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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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haltener auf ihn wurde. Saint-Cyran erlangte einen Einfluß, der von Tag
zu Tag beunruhigender wurde; er wurde eine Macht, der Cardinal fand,
daß er einen Namen von üblem Klänge habe. Darum ließ er ihn ins Ge¬
fängniß von Mncennes werfen, indem er sagte: "Wenn man Luther und
Calvin gleich als sie zu dogmatisiren anfingen hätte einschließen lassen, so
wäre es besser gewesen."

Man kann aber nicht die Ideen einkerkern. Der Gesänge setzte während
der fünf Jahre seiner Gefangenschaft, welche erst zwei Monate vor seinem
Tode endete, sein Werk fort und seine Correspondenz gibt Zeugniß, wie
Vieler Seelen sich ihm zuwandten. Als Erben seiner Lehre ließ er Singlin
und Saci zurück. Dieselben wirkten ganz im Geiste des Meisters; aber die
Stelle, welche Saint-Cyran in dieser Welt einnahm, war so groß, daß sie
nicht so leicht wieder ausgefüllt werden konnte. "Die Krone unseres Haup¬
tes ist gefallen", schrieb der Abbe' Boileau.

Einigen Ersatz bot Le Maitre, welcher in die Abtei eintrat. Derselbe
war ein junger berühmter Advocat von glänzender Beredsamkeit, in Gunst
bei Hofe und in der Stadt, von Vermögen und jedenfalls voll Aussichten
auf eine glänzende Carriere. neunundzwanzig Jahre alt wurde er beim
plötzlichen Tode det Frau v. Andilly derartig ergriffen, daß er nach Port-
Royal ging. Er bekehrte sich wie Paulus. Einige hielten diesen Schritt für
christlichen Heldenmuth, die Meisten aber für Narrheit. Es war ein wahr¬
haft großer Charakter und eine große Intelligenz. Richtiges Urtheil, leb¬
hafte Einbildungskraft, Talent in Wort und Schrift. Höhe und Schärfe des
Gedankens, Wärme und Weichheit des Herzens, Alles das sollte jetzt in
Klostermauern eingeschlossen werden. Doch auch hier war das Genie an
seinem Platze; bald erhob es sich zu nie rastendem Kampfe gegen den Je¬
suitismus, gegen Lüge und Finsterniß.

Alle großen Geister der Zeit kamen mit Port-Poyal in Berührung.
Hier fand auch die Philosophie eine gastliche Stätte. Und zwar in der Per¬
son Descartes-, der sich zunächst als Verehrer der Augustinischen Ideen ein¬
führte. Zwischen dem großen Bischof und dem Philosophen findet man mehr
als einen Berührungspunkt; dies war sicherlich seine beste Empfehlung in
Port-Royal. Aber unumschränkter Herrscher war er nicht. Sainte - Beuve
geht in seiner Darstellung zu weit, wenn er das Gegentheil behauptet.
Schon Vaueel beschwert sich in seinen " Observations sur 1a Mio-
LoMe ac veseartss", daß Arnauld das Haus compromittire, indem er
die Meinung verbreite, daß ganz Port-Royal cartesianisch wäre, während es
dort weiter keinen Cartesianer gäbe als ihn und Nicole. Vaucel wollte, anstatt
Descartes gegen die Jesuiten zu vertheidigen, daß man sich mit den Jesuiten
gegen Descartes verbinde. Arnauld vertheidigte und propagirte den Karte-


haltener auf ihn wurde. Saint-Cyran erlangte einen Einfluß, der von Tag
zu Tag beunruhigender wurde; er wurde eine Macht, der Cardinal fand,
daß er einen Namen von üblem Klänge habe. Darum ließ er ihn ins Ge¬
fängniß von Mncennes werfen, indem er sagte: „Wenn man Luther und
Calvin gleich als sie zu dogmatisiren anfingen hätte einschließen lassen, so
wäre es besser gewesen."

Man kann aber nicht die Ideen einkerkern. Der Gesänge setzte während
der fünf Jahre seiner Gefangenschaft, welche erst zwei Monate vor seinem
Tode endete, sein Werk fort und seine Correspondenz gibt Zeugniß, wie
Vieler Seelen sich ihm zuwandten. Als Erben seiner Lehre ließ er Singlin
und Saci zurück. Dieselben wirkten ganz im Geiste des Meisters; aber die
Stelle, welche Saint-Cyran in dieser Welt einnahm, war so groß, daß sie
nicht so leicht wieder ausgefüllt werden konnte. „Die Krone unseres Haup¬
tes ist gefallen", schrieb der Abbe' Boileau.

Einigen Ersatz bot Le Maitre, welcher in die Abtei eintrat. Derselbe
war ein junger berühmter Advocat von glänzender Beredsamkeit, in Gunst
bei Hofe und in der Stadt, von Vermögen und jedenfalls voll Aussichten
auf eine glänzende Carriere. neunundzwanzig Jahre alt wurde er beim
plötzlichen Tode det Frau v. Andilly derartig ergriffen, daß er nach Port-
Royal ging. Er bekehrte sich wie Paulus. Einige hielten diesen Schritt für
christlichen Heldenmuth, die Meisten aber für Narrheit. Es war ein wahr¬
haft großer Charakter und eine große Intelligenz. Richtiges Urtheil, leb¬
hafte Einbildungskraft, Talent in Wort und Schrift. Höhe und Schärfe des
Gedankens, Wärme und Weichheit des Herzens, Alles das sollte jetzt in
Klostermauern eingeschlossen werden. Doch auch hier war das Genie an
seinem Platze; bald erhob es sich zu nie rastendem Kampfe gegen den Je¬
suitismus, gegen Lüge und Finsterniß.

Alle großen Geister der Zeit kamen mit Port-Poyal in Berührung.
Hier fand auch die Philosophie eine gastliche Stätte. Und zwar in der Per¬
son Descartes-, der sich zunächst als Verehrer der Augustinischen Ideen ein¬
führte. Zwischen dem großen Bischof und dem Philosophen findet man mehr
als einen Berührungspunkt; dies war sicherlich seine beste Empfehlung in
Port-Royal. Aber unumschränkter Herrscher war er nicht. Sainte - Beuve
geht in seiner Darstellung zu weit, wenn er das Gegentheil behauptet.
Schon Vaueel beschwert sich in seinen „ Observations sur 1a Mio-
LoMe ac veseartss", daß Arnauld das Haus compromittire, indem er
die Meinung verbreite, daß ganz Port-Royal cartesianisch wäre, während es
dort weiter keinen Cartesianer gäbe als ihn und Nicole. Vaucel wollte, anstatt
Descartes gegen die Jesuiten zu vertheidigen, daß man sich mit den Jesuiten
gegen Descartes verbinde. Arnauld vertheidigte und propagirte den Karte-


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[0199] haltener auf ihn wurde. Saint-Cyran erlangte einen Einfluß, der von Tag zu Tag beunruhigender wurde; er wurde eine Macht, der Cardinal fand, daß er einen Namen von üblem Klänge habe. Darum ließ er ihn ins Ge¬ fängniß von Mncennes werfen, indem er sagte: „Wenn man Luther und Calvin gleich als sie zu dogmatisiren anfingen hätte einschließen lassen, so wäre es besser gewesen." Man kann aber nicht die Ideen einkerkern. Der Gesänge setzte während der fünf Jahre seiner Gefangenschaft, welche erst zwei Monate vor seinem Tode endete, sein Werk fort und seine Correspondenz gibt Zeugniß, wie Vieler Seelen sich ihm zuwandten. Als Erben seiner Lehre ließ er Singlin und Saci zurück. Dieselben wirkten ganz im Geiste des Meisters; aber die Stelle, welche Saint-Cyran in dieser Welt einnahm, war so groß, daß sie nicht so leicht wieder ausgefüllt werden konnte. „Die Krone unseres Haup¬ tes ist gefallen", schrieb der Abbe' Boileau. Einigen Ersatz bot Le Maitre, welcher in die Abtei eintrat. Derselbe war ein junger berühmter Advocat von glänzender Beredsamkeit, in Gunst bei Hofe und in der Stadt, von Vermögen und jedenfalls voll Aussichten auf eine glänzende Carriere. neunundzwanzig Jahre alt wurde er beim plötzlichen Tode det Frau v. Andilly derartig ergriffen, daß er nach Port- Royal ging. Er bekehrte sich wie Paulus. Einige hielten diesen Schritt für christlichen Heldenmuth, die Meisten aber für Narrheit. Es war ein wahr¬ haft großer Charakter und eine große Intelligenz. Richtiges Urtheil, leb¬ hafte Einbildungskraft, Talent in Wort und Schrift. Höhe und Schärfe des Gedankens, Wärme und Weichheit des Herzens, Alles das sollte jetzt in Klostermauern eingeschlossen werden. Doch auch hier war das Genie an seinem Platze; bald erhob es sich zu nie rastendem Kampfe gegen den Je¬ suitismus, gegen Lüge und Finsterniß. Alle großen Geister der Zeit kamen mit Port-Poyal in Berührung. Hier fand auch die Philosophie eine gastliche Stätte. Und zwar in der Per¬ son Descartes-, der sich zunächst als Verehrer der Augustinischen Ideen ein¬ führte. Zwischen dem großen Bischof und dem Philosophen findet man mehr als einen Berührungspunkt; dies war sicherlich seine beste Empfehlung in Port-Royal. Aber unumschränkter Herrscher war er nicht. Sainte - Beuve geht in seiner Darstellung zu weit, wenn er das Gegentheil behauptet. Schon Vaueel beschwert sich in seinen „ Observations sur 1a Mio- LoMe ac veseartss", daß Arnauld das Haus compromittire, indem er die Meinung verbreite, daß ganz Port-Royal cartesianisch wäre, während es dort weiter keinen Cartesianer gäbe als ihn und Nicole. Vaucel wollte, anstatt Descartes gegen die Jesuiten zu vertheidigen, daß man sich mit den Jesuiten gegen Descartes verbinde. Arnauld vertheidigte und propagirte den Karte-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/199>, abgerufen am 02.07.2024.