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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Wahre Empfindungen aber vermißt man ebenso wie jenes innige Hineinleben
in die Natur, ohne welches auch die correcte und ansprechende Form ein
abstractes Scheinwesen bleibt. Erheben sich selbst die vorzüglichsten Kunst¬
werke der Kaiserzeit nicht zur Höhe wahrer Kunstschöpfungen, so sehen wir
in der überwiegend großen Masse nur Leistungen, die je nach den Mitteln
mit mehr oder weniger Aufwand die Forderungen des Tages d. h. des
Modegeschmacks befriedigen sollten. Dafür liefern den schlagenden Beweis die
zahllosen Copien berühmter Statuen, welche, für die gelehrte Forschung von
unschätzbarem Werth, weil sie uns von den verlorenen Originalen eine be¬
stimmtere Vorstellung fassen lassen, wenn man sie als Zeugnisse für die
Geschmacksrichtung und Kunstübung ihrer Zeit saßt, einen trostlosen Ein¬
druck von Oede und Leere machen. Was anerkannt berühmt war, wollte
Jeder haben, wie es allgemein gefiel, wollte Jeder sein Haus, sein
Geräth geschmückt haben, und was Jeder haben wollte, machte der Künst¬
ler, wenn es ihm befohlen oder bezahlt wurde. Die römische Mode erstreckte
aber ihre Macht weit über das Weichbild der Hauptstadt hinaus; soweit
römische Beamten und Soldaten zogen, brachten sie die Ansprüche der
Residenz an Comfort und Eleganz mit und wußten diese auch durch Kunst
und Kunsthandwerk zu befriedigen. Die berühmten Statuen, welche man
in Rom allenthalben sah, mochte man in der Provinz nicht vermissen. In
Trier haben sich Copien der berühmten Amazonenstatue und der Venus
von Melos, in Soissons eine Gruppe aus dem Kreise der Niobiden, in
Afrika des Dornausziehers gefunden. Plinius und Vitruv beschrei¬
ben übereinstimmend eine Art der Zimmermalerei, welche zur Zeit des
Augustus aufkam und rasch allgemein beliebt wurde, weil sie ohne
großen Aufwand auch dem Privatmann eine angenehme, lebhafte und nach
etwas aussehende Verzierung seiner häuslichen Räume verschaffte. Vitruv
äußert sich sehr unzufrieden mit der phantastischen Arabeskenarchitectur,
die aller Wirklichkeit ins Gesicht schlage, und Plinius ruft dieser in allen Privat¬
häuser eingezogenen Wandmalerei gegenüber aus, daß die Maler dauernden
Ruhm nur durch Staffeleigemälde gewonnen haben. An die großartigen Wand¬
gemälde der alten griechischen Maler dachte der an die römischen Samm¬
lungen gewöhnte Encylopädiker nicht. Von dieser Zimmermalerei konnten die
in Rom theilweise in Gräbern theils in Palastruinen gefundenen Wandgemälde,
eine Vorstellung geben. Allein einst die Entdeckung von Herculanum und
Pompeji verschaffte uns die volle Anschauung, und zeigte zugleich, wie man
in den Landstädten nachbildete, was in Rom in Gunst und Ansehen stand.
Denn es ist nicht zu bezweifeln, daß zu den Zimmerverzierungen, wie zu so
vielen Gerathen und mannigfachen Erzeugnissen des Luxus, die Vorbilder und
Muster aus Rom bezogen wurden. Die gleiche Erscheinung wiederholt sich


Grenzboten III. 1868. 23

Wahre Empfindungen aber vermißt man ebenso wie jenes innige Hineinleben
in die Natur, ohne welches auch die correcte und ansprechende Form ein
abstractes Scheinwesen bleibt. Erheben sich selbst die vorzüglichsten Kunst¬
werke der Kaiserzeit nicht zur Höhe wahrer Kunstschöpfungen, so sehen wir
in der überwiegend großen Masse nur Leistungen, die je nach den Mitteln
mit mehr oder weniger Aufwand die Forderungen des Tages d. h. des
Modegeschmacks befriedigen sollten. Dafür liefern den schlagenden Beweis die
zahllosen Copien berühmter Statuen, welche, für die gelehrte Forschung von
unschätzbarem Werth, weil sie uns von den verlorenen Originalen eine be¬
stimmtere Vorstellung fassen lassen, wenn man sie als Zeugnisse für die
Geschmacksrichtung und Kunstübung ihrer Zeit saßt, einen trostlosen Ein¬
druck von Oede und Leere machen. Was anerkannt berühmt war, wollte
Jeder haben, wie es allgemein gefiel, wollte Jeder sein Haus, sein
Geräth geschmückt haben, und was Jeder haben wollte, machte der Künst¬
ler, wenn es ihm befohlen oder bezahlt wurde. Die römische Mode erstreckte
aber ihre Macht weit über das Weichbild der Hauptstadt hinaus; soweit
römische Beamten und Soldaten zogen, brachten sie die Ansprüche der
Residenz an Comfort und Eleganz mit und wußten diese auch durch Kunst
und Kunsthandwerk zu befriedigen. Die berühmten Statuen, welche man
in Rom allenthalben sah, mochte man in der Provinz nicht vermissen. In
Trier haben sich Copien der berühmten Amazonenstatue und der Venus
von Melos, in Soissons eine Gruppe aus dem Kreise der Niobiden, in
Afrika des Dornausziehers gefunden. Plinius und Vitruv beschrei¬
ben übereinstimmend eine Art der Zimmermalerei, welche zur Zeit des
Augustus aufkam und rasch allgemein beliebt wurde, weil sie ohne
großen Aufwand auch dem Privatmann eine angenehme, lebhafte und nach
etwas aussehende Verzierung seiner häuslichen Räume verschaffte. Vitruv
äußert sich sehr unzufrieden mit der phantastischen Arabeskenarchitectur,
die aller Wirklichkeit ins Gesicht schlage, und Plinius ruft dieser in allen Privat¬
häuser eingezogenen Wandmalerei gegenüber aus, daß die Maler dauernden
Ruhm nur durch Staffeleigemälde gewonnen haben. An die großartigen Wand¬
gemälde der alten griechischen Maler dachte der an die römischen Samm¬
lungen gewöhnte Encylopädiker nicht. Von dieser Zimmermalerei konnten die
in Rom theilweise in Gräbern theils in Palastruinen gefundenen Wandgemälde,
eine Vorstellung geben. Allein einst die Entdeckung von Herculanum und
Pompeji verschaffte uns die volle Anschauung, und zeigte zugleich, wie man
in den Landstädten nachbildete, was in Rom in Gunst und Ansehen stand.
Denn es ist nicht zu bezweifeln, daß zu den Zimmerverzierungen, wie zu so
vielen Gerathen und mannigfachen Erzeugnissen des Luxus, die Vorbilder und
Muster aus Rom bezogen wurden. Die gleiche Erscheinung wiederholt sich


Grenzboten III. 1868. 23
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[0195] Wahre Empfindungen aber vermißt man ebenso wie jenes innige Hineinleben in die Natur, ohne welches auch die correcte und ansprechende Form ein abstractes Scheinwesen bleibt. Erheben sich selbst die vorzüglichsten Kunst¬ werke der Kaiserzeit nicht zur Höhe wahrer Kunstschöpfungen, so sehen wir in der überwiegend großen Masse nur Leistungen, die je nach den Mitteln mit mehr oder weniger Aufwand die Forderungen des Tages d. h. des Modegeschmacks befriedigen sollten. Dafür liefern den schlagenden Beweis die zahllosen Copien berühmter Statuen, welche, für die gelehrte Forschung von unschätzbarem Werth, weil sie uns von den verlorenen Originalen eine be¬ stimmtere Vorstellung fassen lassen, wenn man sie als Zeugnisse für die Geschmacksrichtung und Kunstübung ihrer Zeit saßt, einen trostlosen Ein¬ druck von Oede und Leere machen. Was anerkannt berühmt war, wollte Jeder haben, wie es allgemein gefiel, wollte Jeder sein Haus, sein Geräth geschmückt haben, und was Jeder haben wollte, machte der Künst¬ ler, wenn es ihm befohlen oder bezahlt wurde. Die römische Mode erstreckte aber ihre Macht weit über das Weichbild der Hauptstadt hinaus; soweit römische Beamten und Soldaten zogen, brachten sie die Ansprüche der Residenz an Comfort und Eleganz mit und wußten diese auch durch Kunst und Kunsthandwerk zu befriedigen. Die berühmten Statuen, welche man in Rom allenthalben sah, mochte man in der Provinz nicht vermissen. In Trier haben sich Copien der berühmten Amazonenstatue und der Venus von Melos, in Soissons eine Gruppe aus dem Kreise der Niobiden, in Afrika des Dornausziehers gefunden. Plinius und Vitruv beschrei¬ ben übereinstimmend eine Art der Zimmermalerei, welche zur Zeit des Augustus aufkam und rasch allgemein beliebt wurde, weil sie ohne großen Aufwand auch dem Privatmann eine angenehme, lebhafte und nach etwas aussehende Verzierung seiner häuslichen Räume verschaffte. Vitruv äußert sich sehr unzufrieden mit der phantastischen Arabeskenarchitectur, die aller Wirklichkeit ins Gesicht schlage, und Plinius ruft dieser in allen Privat¬ häuser eingezogenen Wandmalerei gegenüber aus, daß die Maler dauernden Ruhm nur durch Staffeleigemälde gewonnen haben. An die großartigen Wand¬ gemälde der alten griechischen Maler dachte der an die römischen Samm¬ lungen gewöhnte Encylopädiker nicht. Von dieser Zimmermalerei konnten die in Rom theilweise in Gräbern theils in Palastruinen gefundenen Wandgemälde, eine Vorstellung geben. Allein einst die Entdeckung von Herculanum und Pompeji verschaffte uns die volle Anschauung, und zeigte zugleich, wie man in den Landstädten nachbildete, was in Rom in Gunst und Ansehen stand. Denn es ist nicht zu bezweifeln, daß zu den Zimmerverzierungen, wie zu so vielen Gerathen und mannigfachen Erzeugnissen des Luxus, die Vorbilder und Muster aus Rom bezogen wurden. Die gleiche Erscheinung wiederholt sich Grenzboten III. 1868. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/195>, abgerufen am 02.07.2024.