahres auf
ausgiebige Benutzung rechnen könnten. Die kleine Eisenbahnstrecke von
Helsingfors nach Tawastehus bildet die einzige Abweichung von diesem Ver¬
kehrssystem, der Schienenweg von der finnländischen nach der russischen Haupt¬
stadt existirt bis jetzt nur auf dem Papier.

Finnlands Küstenbildung entspricht, wie schon ein Blick auf die Land¬
karte lehrt, der der skandinavischen Halbinsel. Granitne Felsklippen und soge¬
nannte Scheeren ragen in endlosem Zickzack in das Meer. Buchten von
größerer und geringerer Breite bildend. An der Küste des finnischen und
an dem südlichen Theil des böhmischen Meerbusens ragen unweit dem Fest¬
lande zahlreiche kleine Eilande aus dem Meer heraus, gleichsam den Eingang
zum festen Lande bewachend und nur zum geringsten Theile bewohnt. Da
das Innere des Landes von einer Doppelkette endloser Seen zerrissen ist,
mächtige Sümpfe und auf felsigem Boden gewachsene Gestrüppe die zum
Anbau geeigneten Strecken wie Oasen erscheinen lassen, der Feldbau ein bei
der Unsicherheit des Klimas wenig lohnendes, mindestens unsicheres Hand¬
werk ist, drängt die Mehrzahl der Bevölkerung den Küsten zu, wo Handel,
Schifffahrt, Fremdenverkehr und Fischeret ein erträgliches Auskomme» sichern.
Hier findet sich die Mehrzahl der Städte, hier sind Truppen stationirt.
Fabriken und industrielle Unternehmungen angelegt, hier finden sich die Cen¬
tren des geistigen Lebens, werden die politischen und literarischen Schlagworte
ausgegeben. Je weiter ins Land hinein, desto dünner wird die Bevölkerung,
desto düsterer der Charakter der Landschaft, desto schwerer ist die Spur mensch¬
licher Thätigkeit und Culturarbeit erkennbar.


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[0241] Doch es ist Zeit, dem Leser die schweigsamen Wunder seiner bisherigen Reise zu erklären. Stellung von PostPferden und Postillonen ist in Finnland ein «uns publicum der Gemeinden, dem das Recht zur Erhebung eines mäßi¬ gen Fahrgeldes entspricht; der Reihe nach senden die bäuerlichen Anwohner der Poststationen ihre Pferde und Knechte auf dieselbe. Neben dem Stationshause angelegte Hütten und Ställe sorgen für die Unterkunft dieses improvisirten PostPersonals, welches wöchentlich wechselt, die Bauerfrau begleitet diese Expedition, um die Wirthschaft zu führen; der Reisende, der von ihr Nahrung oder Nachtquartier zu erhalten wünscht, hat sie in ihrer anliegenden Behausung aufzusuchen. Gelingt es ihm, sich verständlich zu machen, so erhält er das Nöthige in erträglicher Qualität zu mäßigen, durch die Taxe vorgesehenen Preisen. Auf diese Weise werden unnütze Unkosten für Bezahlung eines' Expeditors u. f. w. gespart und die bescheidenen Verkehrsbedürfnisse des menschenarmen Landes, das nur während der sommerlichen Wochen zu wirk¬ lichem Leben erwacht, lassen sich an diesem Auskunftsmittel genügen. Com- plicirtere' und kostspieligere Einrichtungen würden der Mühe und der Unkosten nicht verlohnen, da sie nur während der kürzeren Hälfte des Jahres auf ausgiebige Benutzung rechnen könnten. Die kleine Eisenbahnstrecke von Helsingfors nach Tawastehus bildet die einzige Abweichung von diesem Ver¬ kehrssystem, der Schienenweg von der finnländischen nach der russischen Haupt¬ stadt existirt bis jetzt nur auf dem Papier. Finnlands Küstenbildung entspricht, wie schon ein Blick auf die Land¬ karte lehrt, der der skandinavischen Halbinsel. Granitne Felsklippen und soge¬ nannte Scheeren ragen in endlosem Zickzack in das Meer. Buchten von größerer und geringerer Breite bildend. An der Küste des finnischen und an dem südlichen Theil des böhmischen Meerbusens ragen unweit dem Fest¬ lande zahlreiche kleine Eilande aus dem Meer heraus, gleichsam den Eingang zum festen Lande bewachend und nur zum geringsten Theile bewohnt. Da das Innere des Landes von einer Doppelkette endloser Seen zerrissen ist, mächtige Sümpfe und auf felsigem Boden gewachsene Gestrüppe die zum Anbau geeigneten Strecken wie Oasen erscheinen lassen, der Feldbau ein bei der Unsicherheit des Klimas wenig lohnendes, mindestens unsicheres Hand¬ werk ist, drängt die Mehrzahl der Bevölkerung den Küsten zu, wo Handel, Schifffahrt, Fremdenverkehr und Fischeret ein erträgliches Auskomme» sichern. Hier findet sich die Mehrzahl der Städte, hier sind Truppen stationirt. Fabriken und industrielle Unternehmungen angelegt, hier finden sich die Cen¬ tren des geistigen Lebens, werden die politischen und literarischen Schlagworte ausgegeben. Je weiter ins Land hinein, desto dünner wird die Bevölkerung, desto düsterer der Charakter der Landschaft, desto schwerer ist die Spur mensch¬ licher Thätigkeit und Culturarbeit erkennbar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/241>, abgerufen am 02.07.2024.