Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.gewordenen Schlagwort festhält: "Wir haben die Aufgabe zwischen Nord¬ Wenn von den verschiedensten Seiten versichert wird, daß die Beziehun¬ gewordenen Schlagwort festhält: „Wir haben die Aufgabe zwischen Nord¬ Wenn von den verschiedensten Seiten versichert wird, daß die Beziehun¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286922"/> <p xml:id="ID_562" prev="#ID_561"> gewordenen Schlagwort festhält: „Wir haben die Aufgabe zwischen Nord¬<lb/> deutschland und Oesterreich zu vermitteln." Ganz abgesehen davon, daß von<lb/> einer solchen Vermittelung ernstlich und nachdrücklich nur die Rede sein könnte,<lb/> wenn die Süddeutschen als Bundesmitglieder in Fragen deutscher Politik mit¬<lb/> zusprechen hätten, steht die Sache so, daß die Zurückhaltung des Südens<lb/> der Hauptfactor ist, mit welchem Preußens östreichische Feinde rechnen.<lb/> Der süddeutsche Seperatismus macht der gegenwärtigen östreichischen Regie¬<lb/> rung, sobald er offene Sprache führt, fortwährend Vorwürfe, wegen seiner Abwen¬<lb/> dung von inneren deutschen Fragen und eine „Vermittelung" existirt that¬<lb/> sächlich nur auf dem Blatt Papier, aus welches das sogenannte großdeutsche Pro¬<lb/> gramm geschrieben ist. In keiner der Phasen, welche das Verhältniß zwi¬<lb/> schen Oestreich und Preußen seit dem Sommer 1866 durchgemacht hat, ist<lb/> von Einflüssen süddeutscher Regierungen überhaupt die Rede gewesen, die<lb/> feierlich übernommene „Vermittelung" hat es nicht weiter gebracht, als zu<lb/> Hurrahrufen, die aus Schützenfesten ausgestoßen wurden, wenn ein östreichi¬<lb/> scher Bruder begeistert ausgerufen hatte. „ Das ganze Deutschland soll es sein."<lb/> Wer mit den Traditionen und mit der Zusammensetzung der süddeutschen<lb/> Diplomatie bekannt ist, der muß wissen, daß sie zu wirklicher „Vermittelung"<lb/> weder das Zeug noch den Beruf hat und daß sie ihre Wege anderswo hin¬<lb/> führen als nach Berlin oder in das Wien von heute. Daß die Vermittlung<lb/> zwischen Oestreich und Preußen Süddeutschlands specieller Beruf sei, ist eine<lb/> jener hergebrachten Phrasen, welche nur noch gebraucht werden, wenn keine<lb/> anderen bei der Hand sind und die schon seit lange keinen Sinn mehr<lb/> haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_563" next="#ID_564"> Wenn von den verschiedensten Seiten versichert wird, daß die Beziehun¬<lb/> gen zwischen den beiden ehemaligen deutschen Großmächten sich neuerdings<lb/> gebessert haben, so ist das nicht den Einflüssen Dritter, sondern wesentlich<lb/> dem Umstände zuzuschreiben, daß die wachsende Möglichkeit einer Lösung der<lb/> inneren Schwierigkeiten, an denen Oestreich krankt, das Friedensbedürfniß<lb/> der östreichischen Staatsmänner consolidirt und die Einsicht befestigt hat, daß<lb/> es keinem der europäischen Großstaaten so ernsthaft und ehrlich um Erhal¬<lb/> tung des Friedens zu thun ist, wie dem preußischen. So lange die alten<lb/> Traditionen in der Hofburg das Wort führten, war Regel, daß die Arbeit<lb/> an der Heilung der inneren Schäden des Reichs nur so weit betrieben wurde,<lb/> daß man den Kopf über Wasser bekam; war der dringendsten Noth abgehol¬<lb/> fen, so nahm man wieder das ehrgeizige große Spiel auf, durch welches man<lb/> an den Rand des Abgrundes gerathen war. Einen größeren Fortschritt kann<lb/> die östreichische Staatskunst nicht machen, als wenn sich sich an den bisheri¬<lb/> gen Resultaten nicht genügen läßt, sondern weiter zu arbeiten sucht und zu<lb/> diesem Zweck aus auswärtige Diversionen dauernd verzichtet. In diesem Sinn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
gewordenen Schlagwort festhält: „Wir haben die Aufgabe zwischen Nord¬
deutschland und Oesterreich zu vermitteln." Ganz abgesehen davon, daß von
einer solchen Vermittelung ernstlich und nachdrücklich nur die Rede sein könnte,
wenn die Süddeutschen als Bundesmitglieder in Fragen deutscher Politik mit¬
zusprechen hätten, steht die Sache so, daß die Zurückhaltung des Südens
der Hauptfactor ist, mit welchem Preußens östreichische Feinde rechnen.
Der süddeutsche Seperatismus macht der gegenwärtigen östreichischen Regie¬
rung, sobald er offene Sprache führt, fortwährend Vorwürfe, wegen seiner Abwen¬
dung von inneren deutschen Fragen und eine „Vermittelung" existirt that¬
sächlich nur auf dem Blatt Papier, aus welches das sogenannte großdeutsche Pro¬
gramm geschrieben ist. In keiner der Phasen, welche das Verhältniß zwi¬
schen Oestreich und Preußen seit dem Sommer 1866 durchgemacht hat, ist
von Einflüssen süddeutscher Regierungen überhaupt die Rede gewesen, die
feierlich übernommene „Vermittelung" hat es nicht weiter gebracht, als zu
Hurrahrufen, die aus Schützenfesten ausgestoßen wurden, wenn ein östreichi¬
scher Bruder begeistert ausgerufen hatte. „ Das ganze Deutschland soll es sein."
Wer mit den Traditionen und mit der Zusammensetzung der süddeutschen
Diplomatie bekannt ist, der muß wissen, daß sie zu wirklicher „Vermittelung"
weder das Zeug noch den Beruf hat und daß sie ihre Wege anderswo hin¬
führen als nach Berlin oder in das Wien von heute. Daß die Vermittlung
zwischen Oestreich und Preußen Süddeutschlands specieller Beruf sei, ist eine
jener hergebrachten Phrasen, welche nur noch gebraucht werden, wenn keine
anderen bei der Hand sind und die schon seit lange keinen Sinn mehr
haben.
Wenn von den verschiedensten Seiten versichert wird, daß die Beziehun¬
gen zwischen den beiden ehemaligen deutschen Großmächten sich neuerdings
gebessert haben, so ist das nicht den Einflüssen Dritter, sondern wesentlich
dem Umstände zuzuschreiben, daß die wachsende Möglichkeit einer Lösung der
inneren Schwierigkeiten, an denen Oestreich krankt, das Friedensbedürfniß
der östreichischen Staatsmänner consolidirt und die Einsicht befestigt hat, daß
es keinem der europäischen Großstaaten so ernsthaft und ehrlich um Erhal¬
tung des Friedens zu thun ist, wie dem preußischen. So lange die alten
Traditionen in der Hofburg das Wort führten, war Regel, daß die Arbeit
an der Heilung der inneren Schäden des Reichs nur so weit betrieben wurde,
daß man den Kopf über Wasser bekam; war der dringendsten Noth abgehol¬
fen, so nahm man wieder das ehrgeizige große Spiel auf, durch welches man
an den Rand des Abgrundes gerathen war. Einen größeren Fortschritt kann
die östreichische Staatskunst nicht machen, als wenn sich sich an den bisheri¬
gen Resultaten nicht genügen läßt, sondern weiter zu arbeiten sucht und zu
diesem Zweck aus auswärtige Diversionen dauernd verzichtet. In diesem Sinn
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