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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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sianismus d. h. eine Philosophie, welche dem menschlichen Geiste eine neue
Methode darbot. welche sich auf Gewißheit gründete und die Vernunft über
die Autorität stellte. Ein lichtvoller Geist wie derjenige Arnaulds gefiel sich
in den cartesianischen Fortschritten. Als das Parlament gegen die neue
Philosophie ein Decret zu erlassen dachte, schrieb er eine Denkschrift um sie
zu vertheidigen.*)

Seit 1654 hatte Arnauld sich an Nieole geschlossen, der eine nicht minder
wichtige Persönlichkeit in Port-Royal war und ein ebenso tüchtiger Kämpfer
für die Sache der Wahrheit. Belchen und gelehrt wie wenige schien er
seiner Natur nach ein Melanchthon, der wider seinen Willen in den Kampf
heineingezogen war. Aber er stand fest auf seinem Platze und beide hielten zu¬
sammen wie Freunde im Leben und im Tod.

Eine andere nennenswerthe Person aus dem große Kreise war Hamon,
Arzt von Port-Royal. Dieser Mann im dürftigen Gewände, welcher anfangs
zu Fuß später zu Esel von Dorf zu Dorf zog, immer lesend, betend oder
strickend, ein Arzt für die Seelen wie für die Leiber, war zugleich Gelehrter,
Schöngeist, Moralist von Ruf, einer der großen Geister des 17. Jahrhunderts.
Interessant für die Kenntniß seines Charakters ist die kleine Schrift, welche
er zurückgelassen "R6Istion ac xlusivurs eireonstanesg as 1a vis Ah N.
Lamo". kalts par wi MLins." Aufgefordert zu schreiben, denn dies war in
Port-Royal ein gemeinsames Gesetz, fertigte er etwa ein Dutzend Tractate,
die es bedauern lassen, daß Hamon sich nicht mehr der Schriftstelleret wid¬
mete. Sein Thema ist freilich immer dasselbe, aber er hat tausend Varia¬
tionen dafür. Er glaubt an einen menschlichen und milden Gott, an einen
lebendigen Gott, der thätig in die Geschicke der Menschen eingreift. Das
All' ist Eins mit Gott. Seine tiefe Frömmigkeit geht mehr noch aus seinen
Briefen hervor.

Von den Frauen Port-Royals ist vor allem Angelika Arnauld zu nennen,
die große Angelika, wie man sie nannte, die Resormatorin; ihre Schwester
Johanna Arnauld, welche mit fünf Jahren den Schleier genommen hatte
und die "Mutter Agnes" geworden war. Sie wurde mit der heil. Theresia
verglichen. Ihre Nichte, Fräulein v. Andilly war ebenso groß an Geist wie
an Hoheit des Herzens. Ihr Spruch war: "Alles was nicht ewig ist macht
mir keine Furcht." Weniger bekannt, doch auch nicht unbedeutend, waren
die Schwester Eustochia v. Bregy und die Schwester Christine Briguet.

Doch wir wollen jetzt zu der Thätigkeit Port-Royals übergehen, die am
nachhaltigsten war, weil sie sich auf die Zukunft bezog. Wahrhaft groß ist



") Hierbei sei eine Schrift aus jener Zeitepoche erwähnt: I^o vöritaNs espiit Sos nou-
vesux Sisoiples ac sÄut ^ugustin; lettros ni'un apto liLvuviö av Lordonue Ä un viosire-
ZöuSral ü'un Äioeösö ach ?Ä^s-LM. -- LruxvUös 1706.

sianismus d. h. eine Philosophie, welche dem menschlichen Geiste eine neue
Methode darbot. welche sich auf Gewißheit gründete und die Vernunft über
die Autorität stellte. Ein lichtvoller Geist wie derjenige Arnaulds gefiel sich
in den cartesianischen Fortschritten. Als das Parlament gegen die neue
Philosophie ein Decret zu erlassen dachte, schrieb er eine Denkschrift um sie
zu vertheidigen.*)

Seit 1654 hatte Arnauld sich an Nieole geschlossen, der eine nicht minder
wichtige Persönlichkeit in Port-Royal war und ein ebenso tüchtiger Kämpfer
für die Sache der Wahrheit. Belchen und gelehrt wie wenige schien er
seiner Natur nach ein Melanchthon, der wider seinen Willen in den Kampf
heineingezogen war. Aber er stand fest auf seinem Platze und beide hielten zu¬
sammen wie Freunde im Leben und im Tod.

Eine andere nennenswerthe Person aus dem große Kreise war Hamon,
Arzt von Port-Royal. Dieser Mann im dürftigen Gewände, welcher anfangs
zu Fuß später zu Esel von Dorf zu Dorf zog, immer lesend, betend oder
strickend, ein Arzt für die Seelen wie für die Leiber, war zugleich Gelehrter,
Schöngeist, Moralist von Ruf, einer der großen Geister des 17. Jahrhunderts.
Interessant für die Kenntniß seines Charakters ist die kleine Schrift, welche
er zurückgelassen „R6Istion ac xlusivurs eireonstanesg as 1a vis Ah N.
Lamo». kalts par wi MLins." Aufgefordert zu schreiben, denn dies war in
Port-Royal ein gemeinsames Gesetz, fertigte er etwa ein Dutzend Tractate,
die es bedauern lassen, daß Hamon sich nicht mehr der Schriftstelleret wid¬
mete. Sein Thema ist freilich immer dasselbe, aber er hat tausend Varia¬
tionen dafür. Er glaubt an einen menschlichen und milden Gott, an einen
lebendigen Gott, der thätig in die Geschicke der Menschen eingreift. Das
All' ist Eins mit Gott. Seine tiefe Frömmigkeit geht mehr noch aus seinen
Briefen hervor.

Von den Frauen Port-Royals ist vor allem Angelika Arnauld zu nennen,
die große Angelika, wie man sie nannte, die Resormatorin; ihre Schwester
Johanna Arnauld, welche mit fünf Jahren den Schleier genommen hatte
und die „Mutter Agnes" geworden war. Sie wurde mit der heil. Theresia
verglichen. Ihre Nichte, Fräulein v. Andilly war ebenso groß an Geist wie
an Hoheit des Herzens. Ihr Spruch war: „Alles was nicht ewig ist macht
mir keine Furcht." Weniger bekannt, doch auch nicht unbedeutend, waren
die Schwester Eustochia v. Bregy und die Schwester Christine Briguet.

Doch wir wollen jetzt zu der Thätigkeit Port-Royals übergehen, die am
nachhaltigsten war, weil sie sich auf die Zukunft bezog. Wahrhaft groß ist



") Hierbei sei eine Schrift aus jener Zeitepoche erwähnt: I^o vöritaNs espiit Sos nou-
vesux Sisoiples ac sÄut ^ugustin; lettros ni'un apto liLvuviö av Lordonue Ä un viosire-
ZöuSral ü'un Äioeösö ach ?Ä^s-LM. — LruxvUös 1706.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/200>, abgerufen am 02.07.2024.