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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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was vorgenommen wird, so ist offenbar ein feierlicher Moment dargestellt,
dessen Weihe den Knaben sichtlich ergriffen hat. Auffallend ist die Verschie¬
denheit in der Auffassung der beiden Göttinen. Während die eine mit der
Fackel in Haltung, Gewandung, in der Behandlung des Haars die bis in
die einzelnen kleinen Motive durchgebildete Freiheit der völlig entfalteten
attischen Kunst zeigt, verräth die gegenüberstehende mit dem Scepter in al¬
len diesen Beziehungen eine gewisse Alterthümlichkeit, welche in ihrer grad¬
linigen Einfachheit an die giustinianische Vesta erinnert. Wenn man an¬
nimmt, daß der Künstler bestimmte Bilder der Göttinnen in charakteristischer
Weise wiedergab, so erklärt sich nicht allein diese Verschiedenheit, sondern man
sieht ein, daß die Gegenwart der Gottheiten nur durch den Hinweis auf die
allgemein verehrten Bilder selber unzweideutig ausgedrückt werden konnte.
Bei Votivdarstellungen wurde überhaupt der alterthümliche Stil fortwährend
vielfach angewendet, weil diese einen typischen Charakter zu behaupten Pflegen.
Wie die Sage theils die dem Ritus wesentliche Vorstellung von dem unmit¬
telbaren Verkehr der Gottheit mit den Sterblichen durch Berichte bestimmter
Vorgänge rechtfertigt, theils für die verschiedenartigsten Vorkommnisse, in
welchen frommer Glaube ein unmittelbares Eingreifen göttlicher Macht wahr¬
nahm, ideale Spiegelbilder darbot, so liebte man auch bei Votivdarstellungen
eine Auffassung, welche das individuell Persönliche in ein mythisches Gewand
hüllte. Wer von einer schweren Krankheit genesen war, der weihte zum
Dank ein Bild, wie der Heilgott persönlich an das Lager eines Kranken
tritt, wer dem Bacchus besonderen Dank schuldete, ließ darstellen, wie
der Gott mit seinem schwärmenden Gefolge in das Haus eines Begnadeten
einzieht. Ueberall erzählt die Sage von solchen Beweisen göttlicher Huld,
auch fehlt es zu keiner Zeit an wohlbeglaubigten Erzählungen ähnlicher Wun¬
dergeschichten; Darstellungen dieser Art waren daher ein unmittelbar verständ¬
licher Ausdruck für den Gedanken: auch mir hat sich die Gottheit hilf¬
reich erwiesen. Eine etwas anders gewendete Vorstellung ist es, wenn ein
Sieger in einem musikalischen Wettkampf in seinem Votivrelief Apollo, den
Gott der Musenkunst, als Sieger von der Siegesgöttin begrüßt, darstellt.
Von Apollo geht alle musische Kunst aus, wer sie mit Geschick und Erfolg
ausübt, hat es dem Gott zu danken; Apollo hat den Wettkampf gestiftet,
ist der erste Sieger gewesen, jedes Festspiel ist nur das Abbild und die Er¬
neuerung des ersten göttlichen. Daher tritt der Citharöde beim Wettkampf
in der feierlichen Tracht des Gottes auf, wie auch bei anderen Cultusge¬
bräuchen der Priester, der Triumphator in Rom beim Triumph durch seine
Tracht den Gott selbst darstellt, der sich durch ihn verherrlicht. So gibt auch
der Sieger im Votivrelief dem Gott die Ehre, welche er ihm dankt. Hatten
nun diese und verwandte Vorstellungen einen bestimmten künstlerischen An.s-


Grenzboten III. 1868. 22

was vorgenommen wird, so ist offenbar ein feierlicher Moment dargestellt,
dessen Weihe den Knaben sichtlich ergriffen hat. Auffallend ist die Verschie¬
denheit in der Auffassung der beiden Göttinen. Während die eine mit der
Fackel in Haltung, Gewandung, in der Behandlung des Haars die bis in
die einzelnen kleinen Motive durchgebildete Freiheit der völlig entfalteten
attischen Kunst zeigt, verräth die gegenüberstehende mit dem Scepter in al¬
len diesen Beziehungen eine gewisse Alterthümlichkeit, welche in ihrer grad¬
linigen Einfachheit an die giustinianische Vesta erinnert. Wenn man an¬
nimmt, daß der Künstler bestimmte Bilder der Göttinnen in charakteristischer
Weise wiedergab, so erklärt sich nicht allein diese Verschiedenheit, sondern man
sieht ein, daß die Gegenwart der Gottheiten nur durch den Hinweis auf die
allgemein verehrten Bilder selber unzweideutig ausgedrückt werden konnte.
Bei Votivdarstellungen wurde überhaupt der alterthümliche Stil fortwährend
vielfach angewendet, weil diese einen typischen Charakter zu behaupten Pflegen.
Wie die Sage theils die dem Ritus wesentliche Vorstellung von dem unmit¬
telbaren Verkehr der Gottheit mit den Sterblichen durch Berichte bestimmter
Vorgänge rechtfertigt, theils für die verschiedenartigsten Vorkommnisse, in
welchen frommer Glaube ein unmittelbares Eingreifen göttlicher Macht wahr¬
nahm, ideale Spiegelbilder darbot, so liebte man auch bei Votivdarstellungen
eine Auffassung, welche das individuell Persönliche in ein mythisches Gewand
hüllte. Wer von einer schweren Krankheit genesen war, der weihte zum
Dank ein Bild, wie der Heilgott persönlich an das Lager eines Kranken
tritt, wer dem Bacchus besonderen Dank schuldete, ließ darstellen, wie
der Gott mit seinem schwärmenden Gefolge in das Haus eines Begnadeten
einzieht. Ueberall erzählt die Sage von solchen Beweisen göttlicher Huld,
auch fehlt es zu keiner Zeit an wohlbeglaubigten Erzählungen ähnlicher Wun¬
dergeschichten; Darstellungen dieser Art waren daher ein unmittelbar verständ¬
licher Ausdruck für den Gedanken: auch mir hat sich die Gottheit hilf¬
reich erwiesen. Eine etwas anders gewendete Vorstellung ist es, wenn ein
Sieger in einem musikalischen Wettkampf in seinem Votivrelief Apollo, den
Gott der Musenkunst, als Sieger von der Siegesgöttin begrüßt, darstellt.
Von Apollo geht alle musische Kunst aus, wer sie mit Geschick und Erfolg
ausübt, hat es dem Gott zu danken; Apollo hat den Wettkampf gestiftet,
ist der erste Sieger gewesen, jedes Festspiel ist nur das Abbild und die Er¬
neuerung des ersten göttlichen. Daher tritt der Citharöde beim Wettkampf
in der feierlichen Tracht des Gottes auf, wie auch bei anderen Cultusge¬
bräuchen der Priester, der Triumphator in Rom beim Triumph durch seine
Tracht den Gott selbst darstellt, der sich durch ihn verherrlicht. So gibt auch
der Sieger im Votivrelief dem Gott die Ehre, welche er ihm dankt. Hatten
nun diese und verwandte Vorstellungen einen bestimmten künstlerischen An.s-


Grenzboten III. 1868. 22
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/187>, abgerufen am 02.07.2024.