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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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tungen während vier langer Wochen behufs Ausfüllung der Rubrik "Deutsch¬
land" zur Disposition gestanden hat. Selbst von herrschenden Stimmungen,
Sympathien und Antipathien hat kaum die Rede sein können; unter dem Ein¬
druck der Ermüdung war die parlamentarische Campagne beschlossen worden,
Stichworte, welche sich von der Menge wiederholen ließen, gab es keine, die
Zeit der politischen Festturniere ist -- hoffentlich für immer -- vorüber
und die Masse macht von der ihr gewordenen Möglichkeit sich einmal nicht
um Politik zu kümmern, nach Kräften und bereitwillig Gebrauch. Mit den
Regierungen scheint es ähnlich zu stehen: von Vorlagen für den nächsten preu¬
ßischen Landtag verlautet noch Nichts, in Baiern sucht Fürst Hohenlohe die
versöhnliche Stimmung, in welcher seine Partei vom Zollparlamente Ab¬
schied nahm, zu fixiren, in Würtemberg freut man sich der glücklichen Lage,
noch mehrere Monate lang ohne ein Parlament regieren zu können, dessen
Zusammensetzung vom Regierungsstandpunkte aus manches zu wünschen übrig
läßt, das badische Cabinet führt in Veranlassung der Neubesetzung des sreiburger
Episcopats den gewohnten kleinen Krieg mit den Ultramontanen fort, in
Hessen-Darmstadt steht die Regierungsmaschine völlig still, seit Herr v. Dal-
wigk auf Reisen ist. Niemand weiß zu sagen, ob diese Zeit der Ruhe den
in das Volksbewußtsein gestreuten Saaten, aus welchen das deutsche Brod
der Zukunft gebacken werden soll, günstig sein wird oder nicht, das Volk ist
sich für eine Weile selbst überlassen und hat alle Zeit seine jüngsten Erlebnisse
fruchtbar zu machen oder -- zu vergessen.

Die Frage nach dem Zustandekommen der bairischer Seits in Aussicht
genommenen ständischen Militärcomission für die süddeutschen Staaten wird
beim Wiedereintritt der politischen Jahreszeit wahrscheinlich im Vordergrunde
der deutschen Interessen stehen. Für den Augenblick entbehrt sie noch der
Farbe, nach welcher eine Beurtheilung möglich wäre. Die Wahrscheinlich¬
keit scheint indessen dafür zu sprechen, daß es sich nicht um die Schaffung eines
festen Punktes zur Anlegung süddeutscher Bundeshebel, sondern um ein In¬
stitut handelt, das den Regierungen der Länder jenseits des Main die Mög¬
lichkeit schaffen soll, ihre militärischen Reformen in einheitlicher Weise zum
Abschluß zu bringen und den kriegerischen Einrichtungen des norddeutschen Bun¬
des wenigstens soweit zu conformiren, daß die abgeschlossenen Schutz- und Trutz¬
bündnisse wirklichen Sinn und praktische Bedeutung erhalten. Schon daß Fürst
Hohenlohe die Initiative zu den bezüglichen Verhandlungen oder Vorverhand-
lungen ergriffen hat, spricht zu Gunsten dieser Auffassung und unter den gegebe-
nen Umständen hat eigentlich nur diese überhaupt einen Sinn. Hessen-Darm¬
stadt ist glücklicher Weise nicht mehr in der Lage zur Errichtung einer speci¬
fisch-süddeutschen Armee die Hand bieten zu können, Baden hat seine Stellung
zur Sache durch Anstellung des General v. Beyer deutlich genug bekundet,


tungen während vier langer Wochen behufs Ausfüllung der Rubrik „Deutsch¬
land" zur Disposition gestanden hat. Selbst von herrschenden Stimmungen,
Sympathien und Antipathien hat kaum die Rede sein können; unter dem Ein¬
druck der Ermüdung war die parlamentarische Campagne beschlossen worden,
Stichworte, welche sich von der Menge wiederholen ließen, gab es keine, die
Zeit der politischen Festturniere ist — hoffentlich für immer — vorüber
und die Masse macht von der ihr gewordenen Möglichkeit sich einmal nicht
um Politik zu kümmern, nach Kräften und bereitwillig Gebrauch. Mit den
Regierungen scheint es ähnlich zu stehen: von Vorlagen für den nächsten preu¬
ßischen Landtag verlautet noch Nichts, in Baiern sucht Fürst Hohenlohe die
versöhnliche Stimmung, in welcher seine Partei vom Zollparlamente Ab¬
schied nahm, zu fixiren, in Würtemberg freut man sich der glücklichen Lage,
noch mehrere Monate lang ohne ein Parlament regieren zu können, dessen
Zusammensetzung vom Regierungsstandpunkte aus manches zu wünschen übrig
läßt, das badische Cabinet führt in Veranlassung der Neubesetzung des sreiburger
Episcopats den gewohnten kleinen Krieg mit den Ultramontanen fort, in
Hessen-Darmstadt steht die Regierungsmaschine völlig still, seit Herr v. Dal-
wigk auf Reisen ist. Niemand weiß zu sagen, ob diese Zeit der Ruhe den
in das Volksbewußtsein gestreuten Saaten, aus welchen das deutsche Brod
der Zukunft gebacken werden soll, günstig sein wird oder nicht, das Volk ist
sich für eine Weile selbst überlassen und hat alle Zeit seine jüngsten Erlebnisse
fruchtbar zu machen oder — zu vergessen.

Die Frage nach dem Zustandekommen der bairischer Seits in Aussicht
genommenen ständischen Militärcomission für die süddeutschen Staaten wird
beim Wiedereintritt der politischen Jahreszeit wahrscheinlich im Vordergrunde
der deutschen Interessen stehen. Für den Augenblick entbehrt sie noch der
Farbe, nach welcher eine Beurtheilung möglich wäre. Die Wahrscheinlich¬
keit scheint indessen dafür zu sprechen, daß es sich nicht um die Schaffung eines
festen Punktes zur Anlegung süddeutscher Bundeshebel, sondern um ein In¬
stitut handelt, das den Regierungen der Länder jenseits des Main die Mög¬
lichkeit schaffen soll, ihre militärischen Reformen in einheitlicher Weise zum
Abschluß zu bringen und den kriegerischen Einrichtungen des norddeutschen Bun¬
des wenigstens soweit zu conformiren, daß die abgeschlossenen Schutz- und Trutz¬
bündnisse wirklichen Sinn und praktische Bedeutung erhalten. Schon daß Fürst
Hohenlohe die Initiative zu den bezüglichen Verhandlungen oder Vorverhand-
lungen ergriffen hat, spricht zu Gunsten dieser Auffassung und unter den gegebe-
nen Umständen hat eigentlich nur diese überhaupt einen Sinn. Hessen-Darm¬
stadt ist glücklicher Weise nicht mehr in der Lage zur Errichtung einer speci¬
fisch-süddeutschen Armee die Hand bieten zu können, Baden hat seine Stellung
zur Sache durch Anstellung des General v. Beyer deutlich genug bekundet,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/208>, abgerufen am 02.07.2024.