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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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um Mißverständnisse auszuschließen und daß Würtemberg und Baiern mit
einander allein auszukommen versuchen wollten, scheint trotz Herrn v. Varn-
bühler undenkbar. Daß die großdeutschen und die völlig undeutschen
Demokraten des Südens sich nach Kräften sträuben werden, dem Zustande
süddeutscher Wehrlosigkeit ein Ende zu machen, versteht sich von selbst
-- aber ihre Theorie von der Nothwendigkeit eines Anschlusses an die
Schweiz und deren Militärsystem gilt selbst an der Stätte ihres Ursprungs
allen Halbwege vernünftigen Leute für die Ausgeburt vollständiger Begriffs¬
verwirrung und politischen Wahnsinns; wichtiger wird sein, welche Stellung
die an die bairische Regierung gelehnten, wie es scheint in numerischer Zu¬
nahme begriffenen Mittelpartheien zu diesem Unternehmen einnehmen. Aus
der Mitte derselben hat sich neuerdings eine Stimme vernehmen lassen, (vgl.
das neueste Heft der Cotta'schen Vierteljahrsschrift: "Das erste deutsche Zoll¬
parlament,") welche deutlich bekundet, daß der süddeutsche Altliberalismus, die
große Summe derer, denen es an dem sittlichen Muth fehlt, sich auf den
Boden der Thatsachen von 1866 zu stellen und die doch zu gebildet sind
um die Thorheiten der Beobachterparthei mitmachen zu können -- noch voll¬
ständig um eine Formel dafür verlegen ist, wie sie die nächste Zukunft ge¬
staltet wissen will. Desto berechtigter erscheint die Hoffnung, daß diese Summe
von Männern (Parthei kann man nicht sagen) die Regierungen in dem Be¬
streben unterstützen werde, mindestens der dringenden Forderung nationaler
Wehrhaftigkeit gerecht zu werden. Das in der "Vierteljahrsschrift" aufgestellte
Programm ist einer solchen Lösung um so günstiger, als dieselbe die formale
Unabhängigkeit vom norddeutschen Bunde gewährleisten würde; die nationale
Partei wird angesichts der Unmöglichkeit auf einen nahe bevorstehenden Ein¬
tritt des Südens zu rechnen, keinen Grund haben, eine Institution zu be¬
kämpfen, welche, wenn sie überhaupt lebensfähig bleiben soll, in die Noth¬
wendigkeit versetzt sein wird, die ihrer Obhut anvertraute Armee, dem preu¬
ßischen Muster möglichst anzunähern. Nothbehelfe dieser Art haben wenigstens
den Vorzug, die gegenwärtige Lage in ihrem wahren Lichte erscheinen zu
lassen und denen, die überhaupt ein nationales Gewissen haben, dasselbe dafür
zu schärfen, daß der Nichteintritt des Südens in den Nordbund ein wider¬
natürlicher Zustand, ein Verhältniß ist. das, wenn es auch noch zwanzig Jahre
lang dauert, nie eine innere Berechtigung gewinnt und gewinnen kann,
sondern bleibt, was es vom Anfang an gewesen, ein Symbol partikularisti-
schen Eigensinns und landschaftlicher Beschränktheit. Daß der gemäßigten,
an die Regierungen angelehnten süddeutschen Fraction, deren wir oben er¬
wähnten, mindestens ein dumpfes Gefühl davon übrig geblieben ist, daß die
süddeutsche Separation einen Verrath an der nationalen Sache involvirt, das
bezeugt die Zähigkeit, mit welcher jene Gruppe an dem alten, heute sinnlos


um Mißverständnisse auszuschließen und daß Würtemberg und Baiern mit
einander allein auszukommen versuchen wollten, scheint trotz Herrn v. Varn-
bühler undenkbar. Daß die großdeutschen und die völlig undeutschen
Demokraten des Südens sich nach Kräften sträuben werden, dem Zustande
süddeutscher Wehrlosigkeit ein Ende zu machen, versteht sich von selbst
— aber ihre Theorie von der Nothwendigkeit eines Anschlusses an die
Schweiz und deren Militärsystem gilt selbst an der Stätte ihres Ursprungs
allen Halbwege vernünftigen Leute für die Ausgeburt vollständiger Begriffs¬
verwirrung und politischen Wahnsinns; wichtiger wird sein, welche Stellung
die an die bairische Regierung gelehnten, wie es scheint in numerischer Zu¬
nahme begriffenen Mittelpartheien zu diesem Unternehmen einnehmen. Aus
der Mitte derselben hat sich neuerdings eine Stimme vernehmen lassen, (vgl.
das neueste Heft der Cotta'schen Vierteljahrsschrift: „Das erste deutsche Zoll¬
parlament,") welche deutlich bekundet, daß der süddeutsche Altliberalismus, die
große Summe derer, denen es an dem sittlichen Muth fehlt, sich auf den
Boden der Thatsachen von 1866 zu stellen und die doch zu gebildet sind
um die Thorheiten der Beobachterparthei mitmachen zu können — noch voll¬
ständig um eine Formel dafür verlegen ist, wie sie die nächste Zukunft ge¬
staltet wissen will. Desto berechtigter erscheint die Hoffnung, daß diese Summe
von Männern (Parthei kann man nicht sagen) die Regierungen in dem Be¬
streben unterstützen werde, mindestens der dringenden Forderung nationaler
Wehrhaftigkeit gerecht zu werden. Das in der „Vierteljahrsschrift" aufgestellte
Programm ist einer solchen Lösung um so günstiger, als dieselbe die formale
Unabhängigkeit vom norddeutschen Bunde gewährleisten würde; die nationale
Partei wird angesichts der Unmöglichkeit auf einen nahe bevorstehenden Ein¬
tritt des Südens zu rechnen, keinen Grund haben, eine Institution zu be¬
kämpfen, welche, wenn sie überhaupt lebensfähig bleiben soll, in die Noth¬
wendigkeit versetzt sein wird, die ihrer Obhut anvertraute Armee, dem preu¬
ßischen Muster möglichst anzunähern. Nothbehelfe dieser Art haben wenigstens
den Vorzug, die gegenwärtige Lage in ihrem wahren Lichte erscheinen zu
lassen und denen, die überhaupt ein nationales Gewissen haben, dasselbe dafür
zu schärfen, daß der Nichteintritt des Südens in den Nordbund ein wider¬
natürlicher Zustand, ein Verhältniß ist. das, wenn es auch noch zwanzig Jahre
lang dauert, nie eine innere Berechtigung gewinnt und gewinnen kann,
sondern bleibt, was es vom Anfang an gewesen, ein Symbol partikularisti-
schen Eigensinns und landschaftlicher Beschränktheit. Daß der gemäßigten,
an die Regierungen angelehnten süddeutschen Fraction, deren wir oben er¬
wähnten, mindestens ein dumpfes Gefühl davon übrig geblieben ist, daß die
süddeutsche Separation einen Verrath an der nationalen Sache involvirt, das
bezeugt die Zähigkeit, mit welcher jene Gruppe an dem alten, heute sinnlos


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[0209] um Mißverständnisse auszuschließen und daß Würtemberg und Baiern mit einander allein auszukommen versuchen wollten, scheint trotz Herrn v. Varn- bühler undenkbar. Daß die großdeutschen und die völlig undeutschen Demokraten des Südens sich nach Kräften sträuben werden, dem Zustande süddeutscher Wehrlosigkeit ein Ende zu machen, versteht sich von selbst — aber ihre Theorie von der Nothwendigkeit eines Anschlusses an die Schweiz und deren Militärsystem gilt selbst an der Stätte ihres Ursprungs allen Halbwege vernünftigen Leute für die Ausgeburt vollständiger Begriffs¬ verwirrung und politischen Wahnsinns; wichtiger wird sein, welche Stellung die an die bairische Regierung gelehnten, wie es scheint in numerischer Zu¬ nahme begriffenen Mittelpartheien zu diesem Unternehmen einnehmen. Aus der Mitte derselben hat sich neuerdings eine Stimme vernehmen lassen, (vgl. das neueste Heft der Cotta'schen Vierteljahrsschrift: „Das erste deutsche Zoll¬ parlament,") welche deutlich bekundet, daß der süddeutsche Altliberalismus, die große Summe derer, denen es an dem sittlichen Muth fehlt, sich auf den Boden der Thatsachen von 1866 zu stellen und die doch zu gebildet sind um die Thorheiten der Beobachterparthei mitmachen zu können — noch voll¬ ständig um eine Formel dafür verlegen ist, wie sie die nächste Zukunft ge¬ staltet wissen will. Desto berechtigter erscheint die Hoffnung, daß diese Summe von Männern (Parthei kann man nicht sagen) die Regierungen in dem Be¬ streben unterstützen werde, mindestens der dringenden Forderung nationaler Wehrhaftigkeit gerecht zu werden. Das in der „Vierteljahrsschrift" aufgestellte Programm ist einer solchen Lösung um so günstiger, als dieselbe die formale Unabhängigkeit vom norddeutschen Bunde gewährleisten würde; die nationale Partei wird angesichts der Unmöglichkeit auf einen nahe bevorstehenden Ein¬ tritt des Südens zu rechnen, keinen Grund haben, eine Institution zu be¬ kämpfen, welche, wenn sie überhaupt lebensfähig bleiben soll, in die Noth¬ wendigkeit versetzt sein wird, die ihrer Obhut anvertraute Armee, dem preu¬ ßischen Muster möglichst anzunähern. Nothbehelfe dieser Art haben wenigstens den Vorzug, die gegenwärtige Lage in ihrem wahren Lichte erscheinen zu lassen und denen, die überhaupt ein nationales Gewissen haben, dasselbe dafür zu schärfen, daß der Nichteintritt des Südens in den Nordbund ein wider¬ natürlicher Zustand, ein Verhältniß ist. das, wenn es auch noch zwanzig Jahre lang dauert, nie eine innere Berechtigung gewinnt und gewinnen kann, sondern bleibt, was es vom Anfang an gewesen, ein Symbol partikularisti- schen Eigensinns und landschaftlicher Beschränktheit. Daß der gemäßigten, an die Regierungen angelehnten süddeutschen Fraction, deren wir oben er¬ wähnten, mindestens ein dumpfes Gefühl davon übrig geblieben ist, daß die süddeutsche Separation einen Verrath an der nationalen Sache involvirt, das bezeugt die Zähigkeit, mit welcher jene Gruppe an dem alten, heute sinnlos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/209>, abgerufen am 02.07.2024.