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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Wahrnehmungen der Art bis zu einem Nachweis des Entwickelungsganges ist
noch ein weiter Weg. Ehe man aber solchen Erscheinungen gegenüber von
modischer Kunst sprechen darf, sind noch mancherlei Erwägungen anzustellen.
Zunächst versteht es sich von selbst, daß bei regelmäßigem Fortschreiten der
Kunstübung, wenn auch durch ein Zusammenwirken einflußreicher Verhältnisse
und großartiger Künstlernaturen ein ungewöhnlich rascher Umschwung ein¬
tritt, wie dies z. B. zur Zeit des Phidias der Fall war, dieser nicht gleich¬
mäßig sofort alle ergreift. Bei einem Theil der Künstler wie des Publikums
lebt die alte Anschauungsweise sort und wird wohl auch um so energischer
festgehalten, je entschiedener sie der Zeitströmung entgegen ist. Es fehlt
daher neben den Werken der frei strebenden und zur Schönheit gereiften
Kunst nicht an solchen, in denen die alterthümliche Weise als der rechte
Ausdruck einer ernsten und würdigen Kunst aus ehrlicher künstlerischer Ueber¬
zeugung beibehalten wird; erst allmählich stirbt diese Richtung ganz aus.
Hier kann natürlich so wenig, als wenn zu verschiedenen Zeiten einzelne
Individuen durch eigenthümliche Anlage und Studien zu einer. alterthüm¬
lichen Richtung ihrer Kunstübung geführt werden, vom Einfluß der
Mode die Rede sein, welcher immer ein bis auf einen gewissen Grad allge¬
meiner sein muß.

Eine durchgreifende Erscheinung ist es allerdings, wenn die alterthüm¬
liche Weise in solchen Kunstwerken zu allen Zeiten angewendet worden ist,
welche eine bestimmte Beziehung zum Cultus hatten; daher man auch wohl
von einem hieratischen Stil gesprochen hat, was nur eine sehr bedingte
Anwendung haben kann. Bei der Nachbildung eines bestimmten Cultusbildes
verstand es sich von selbst, daß genau die ganze Erscheinung desselben wieder¬
gegeben werden mußte. Denn an diese knüpfte sich die Verehrung und der
Glaube an die besondere Macht einer durch einen bestimmten Cultus geehr¬
ten Gottheit. Sowie durch den Ort, den Beinamen, die Cultusbräuche wurde
auch durch die äußere Gestalt eine Gottheit zu dem besonderen göttlichen
Individuum, das eine ausgezeichnete Verehrung genoß. Alterthümliches,
auffälliges, bis zum Lächerlichen befremdliches Aussehen der Cultusbilder
wird häufig durch Legenden mancherlei Art erklärt und trug meistens bei,
das Bild ehrwürdiger erscheinen zu lassen; es wurde daher sorgfältig beibe¬
halten, nicht nur, wo es sich um Cultusübertragung handelte, sondern auch
wo es darauf ankam, die Vorstellung eines bestimmten Götterbildes hervor¬
zurufen. Der Athener, wenn er von seiner Burggöttin (Athene Polias)
sprach, machte sich keine andere Vorstellung von derselben, als wie erste auf
den panathenäischen Oelkrügen sah. Auf dem schönen, neuerdings in Eleu-
sis gefundenen Weihrelief steht ein zum Jüngling heranreifender Knabe
zwischen den beiden eleusinischen Göttinen. Wiewohl nicht ganz klar ist,


Wahrnehmungen der Art bis zu einem Nachweis des Entwickelungsganges ist
noch ein weiter Weg. Ehe man aber solchen Erscheinungen gegenüber von
modischer Kunst sprechen darf, sind noch mancherlei Erwägungen anzustellen.
Zunächst versteht es sich von selbst, daß bei regelmäßigem Fortschreiten der
Kunstübung, wenn auch durch ein Zusammenwirken einflußreicher Verhältnisse
und großartiger Künstlernaturen ein ungewöhnlich rascher Umschwung ein¬
tritt, wie dies z. B. zur Zeit des Phidias der Fall war, dieser nicht gleich¬
mäßig sofort alle ergreift. Bei einem Theil der Künstler wie des Publikums
lebt die alte Anschauungsweise sort und wird wohl auch um so energischer
festgehalten, je entschiedener sie der Zeitströmung entgegen ist. Es fehlt
daher neben den Werken der frei strebenden und zur Schönheit gereiften
Kunst nicht an solchen, in denen die alterthümliche Weise als der rechte
Ausdruck einer ernsten und würdigen Kunst aus ehrlicher künstlerischer Ueber¬
zeugung beibehalten wird; erst allmählich stirbt diese Richtung ganz aus.
Hier kann natürlich so wenig, als wenn zu verschiedenen Zeiten einzelne
Individuen durch eigenthümliche Anlage und Studien zu einer. alterthüm¬
lichen Richtung ihrer Kunstübung geführt werden, vom Einfluß der
Mode die Rede sein, welcher immer ein bis auf einen gewissen Grad allge¬
meiner sein muß.

Eine durchgreifende Erscheinung ist es allerdings, wenn die alterthüm¬
liche Weise in solchen Kunstwerken zu allen Zeiten angewendet worden ist,
welche eine bestimmte Beziehung zum Cultus hatten; daher man auch wohl
von einem hieratischen Stil gesprochen hat, was nur eine sehr bedingte
Anwendung haben kann. Bei der Nachbildung eines bestimmten Cultusbildes
verstand es sich von selbst, daß genau die ganze Erscheinung desselben wieder¬
gegeben werden mußte. Denn an diese knüpfte sich die Verehrung und der
Glaube an die besondere Macht einer durch einen bestimmten Cultus geehr¬
ten Gottheit. Sowie durch den Ort, den Beinamen, die Cultusbräuche wurde
auch durch die äußere Gestalt eine Gottheit zu dem besonderen göttlichen
Individuum, das eine ausgezeichnete Verehrung genoß. Alterthümliches,
auffälliges, bis zum Lächerlichen befremdliches Aussehen der Cultusbilder
wird häufig durch Legenden mancherlei Art erklärt und trug meistens bei,
das Bild ehrwürdiger erscheinen zu lassen; es wurde daher sorgfältig beibe¬
halten, nicht nur, wo es sich um Cultusübertragung handelte, sondern auch
wo es darauf ankam, die Vorstellung eines bestimmten Götterbildes hervor¬
zurufen. Der Athener, wenn er von seiner Burggöttin (Athene Polias)
sprach, machte sich keine andere Vorstellung von derselben, als wie erste auf
den panathenäischen Oelkrügen sah. Auf dem schönen, neuerdings in Eleu-
sis gefundenen Weihrelief steht ein zum Jüngling heranreifender Knabe
zwischen den beiden eleusinischen Göttinen. Wiewohl nicht ganz klar ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/186>, abgerufen am 02.07.2024.