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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Königin von Polen, Frau v. Se'vigne und hundert andere Persönlichkeiten,
die wenn auch auf verschiedenen Wegen doch alle nach demselben Ziele
streben.

Richelieu, welcher alsbald in Saint-Cyran die Seele des Widerstandes
und den muthigsten Kämpfer gegen den Jesuitismus erkannte, hätte nichts
lieber gewünscht, als ihn zu gewinnen; aber die Männer von Port-Royal
gehörten nicht zu denen, die um äußeren Vortheils willen ihre innere Ueber¬
zeugung opferten. Saint-Cyran hatte wichtigere Dinge zu verrichten, als sich
durch einen Bischofssitz in den Ruhestand versetzen zu lassen. Sein Ziel war,
das ursprüngliche Christenthum der ersten Zeiten wiederherzustellen. Das
siebzehnte Jahrhundert, so religiös es auch war, ließ doch noch so manches
zu wünschen übrig. Selbst Männer wie Montaigne, La Rochefoucauld,
Moliere und La Bryöre konnten nur die Achsel zuckend sagen: Es ist einmal
so. Port-Royal aber und die Seinigen wollten der Corruption entgegen¬
arbeiten. Hierauf waren die Pläne gerichtet, welche Saint-Cyran hegte. So
sagte er zu Saint-Mncent de Paul: "Gott hat mir eine große Erleuchtung
gegeben; er ließ mich erkennen, daß es keine Kirche mehr gibt. Nein, es
gibt keine Kirche mehr, schon seit fünf oder sechs Jahrhunderten. Einst war
die Kirche wie ein großer Fluß, welcher klares Wasser hatte, das Bett dieses
schönen Flusses ist noch das nämliche, aber es ist nicht mehr dasselbe Wasser."
Noch bezeichnender ist es, daß er das Concil zu Trient eine "politische Ver¬
sammlung" nannte.

Einen eifrigen Freund fand Saint-Cyran an Jansenius, welchen er
1603 in Paris kennen gelernt hatte. Er führte ihn darauf nach Bayonne
in seine Familie, und hier vertieften sie sich fünf Jahre lang in das Studium
des alten Christenthums mit solchem..Eifer, daß' die Mutter oft zu ihrem
Sohne sagte, er werde noch den guten Flamländer tödten, Jansenius aber
war unermüdlich. Hier legte er den Grund zu seinem "Augustinus". Beim
Erscheinen des Buches saß Saint-Cyran gerade im Gefängniß. Als er es
gelesen hatte, war er so begeistert davon, daß er ausrief: "Und wenn der
Papst und der König sich verschwören uns zu vernichten, so werden sie doch
niemals zum Ziele gelangen."

Diese Schrift, welche eine so außerordentliche Bewegung hervorrief, war
ein Appell des ursprünglichen Christenthums gegen das Christenthum des Tages,
ein Protest der augustinischen Theologie gegen die Theologie der Modernen. Der
"Augustinus" war eine christliche Nevolutionspredigt. Es dürfen aber Port-
Royal und Jansenismus nicht für identisch gehalten werden; beide haben weiter
nichts gemein, als daß sie sich oft begegneten und namentlich der Port-Royalist
Saint-Cyran warf sich zum Vertheidiger des augustinischen Christenthums
auf. Dadurch verschuldete er es, daß der Cardinal Richelieu immer unge-


Königin von Polen, Frau v. Se'vigne und hundert andere Persönlichkeiten,
die wenn auch auf verschiedenen Wegen doch alle nach demselben Ziele
streben.

Richelieu, welcher alsbald in Saint-Cyran die Seele des Widerstandes
und den muthigsten Kämpfer gegen den Jesuitismus erkannte, hätte nichts
lieber gewünscht, als ihn zu gewinnen; aber die Männer von Port-Royal
gehörten nicht zu denen, die um äußeren Vortheils willen ihre innere Ueber¬
zeugung opferten. Saint-Cyran hatte wichtigere Dinge zu verrichten, als sich
durch einen Bischofssitz in den Ruhestand versetzen zu lassen. Sein Ziel war,
das ursprüngliche Christenthum der ersten Zeiten wiederherzustellen. Das
siebzehnte Jahrhundert, so religiös es auch war, ließ doch noch so manches
zu wünschen übrig. Selbst Männer wie Montaigne, La Rochefoucauld,
Moliere und La Bryöre konnten nur die Achsel zuckend sagen: Es ist einmal
so. Port-Royal aber und die Seinigen wollten der Corruption entgegen¬
arbeiten. Hierauf waren die Pläne gerichtet, welche Saint-Cyran hegte. So
sagte er zu Saint-Mncent de Paul: „Gott hat mir eine große Erleuchtung
gegeben; er ließ mich erkennen, daß es keine Kirche mehr gibt. Nein, es
gibt keine Kirche mehr, schon seit fünf oder sechs Jahrhunderten. Einst war
die Kirche wie ein großer Fluß, welcher klares Wasser hatte, das Bett dieses
schönen Flusses ist noch das nämliche, aber es ist nicht mehr dasselbe Wasser."
Noch bezeichnender ist es, daß er das Concil zu Trient eine „politische Ver¬
sammlung" nannte.

Einen eifrigen Freund fand Saint-Cyran an Jansenius, welchen er
1603 in Paris kennen gelernt hatte. Er führte ihn darauf nach Bayonne
in seine Familie, und hier vertieften sie sich fünf Jahre lang in das Studium
des alten Christenthums mit solchem..Eifer, daß' die Mutter oft zu ihrem
Sohne sagte, er werde noch den guten Flamländer tödten, Jansenius aber
war unermüdlich. Hier legte er den Grund zu seinem „Augustinus". Beim
Erscheinen des Buches saß Saint-Cyran gerade im Gefängniß. Als er es
gelesen hatte, war er so begeistert davon, daß er ausrief: „Und wenn der
Papst und der König sich verschwören uns zu vernichten, so werden sie doch
niemals zum Ziele gelangen."

Diese Schrift, welche eine so außerordentliche Bewegung hervorrief, war
ein Appell des ursprünglichen Christenthums gegen das Christenthum des Tages,
ein Protest der augustinischen Theologie gegen die Theologie der Modernen. Der
„Augustinus" war eine christliche Nevolutionspredigt. Es dürfen aber Port-
Royal und Jansenismus nicht für identisch gehalten werden; beide haben weiter
nichts gemein, als daß sie sich oft begegneten und namentlich der Port-Royalist
Saint-Cyran warf sich zum Vertheidiger des augustinischen Christenthums
auf. Dadurch verschuldete er es, daß der Cardinal Richelieu immer unge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/198>, abgerufen am 02.07.2024.