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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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vielen, welchen es nur um ein Vorbild zu thun war, das kaiserliche in erster
Linie bestimmend und es diesem nachzuthun eine besondere Befriedigung sein
mußte. Indessen haben wir in dem Geschmack der Kaiser doch nur ganz
ausnahmsweise wirklich künstlerisch eingreifende und nachwirkende Impulse
zu suchen, alles Wesentliche blieb sicherlich den Ausführenden überlassen.
Man wird daher die Künstler selbst als die eigentlichen Urheber und Vertreter
auch der modischen Kunst anzusehen haben. Wie durch die Schulen der
Gramatiker und Rhetoren der Geschmack in der Litteratur im Wesentlichen
gebildet und gemodelt wird, wie er im Publikum zu allgemeiner Geltung
kommt, so rufen ihn auch die Künstler auf ihrem Gebiet hervor und begeben
sich, wie die Schriftsteller, willig in Abhängigkeit von den Anforderungendes
Publikums, zu denen sie selbst dasselbe geleitet haben. In Rom war durch
die aus Griechenland, Asien und Aegypten entführten, in Tempeln
und öffentlichen Gebäuden aller Art, in Palästen und Villen aufgehäuften
Kunstwerke aller Zeiten und Schulen, jeder Technik und Art, ein unerschöpf¬
liches Material für Kunstbildung vorhanden, das aber durch Fülle und
Mischung, besonders unter dem aufregenden und zerstreuenden Einfluß der
großen Hauptstadt, auf Beschauer und Künstler eher beunruhigend und ver-
wirrend, als durch Sammlung innerlich fördernd wirken konnte. Was auch
dem Künstler für Aufgaben gestellt wurden, er fand Vorbilder zum Nach¬
bilden, Einzelnheiten zum Benutzen und Zusammenstellen ohne Mühe, und
sah sich aller Mühe des Erfinders um so eher überhoben, als auch der Be¬
steller, der sich an allem was die 'Kunst nach den verschiedensten Richtun¬
gen Vorzügliches und als solches anerkanntes geleistet, schon satt gesehen
hatte, seiner Originalität mit einem gewissen Mißtrauen entgegen kam.
Unter solchen Verhältnissen und gegen den unvermeidlich nivellirenden Ein¬
fluß der Hauptstadt war eine künstlerische Kraft von ganz ungewöhnlicher
Energie und Frische erforderlich, um alle Bildungsmittel zu beherrschen und
dadurch dem ausgebildeten Geschmack zu genügen, und die Selbständigkeit
der Erfindung zu erhalten, die einen neuen Weg einzuschlagen und zu ver¬
folgen allein befähigt. Allein nach einer solchen Künstlernatur und ihren
Leistungen fragen wir in der Kaiserzeit bei Schriftstellern und Kunstwer¬
ken vergebens; begab sich die Kunst in den Dienst der Menge, so erhoben
sich auch die Künstler nicht über das Niveau der Menge. Auf künst¬
lerische Originalität im höheren Sinne scheinen sie gänzlich Verzicht zu
leisten. Im günstigen Falle bewähren sie ein sorgsames Studium der alten
Kunst, dadurch gewonnene Sicherheit und Geschmack in der Formgebung,
Meisterschaft in der Technik und eine geistige Gewandtheit und Leichtigkeit,
wie sie allgemeine Bildung zu geben pflegt, um vorhandenen Elementen durch
neue Combinationen und Wendungen frische Anziehungkraft zu verleihen.


vielen, welchen es nur um ein Vorbild zu thun war, das kaiserliche in erster
Linie bestimmend und es diesem nachzuthun eine besondere Befriedigung sein
mußte. Indessen haben wir in dem Geschmack der Kaiser doch nur ganz
ausnahmsweise wirklich künstlerisch eingreifende und nachwirkende Impulse
zu suchen, alles Wesentliche blieb sicherlich den Ausführenden überlassen.
Man wird daher die Künstler selbst als die eigentlichen Urheber und Vertreter
auch der modischen Kunst anzusehen haben. Wie durch die Schulen der
Gramatiker und Rhetoren der Geschmack in der Litteratur im Wesentlichen
gebildet und gemodelt wird, wie er im Publikum zu allgemeiner Geltung
kommt, so rufen ihn auch die Künstler auf ihrem Gebiet hervor und begeben
sich, wie die Schriftsteller, willig in Abhängigkeit von den Anforderungendes
Publikums, zu denen sie selbst dasselbe geleitet haben. In Rom war durch
die aus Griechenland, Asien und Aegypten entführten, in Tempeln
und öffentlichen Gebäuden aller Art, in Palästen und Villen aufgehäuften
Kunstwerke aller Zeiten und Schulen, jeder Technik und Art, ein unerschöpf¬
liches Material für Kunstbildung vorhanden, das aber durch Fülle und
Mischung, besonders unter dem aufregenden und zerstreuenden Einfluß der
großen Hauptstadt, auf Beschauer und Künstler eher beunruhigend und ver-
wirrend, als durch Sammlung innerlich fördernd wirken konnte. Was auch
dem Künstler für Aufgaben gestellt wurden, er fand Vorbilder zum Nach¬
bilden, Einzelnheiten zum Benutzen und Zusammenstellen ohne Mühe, und
sah sich aller Mühe des Erfinders um so eher überhoben, als auch der Be¬
steller, der sich an allem was die 'Kunst nach den verschiedensten Richtun¬
gen Vorzügliches und als solches anerkanntes geleistet, schon satt gesehen
hatte, seiner Originalität mit einem gewissen Mißtrauen entgegen kam.
Unter solchen Verhältnissen und gegen den unvermeidlich nivellirenden Ein¬
fluß der Hauptstadt war eine künstlerische Kraft von ganz ungewöhnlicher
Energie und Frische erforderlich, um alle Bildungsmittel zu beherrschen und
dadurch dem ausgebildeten Geschmack zu genügen, und die Selbständigkeit
der Erfindung zu erhalten, die einen neuen Weg einzuschlagen und zu ver¬
folgen allein befähigt. Allein nach einer solchen Künstlernatur und ihren
Leistungen fragen wir in der Kaiserzeit bei Schriftstellern und Kunstwer¬
ken vergebens; begab sich die Kunst in den Dienst der Menge, so erhoben
sich auch die Künstler nicht über das Niveau der Menge. Auf künst¬
lerische Originalität im höheren Sinne scheinen sie gänzlich Verzicht zu
leisten. Im günstigen Falle bewähren sie ein sorgsames Studium der alten
Kunst, dadurch gewonnene Sicherheit und Geschmack in der Formgebung,
Meisterschaft in der Technik und eine geistige Gewandtheit und Leichtigkeit,
wie sie allgemeine Bildung zu geben pflegt, um vorhandenen Elementen durch
neue Combinationen und Wendungen frische Anziehungkraft zu verleihen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/194>, abgerufen am 02.07.2024.