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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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sungen und Muster der Gewänder und ähnliche Äußerlichkeiten, Waffen,
Schmuck u. tgi. genau nachgebildet sind. Ist auch das bekleidete Cultus¬
bild der Ausgangspunkt, gewissermaßen das erste Modell für die bildende
Kunst gewesen, so kann es doch nicht zweifelhaft sein, daß Tracht und Ge¬
wandung nicht etwa vom Künstler von diesem als allgemein gültige über¬
tragen sind, sondern daß er sie im Leben so vor sich sah. So wie Aristion
auf seiner Grabstele jetzt vor uns steht, ist er sicher mit den übrigen Ma¬
rathonskämpfern zur Parade angetreten; wie die Männer auf den Grab¬
stelen von Orchomenos und Neapel, den treuen Hund zur Seite, sich auf ihren
Stab stützen, haben die Bürger im Gymnasium und auf dem Markt im
Gespräch zusammen gestanden. Die Vasenbilder alten Styls, welche mancher¬
lei Scenen des täglichen Lebens darstellen, zeigen uns, wie die Tracht mit
Geberdung, Haltung, Gesittung der Zeit übereinstimmt; so manche Züge,
welche die perikleische Zeit als altväterisch bespöttelte, die man damals
wohl nur noch in vereinzelten Exemplaren sah -- wie in unserer Jugend Zopf
und Puder, Chapeaubas und Schnallenschuhe --, treten uns hier anschaulich
entgegen. Lehrreich ist der Vergleich mit den assyrischen Sculpturen, wo
Niemand bezweifeln wird, daß Tracht und -haben der Wirklichkeit nachge-
bildet sind. . Dieselben Erscheinungen begegnen uns hier, wie in der alten
griechischen Kunst, in Einzelnheiten bis zur überraschendsten Uebereinstimmung,
besonders in Geräthen, im Schmuck der Menschen und Pferde, in den zierlich
frisirten Haaren und Bärten; denn in der Gewandung zeigen sich neben
manchen Aehnlichkeiten auch wesentliche Verschiedenheiten. Indessen finden wir
die griechische Kunst nie so im Schematismus erstarrt, wie die assyrische.
Die Löwen über dem Burgthore von Mycenä, wie ähnlich sie auch Wap¬
penhaltern sein mögen, verrathen ein ganz anderes Verhältniß der nachbidenden
Kunst zur Natur, als die assyrischen Löwen, die sich sogar eine kunstgerechte
Frisur gefallen lassen müssen; und wenn sie nicht durchaus löwenhaft aus¬
gefallen sind, so liegt das wohl zum Theil daran, daß man damals in My¬
cenä keine Löwen studiren konnte, wie zu Varros Zeit Pasiteles zu
Rom in einer Menagerie.

Die älteste Kunst hat also in den Äußerlichkeiten das nachgebildet, was
dem Wechsel der Mode unterworfen war und was der folgenden Generation
altmodisch erscheinen mußte, sie ist aber nicht modischen Gelüsten zu Liebe
so verfahren, sondern gab das wieder, was sie vor sich sah. Erst wenn zu
einer Zeit, welche anderen Anschauungen und Sitten folgte, mit Absicht
das veraltete festgehalten wurde, um einem bestimmten Geschmack zu genügen,
kann von einem Einfluß der Mode auf die Kunst die Rede sein. Daß nun
die Weise der ältesten Kunst, ganz besonders in den Aeußerltchkeiten, welche
am meisten auffallen und einem weniger gebildeten Kunstgefühl mehr Ein-


sungen und Muster der Gewänder und ähnliche Äußerlichkeiten, Waffen,
Schmuck u. tgi. genau nachgebildet sind. Ist auch das bekleidete Cultus¬
bild der Ausgangspunkt, gewissermaßen das erste Modell für die bildende
Kunst gewesen, so kann es doch nicht zweifelhaft sein, daß Tracht und Ge¬
wandung nicht etwa vom Künstler von diesem als allgemein gültige über¬
tragen sind, sondern daß er sie im Leben so vor sich sah. So wie Aristion
auf seiner Grabstele jetzt vor uns steht, ist er sicher mit den übrigen Ma¬
rathonskämpfern zur Parade angetreten; wie die Männer auf den Grab¬
stelen von Orchomenos und Neapel, den treuen Hund zur Seite, sich auf ihren
Stab stützen, haben die Bürger im Gymnasium und auf dem Markt im
Gespräch zusammen gestanden. Die Vasenbilder alten Styls, welche mancher¬
lei Scenen des täglichen Lebens darstellen, zeigen uns, wie die Tracht mit
Geberdung, Haltung, Gesittung der Zeit übereinstimmt; so manche Züge,
welche die perikleische Zeit als altväterisch bespöttelte, die man damals
wohl nur noch in vereinzelten Exemplaren sah — wie in unserer Jugend Zopf
und Puder, Chapeaubas und Schnallenschuhe —, treten uns hier anschaulich
entgegen. Lehrreich ist der Vergleich mit den assyrischen Sculpturen, wo
Niemand bezweifeln wird, daß Tracht und -haben der Wirklichkeit nachge-
bildet sind. . Dieselben Erscheinungen begegnen uns hier, wie in der alten
griechischen Kunst, in Einzelnheiten bis zur überraschendsten Uebereinstimmung,
besonders in Geräthen, im Schmuck der Menschen und Pferde, in den zierlich
frisirten Haaren und Bärten; denn in der Gewandung zeigen sich neben
manchen Aehnlichkeiten auch wesentliche Verschiedenheiten. Indessen finden wir
die griechische Kunst nie so im Schematismus erstarrt, wie die assyrische.
Die Löwen über dem Burgthore von Mycenä, wie ähnlich sie auch Wap¬
penhaltern sein mögen, verrathen ein ganz anderes Verhältniß der nachbidenden
Kunst zur Natur, als die assyrischen Löwen, die sich sogar eine kunstgerechte
Frisur gefallen lassen müssen; und wenn sie nicht durchaus löwenhaft aus¬
gefallen sind, so liegt das wohl zum Theil daran, daß man damals in My¬
cenä keine Löwen studiren konnte, wie zu Varros Zeit Pasiteles zu
Rom in einer Menagerie.

Die älteste Kunst hat also in den Äußerlichkeiten das nachgebildet, was
dem Wechsel der Mode unterworfen war und was der folgenden Generation
altmodisch erscheinen mußte, sie ist aber nicht modischen Gelüsten zu Liebe
so verfahren, sondern gab das wieder, was sie vor sich sah. Erst wenn zu
einer Zeit, welche anderen Anschauungen und Sitten folgte, mit Absicht
das veraltete festgehalten wurde, um einem bestimmten Geschmack zu genügen,
kann von einem Einfluß der Mode auf die Kunst die Rede sein. Daß nun
die Weise der ältesten Kunst, ganz besonders in den Aeußerltchkeiten, welche
am meisten auffallen und einem weniger gebildeten Kunstgefühl mehr Ein-


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[0184] sungen und Muster der Gewänder und ähnliche Äußerlichkeiten, Waffen, Schmuck u. tgi. genau nachgebildet sind. Ist auch das bekleidete Cultus¬ bild der Ausgangspunkt, gewissermaßen das erste Modell für die bildende Kunst gewesen, so kann es doch nicht zweifelhaft sein, daß Tracht und Ge¬ wandung nicht etwa vom Künstler von diesem als allgemein gültige über¬ tragen sind, sondern daß er sie im Leben so vor sich sah. So wie Aristion auf seiner Grabstele jetzt vor uns steht, ist er sicher mit den übrigen Ma¬ rathonskämpfern zur Parade angetreten; wie die Männer auf den Grab¬ stelen von Orchomenos und Neapel, den treuen Hund zur Seite, sich auf ihren Stab stützen, haben die Bürger im Gymnasium und auf dem Markt im Gespräch zusammen gestanden. Die Vasenbilder alten Styls, welche mancher¬ lei Scenen des täglichen Lebens darstellen, zeigen uns, wie die Tracht mit Geberdung, Haltung, Gesittung der Zeit übereinstimmt; so manche Züge, welche die perikleische Zeit als altväterisch bespöttelte, die man damals wohl nur noch in vereinzelten Exemplaren sah — wie in unserer Jugend Zopf und Puder, Chapeaubas und Schnallenschuhe —, treten uns hier anschaulich entgegen. Lehrreich ist der Vergleich mit den assyrischen Sculpturen, wo Niemand bezweifeln wird, daß Tracht und -haben der Wirklichkeit nachge- bildet sind. . Dieselben Erscheinungen begegnen uns hier, wie in der alten griechischen Kunst, in Einzelnheiten bis zur überraschendsten Uebereinstimmung, besonders in Geräthen, im Schmuck der Menschen und Pferde, in den zierlich frisirten Haaren und Bärten; denn in der Gewandung zeigen sich neben manchen Aehnlichkeiten auch wesentliche Verschiedenheiten. Indessen finden wir die griechische Kunst nie so im Schematismus erstarrt, wie die assyrische. Die Löwen über dem Burgthore von Mycenä, wie ähnlich sie auch Wap¬ penhaltern sein mögen, verrathen ein ganz anderes Verhältniß der nachbidenden Kunst zur Natur, als die assyrischen Löwen, die sich sogar eine kunstgerechte Frisur gefallen lassen müssen; und wenn sie nicht durchaus löwenhaft aus¬ gefallen sind, so liegt das wohl zum Theil daran, daß man damals in My¬ cenä keine Löwen studiren konnte, wie zu Varros Zeit Pasiteles zu Rom in einer Menagerie. Die älteste Kunst hat also in den Äußerlichkeiten das nachgebildet, was dem Wechsel der Mode unterworfen war und was der folgenden Generation altmodisch erscheinen mußte, sie ist aber nicht modischen Gelüsten zu Liebe so verfahren, sondern gab das wieder, was sie vor sich sah. Erst wenn zu einer Zeit, welche anderen Anschauungen und Sitten folgte, mit Absicht das veraltete festgehalten wurde, um einem bestimmten Geschmack zu genügen, kann von einem Einfluß der Mode auf die Kunst die Rede sein. Daß nun die Weise der ältesten Kunst, ganz besonders in den Aeußerltchkeiten, welche am meisten auffallen und einem weniger gebildeten Kunstgefühl mehr Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/184>, abgerufen am 02.07.2024.