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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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und den Trappisten. Rance', geboren im Januar 1626, empfing schon als
Kind die Tonsur. Man sagt, daß er mit 12 Jahren den Anacreon mit
Anmerkungen herausgegeben habe. Nachdem er als seiner Weltmann alle
irdischen Vergnügungen genossen, beschäftigte ihn ausschließlich die Idee der
Ewigkeit und er floh in die Einsamkeit. Sein christlicher Eifer führte ihn
sowohl zur Bekanntschaft mit Port-Royal als mit La Trappe und veranlaßte
mehrere Briefe hierüber, die veröffentlicht wurden und Aufsehen machten.
Rance' war in einen dogmatischen Federkampf getreten, in welchem er sich als
ein kühner Reformator zeigte, der vollständig mit der hergebrachten Tradition
bricht und bei jeder Untersuchung auf die Quelle zurückgeht. Er war weder
Jansenist noch Feind des Jansenismus. Als er mit Port-Royal gebrochen
hatte, schrieb Tillemont einen Brief an ihn, der das Verhältniß von La
Trappe zu Port-Royal erläutert. Die Beziehungen beider waren nicht sym¬
pathisch, aber voll Achtung. Rance war in seiner Polemik oft brüsk, aber
er war ein ehrlicher Kämpfer der es redlich meinte.

Im Januar 1698 starb Tillemont. Der älteste Schüler der Anstalt
war todt, weinend umstanden die Freunde seinen Sarg. Zwar sind nachher
noch einige berühmte Schüler und Lehrer Port-Royals zu nennen wie Rollin,
Coffin und Me'scmgy;' allein die Blüthezett war vorüber.*) Port-Royal
war in seinem Frühling gestorben, es welkte dahin wie eine von verruchter
Hand gebrochene Blume.

Es bleibt noch übrig zu fragen, was denn aus dem Schoße dieser Ver¬
einigung so ausgezeichneter Geister, schöner Character, starker Seelen hervorge¬
gangen. Port-Royal hat bedeutende Schriftsteller erzeugt, deren Werth besonders
in den klaren tiefehrlichen und moralischen Gesichtspunkten liegt. Die litera¬
rische Function Port-Royals, war gewisse heilige Wahrheiten zu vulgarifiren
und sie zum Gemeingut zu machen, im weiteren Sinne aber der französischen
Pädagogik den Weg zu zeigen. Nirgends mehr als zu Port-Royal hat man
die Würde der menschlichen Person respectirt; sie lehrten die Jugend die
Achtung vor sich selbst und den Menschenwerth. Mochte man Port-Royal
Unrecht geben auf dem Gebiete des Dogmas, in der Moral blieb es unan¬
greifbar und somit blieb ihm der Sieg. Die "krovineialss^ verfielen der
Censur, dem Index in Rom und wurden verbrannt, aber ihre Wahrheiten
triumphirten im Publikum und an der Sarbonne. Die besten Geister fühlten
bald die von Port-Royal versuchte Anstrengung einer Reform im Geiste des
Urchristenthum. Man kennt heute die Ursachen, warum der Erfolg kein
erwünschter war. Die Gesellschaft war nicht gemacht für ein solches Chri¬
stenthum.



') Der letzte Schüler aus der Nachkommenschaft der Lancelot, Me'sanguy und Rollin, der
Abbe Herluison, starb am 19. Januar 1811 zu Troyes.

und den Trappisten. Rance', geboren im Januar 1626, empfing schon als
Kind die Tonsur. Man sagt, daß er mit 12 Jahren den Anacreon mit
Anmerkungen herausgegeben habe. Nachdem er als seiner Weltmann alle
irdischen Vergnügungen genossen, beschäftigte ihn ausschließlich die Idee der
Ewigkeit und er floh in die Einsamkeit. Sein christlicher Eifer führte ihn
sowohl zur Bekanntschaft mit Port-Royal als mit La Trappe und veranlaßte
mehrere Briefe hierüber, die veröffentlicht wurden und Aufsehen machten.
Rance' war in einen dogmatischen Federkampf getreten, in welchem er sich als
ein kühner Reformator zeigte, der vollständig mit der hergebrachten Tradition
bricht und bei jeder Untersuchung auf die Quelle zurückgeht. Er war weder
Jansenist noch Feind des Jansenismus. Als er mit Port-Royal gebrochen
hatte, schrieb Tillemont einen Brief an ihn, der das Verhältniß von La
Trappe zu Port-Royal erläutert. Die Beziehungen beider waren nicht sym¬
pathisch, aber voll Achtung. Rance war in seiner Polemik oft brüsk, aber
er war ein ehrlicher Kämpfer der es redlich meinte.

Im Januar 1698 starb Tillemont. Der älteste Schüler der Anstalt
war todt, weinend umstanden die Freunde seinen Sarg. Zwar sind nachher
noch einige berühmte Schüler und Lehrer Port-Royals zu nennen wie Rollin,
Coffin und Me'scmgy;' allein die Blüthezett war vorüber.*) Port-Royal
war in seinem Frühling gestorben, es welkte dahin wie eine von verruchter
Hand gebrochene Blume.

Es bleibt noch übrig zu fragen, was denn aus dem Schoße dieser Ver¬
einigung so ausgezeichneter Geister, schöner Character, starker Seelen hervorge¬
gangen. Port-Royal hat bedeutende Schriftsteller erzeugt, deren Werth besonders
in den klaren tiefehrlichen und moralischen Gesichtspunkten liegt. Die litera¬
rische Function Port-Royals, war gewisse heilige Wahrheiten zu vulgarifiren
und sie zum Gemeingut zu machen, im weiteren Sinne aber der französischen
Pädagogik den Weg zu zeigen. Nirgends mehr als zu Port-Royal hat man
die Würde der menschlichen Person respectirt; sie lehrten die Jugend die
Achtung vor sich selbst und den Menschenwerth. Mochte man Port-Royal
Unrecht geben auf dem Gebiete des Dogmas, in der Moral blieb es unan¬
greifbar und somit blieb ihm der Sieg. Die „krovineialss^ verfielen der
Censur, dem Index in Rom und wurden verbrannt, aber ihre Wahrheiten
triumphirten im Publikum und an der Sarbonne. Die besten Geister fühlten
bald die von Port-Royal versuchte Anstrengung einer Reform im Geiste des
Urchristenthum. Man kennt heute die Ursachen, warum der Erfolg kein
erwünschter war. Die Gesellschaft war nicht gemacht für ein solches Chri¬
stenthum.



') Der letzte Schüler aus der Nachkommenschaft der Lancelot, Me'sanguy und Rollin, der
Abbe Herluison, starb am 19. Januar 1811 zu Troyes.
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[0206] und den Trappisten. Rance', geboren im Januar 1626, empfing schon als Kind die Tonsur. Man sagt, daß er mit 12 Jahren den Anacreon mit Anmerkungen herausgegeben habe. Nachdem er als seiner Weltmann alle irdischen Vergnügungen genossen, beschäftigte ihn ausschließlich die Idee der Ewigkeit und er floh in die Einsamkeit. Sein christlicher Eifer führte ihn sowohl zur Bekanntschaft mit Port-Royal als mit La Trappe und veranlaßte mehrere Briefe hierüber, die veröffentlicht wurden und Aufsehen machten. Rance' war in einen dogmatischen Federkampf getreten, in welchem er sich als ein kühner Reformator zeigte, der vollständig mit der hergebrachten Tradition bricht und bei jeder Untersuchung auf die Quelle zurückgeht. Er war weder Jansenist noch Feind des Jansenismus. Als er mit Port-Royal gebrochen hatte, schrieb Tillemont einen Brief an ihn, der das Verhältniß von La Trappe zu Port-Royal erläutert. Die Beziehungen beider waren nicht sym¬ pathisch, aber voll Achtung. Rance war in seiner Polemik oft brüsk, aber er war ein ehrlicher Kämpfer der es redlich meinte. Im Januar 1698 starb Tillemont. Der älteste Schüler der Anstalt war todt, weinend umstanden die Freunde seinen Sarg. Zwar sind nachher noch einige berühmte Schüler und Lehrer Port-Royals zu nennen wie Rollin, Coffin und Me'scmgy;' allein die Blüthezett war vorüber.*) Port-Royal war in seinem Frühling gestorben, es welkte dahin wie eine von verruchter Hand gebrochene Blume. Es bleibt noch übrig zu fragen, was denn aus dem Schoße dieser Ver¬ einigung so ausgezeichneter Geister, schöner Character, starker Seelen hervorge¬ gangen. Port-Royal hat bedeutende Schriftsteller erzeugt, deren Werth besonders in den klaren tiefehrlichen und moralischen Gesichtspunkten liegt. Die litera¬ rische Function Port-Royals, war gewisse heilige Wahrheiten zu vulgarifiren und sie zum Gemeingut zu machen, im weiteren Sinne aber der französischen Pädagogik den Weg zu zeigen. Nirgends mehr als zu Port-Royal hat man die Würde der menschlichen Person respectirt; sie lehrten die Jugend die Achtung vor sich selbst und den Menschenwerth. Mochte man Port-Royal Unrecht geben auf dem Gebiete des Dogmas, in der Moral blieb es unan¬ greifbar und somit blieb ihm der Sieg. Die „krovineialss^ verfielen der Censur, dem Index in Rom und wurden verbrannt, aber ihre Wahrheiten triumphirten im Publikum und an der Sarbonne. Die besten Geister fühlten bald die von Port-Royal versuchte Anstrengung einer Reform im Geiste des Urchristenthum. Man kennt heute die Ursachen, warum der Erfolg kein erwünschter war. Die Gesellschaft war nicht gemacht für ein solches Chri¬ stenthum. ') Der letzte Schüler aus der Nachkommenschaft der Lancelot, Me'sanguy und Rollin, der Abbe Herluison, starb am 19. Januar 1811 zu Troyes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/206>, abgerufen am 02.07.2024.