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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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druck als das eigentlich stilistische machen, in Zeiten einer vollkommen
frei entwickelten Kunst nachgeahmt ^worden ist, steht fest. Seitdem in den cigi-
netischen Giebelgruppen zuerst Werke unzweifelhaft alter griechischer
Kunst bekannt wurden, denen sich später andere in Atrika und sonst'
wo gefundene gesellten, hat man erkannt, daß die meisten der Werke,
welche früher als alte galten, nur nachgeahmte sind. Denn abgesehen von
den feineren stilistischen Zügen, an welchen ein durch das Studium un¬
zweifelhaft alter Monumente geübtes Kunstgefühl den Nachahmer unterschei¬
det, pflegt dieser, entweder aus Unachtsamkeit oder weil er es für effectvoller
hält, in einzelnen Zuthaten den Kunstgebrauch seiner Zeit zu verrathen. Der
berühmte Athenetorso in Dresden ist ohne Zweifel das Nachbild eines
uralten Cultusbildes in Athen, von dem es uns eine belehrende Anschauung
bietet; allein, daß er kein Werk alter Kunst, sondern eine Nachahmung
später Zeit ist, beweisen augenscheinlich die kleinen Reliefs in den breiten
Gewandstreifen, welche die auf dem Gewand der Göttin gestickten Gig an-
tenkämpse nachahmen. Sie zeigen keine Spur alterthümlicher Strenge,
sondern sind flüchtig in der Weise einer ganz freien Kunst angedeutet. Die
nicht minder interessante dreiseitige Basis in Dresden, deren Reliefs
Hauptmomente der delphischen Cultuss<">". den Kampf des Apollo und
Herakles um den Dreifuß, die Aufstellung des bacchischen Dreifußes
und der heiligen Fackel, darstellen, verräth sich als ein Werk später
Nachahmung durch die üppige Ornamentik im freiesten Stil, welche neben
den alterthümlichen Reliefs die Basis schmücken. Ebenso zeigt der im Theater
zu Athen gefundene marmorne Ehrensessel des Dionysospriesters neben
alterthümlich gehaltenen Reliefs an der Rücklehne und am Sitz an den Sei¬
tenlehnen die zierliche Figur eines hingekauerten Amor mit einem Kampf¬
hahn in anmuthig flüssiger Zeichnung. Auf den in vielen Exemplaren vor¬
handenen alterthümlichen Reliefs, welche Apollo als Cirharoden, gefolgt von
Mutter und Schwester, vor der Siegesgöttin vorstellen, welche ihm aus hoch¬
erhobener Kanne den Weihetrank einschenkt, ist im Hintergrunde ein Tempel
mit korinthischer Säulenordnung, einer viel späteren Zeit angehörig, darge-
stellt. Wie man jetzt mit ziemlicher Sicherheit alterthümliche (archaische)
Kunst von der nachahmenden alterthümelnden (archaistischen) unterscheidet,
so wird man gewiß durch fortgesetztes Beobachten und Aufmerken auf der
Zeit nach bestimmbare Monumente dahin gelangen, auch den Entwickelungs¬
gang dieser nachahmenden Kunst unter den verschiedenen Einflüssen von Ort
und Zeit genauer zu verfolgen. So ist ein Unterschied zwischen den archaisti¬
schen Werken Athens, wo sich auch in der Nachbildung ein feineres Gefühl
für das stilistische offenbart, und Roms, wo die äußerliche, mehr trockene
handwerksmäßige Arbeit vorwaltet, unverkennbar; allein von vereinzelten


druck als das eigentlich stilistische machen, in Zeiten einer vollkommen
frei entwickelten Kunst nachgeahmt ^worden ist, steht fest. Seitdem in den cigi-
netischen Giebelgruppen zuerst Werke unzweifelhaft alter griechischer
Kunst bekannt wurden, denen sich später andere in Atrika und sonst'
wo gefundene gesellten, hat man erkannt, daß die meisten der Werke,
welche früher als alte galten, nur nachgeahmte sind. Denn abgesehen von
den feineren stilistischen Zügen, an welchen ein durch das Studium un¬
zweifelhaft alter Monumente geübtes Kunstgefühl den Nachahmer unterschei¬
det, pflegt dieser, entweder aus Unachtsamkeit oder weil er es für effectvoller
hält, in einzelnen Zuthaten den Kunstgebrauch seiner Zeit zu verrathen. Der
berühmte Athenetorso in Dresden ist ohne Zweifel das Nachbild eines
uralten Cultusbildes in Athen, von dem es uns eine belehrende Anschauung
bietet; allein, daß er kein Werk alter Kunst, sondern eine Nachahmung
später Zeit ist, beweisen augenscheinlich die kleinen Reliefs in den breiten
Gewandstreifen, welche die auf dem Gewand der Göttin gestickten Gig an-
tenkämpse nachahmen. Sie zeigen keine Spur alterthümlicher Strenge,
sondern sind flüchtig in der Weise einer ganz freien Kunst angedeutet. Die
nicht minder interessante dreiseitige Basis in Dresden, deren Reliefs
Hauptmomente der delphischen Cultuss<">«. den Kampf des Apollo und
Herakles um den Dreifuß, die Aufstellung des bacchischen Dreifußes
und der heiligen Fackel, darstellen, verräth sich als ein Werk später
Nachahmung durch die üppige Ornamentik im freiesten Stil, welche neben
den alterthümlichen Reliefs die Basis schmücken. Ebenso zeigt der im Theater
zu Athen gefundene marmorne Ehrensessel des Dionysospriesters neben
alterthümlich gehaltenen Reliefs an der Rücklehne und am Sitz an den Sei¬
tenlehnen die zierliche Figur eines hingekauerten Amor mit einem Kampf¬
hahn in anmuthig flüssiger Zeichnung. Auf den in vielen Exemplaren vor¬
handenen alterthümlichen Reliefs, welche Apollo als Cirharoden, gefolgt von
Mutter und Schwester, vor der Siegesgöttin vorstellen, welche ihm aus hoch¬
erhobener Kanne den Weihetrank einschenkt, ist im Hintergrunde ein Tempel
mit korinthischer Säulenordnung, einer viel späteren Zeit angehörig, darge-
stellt. Wie man jetzt mit ziemlicher Sicherheit alterthümliche (archaische)
Kunst von der nachahmenden alterthümelnden (archaistischen) unterscheidet,
so wird man gewiß durch fortgesetztes Beobachten und Aufmerken auf der
Zeit nach bestimmbare Monumente dahin gelangen, auch den Entwickelungs¬
gang dieser nachahmenden Kunst unter den verschiedenen Einflüssen von Ort
und Zeit genauer zu verfolgen. So ist ein Unterschied zwischen den archaisti¬
schen Werken Athens, wo sich auch in der Nachbildung ein feineres Gefühl
für das stilistische offenbart, und Roms, wo die äußerliche, mehr trockene
handwerksmäßige Arbeit vorwaltet, unverkennbar; allein von vereinzelten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/185>, abgerufen am 02.07.2024.