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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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druck gefunden, so wurde derselbe als ein typischer festgehalten, so lange die
Anschauung lebendig blieb. Die Stabilität des Ausdrucks leistetete Gewähr
für die Zuverlässigkeit der Vorstellung, das Alterthümliche nahm den Charak¬
ter des Ehrwürdigen an. Man wird sich hüten, den Begriff der Mode an¬
zuwenden, so lange noch ein Gefühl für den Zusammenhang gewisser künst¬
lerischer Formen mit Anschauungen und Vorstellungen lebendig ist, mag dieses
auch einseitig und ohne den rechten Zusammenhang, ja vielleicht im Wider¬
spruch mit der sonst giltigen Denkweise sein. Allerdings können auch die
Formen der Religion und des Cultus zur Modesache werden. Als man in
der späteren Kaiserzeit nach allen Culten griff und sich von den fremdartig¬
sten, unverständlichsten, abstoßendsten, der Zeit wie dem Raum nach entlegen"
sten am ehesten Hilfe versprach, da wurden allerdings Cultusformen und der
denselben entsprechende künstlerische Ausdruck eine Angelegenheit der Willkür
und der Mode. Auch abgesehen von jedem religiösen Interesse hat aber man
in Rom in späterer Zeit die verschiedenartigsten Votivdarstellungen ohne alle
Rücksicht auf ihre Bedeutung und Bestimmung nur als ornamentalen Schmuck
gewisser Räumlichkeiten benutzt, und wenn man die alterthümliche Vortrags¬
weise genau nachbildete, so hatte das nun keinen Grund mehr, als weil man
es so hübsch fand, weil es Mode ward.

Hierbei macht sich indeß ein künstlerisches Moment geltend, welches
nähere Beachtung erheischt. Unverkennbar hat man zu verschiedenen Zeiten
die eigenthümliche Formbehandlung mehr oder weniger streng beibehalten,
wo die Sculptur mehr ornamentale Bedeutung hat, namentlich wo sie mit
der Architectur in Verbindung trat. Daß der scharf ausgeprägte, noth¬
wendig dominirende Charakter der architectonischen Formen eine gewisse Acco-
modation der übrigen Künste verlangt, damit ein einheitlicher Eindruck er¬
zielt werde, daß sogar die organische Natur sich ihren Bedingungen in etwas
fügen müsse, ist anerkannt. Die Formen der Pflanzen, welche in der Archi¬
tectur so vielfach angewendet werden, um durch eine in die Augen fallende
Analogie die Functionen der architectonischen Glieder als lebendige Thätig¬
keit organisch wirkender Kräfte erscheinen zu lassen, werden nicht einfach nach¬
gebildet, sondern so aufgefaßt, als habe die Natur sie an dieser Stelle für
diesen bestimmten Zweck geschaffen, also auch in Uebereinstimmung mit dem
Charakter der architectonischen Formen, welchen sie sich anschließen. Auch
Thiergestalten, oder einzelne Glieder des thierischen Körpers z. B. der Löwen¬
kopf an der Traufe, selbst die menschliche Gestalt, wo sie tragend und stützend
in die Architectur eintritt, muß sich eine gewisse Assimilation gefallen lassen,
um so mehr, je entschiedener sie ihre Selbständigkeit im Dienst der Archi¬
tectur aufgibt. Man pflegt das stilisiren zu nennen, um darauf hinzu¬
weisen, daß es hier ein bewußtes Anwenden künstlerischer Normen gilt, weiche

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druck gefunden, so wurde derselbe als ein typischer festgehalten, so lange die
Anschauung lebendig blieb. Die Stabilität des Ausdrucks leistetete Gewähr
für die Zuverlässigkeit der Vorstellung, das Alterthümliche nahm den Charak¬
ter des Ehrwürdigen an. Man wird sich hüten, den Begriff der Mode an¬
zuwenden, so lange noch ein Gefühl für den Zusammenhang gewisser künst¬
lerischer Formen mit Anschauungen und Vorstellungen lebendig ist, mag dieses
auch einseitig und ohne den rechten Zusammenhang, ja vielleicht im Wider¬
spruch mit der sonst giltigen Denkweise sein. Allerdings können auch die
Formen der Religion und des Cultus zur Modesache werden. Als man in
der späteren Kaiserzeit nach allen Culten griff und sich von den fremdartig¬
sten, unverständlichsten, abstoßendsten, der Zeit wie dem Raum nach entlegen»
sten am ehesten Hilfe versprach, da wurden allerdings Cultusformen und der
denselben entsprechende künstlerische Ausdruck eine Angelegenheit der Willkür
und der Mode. Auch abgesehen von jedem religiösen Interesse hat aber man
in Rom in späterer Zeit die verschiedenartigsten Votivdarstellungen ohne alle
Rücksicht auf ihre Bedeutung und Bestimmung nur als ornamentalen Schmuck
gewisser Räumlichkeiten benutzt, und wenn man die alterthümliche Vortrags¬
weise genau nachbildete, so hatte das nun keinen Grund mehr, als weil man
es so hübsch fand, weil es Mode ward.

Hierbei macht sich indeß ein künstlerisches Moment geltend, welches
nähere Beachtung erheischt. Unverkennbar hat man zu verschiedenen Zeiten
die eigenthümliche Formbehandlung mehr oder weniger streng beibehalten,
wo die Sculptur mehr ornamentale Bedeutung hat, namentlich wo sie mit
der Architectur in Verbindung trat. Daß der scharf ausgeprägte, noth¬
wendig dominirende Charakter der architectonischen Formen eine gewisse Acco-
modation der übrigen Künste verlangt, damit ein einheitlicher Eindruck er¬
zielt werde, daß sogar die organische Natur sich ihren Bedingungen in etwas
fügen müsse, ist anerkannt. Die Formen der Pflanzen, welche in der Archi¬
tectur so vielfach angewendet werden, um durch eine in die Augen fallende
Analogie die Functionen der architectonischen Glieder als lebendige Thätig¬
keit organisch wirkender Kräfte erscheinen zu lassen, werden nicht einfach nach¬
gebildet, sondern so aufgefaßt, als habe die Natur sie an dieser Stelle für
diesen bestimmten Zweck geschaffen, also auch in Uebereinstimmung mit dem
Charakter der architectonischen Formen, welchen sie sich anschließen. Auch
Thiergestalten, oder einzelne Glieder des thierischen Körpers z. B. der Löwen¬
kopf an der Traufe, selbst die menschliche Gestalt, wo sie tragend und stützend
in die Architectur eintritt, muß sich eine gewisse Assimilation gefallen lassen,
um so mehr, je entschiedener sie ihre Selbständigkeit im Dienst der Archi¬
tectur aufgibt. Man pflegt das stilisiren zu nennen, um darauf hinzu¬
weisen, daß es hier ein bewußtes Anwenden künstlerischer Normen gilt, weiche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/188>, abgerufen am 02.07.2024.