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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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artige Wesen in eine Definition einzuschließen, ist so viel klar, daß sie der Aus¬
druck der Willkür und Laune ist. Welcher Zufall sie auch ins Leben ruft,
höherer Einfluß, Speculation, Neckerei, Vorurtheil, sie unterwirft sich
keinem Gesetz der Schönheit oder Zweckmäßigkeit, sondern gebraucht ihre
Macht mit Vorliebe um denselben zu widersprechen; mag sie sich im ra¬
schesten Wechsel oder im eigensinnigen Festhalten offenbaren, sie nimmt kein
anderes Recht dazusein in Anspruch, als daß sie da ist. Daß sie ihre Macht
auch auf die Kunst ausdehnt, und diese zu Zeiten ganz beherrscht, lehrt die
Erfahrung. So liegt die Frage nahe, ob auch die antike Kunst, die als
ihrem Wesen nach ideal anerkannt ist, unter dem Einfluß der Mode gestan¬
den hat? wie weit? unter welchen Verhältnissen?

Hier muß man vor allen Dingen einen wesentlichen Unterschied ins
Auge fassen. Es ist etwas durchaus Verschiedenes, ob die Kunst etwas
nachbildet, was in seiner Erscheinung unter dem Einfluß der Mode steht,
oder ob sie in ihrer Auffassung und Darstellung den Anforderungen der
Mode dienen will.

Die flüchtigste Betrachtung der Werke, der ältesten griechischen Kunst
läßt neben der eigenthümlichen Auffassung der Körperformen die nicht minder
besondere Behandlung der Aeußerlichkeiten ins Auge fallen. Die Haare sind
nicht naturgemäß, sondern einer künstlichen Frisur entsprechend gebildet, theils
sorgfältig glatt gekämmt, theils in Flechten oder Ringellocken, theils in
Knötchen gedreht, welche sich rosettenartig wie ein Kranz um die Stirn
legen, theils in mancherlei Zöpfen aufgebunden. Der Bart tritt spitz zu¬
laufend, wie gesteift, weit vor -- keilbärtig nennen die Alten solche Köpfe
-- auch hier sind die sorgfältig gestrehlten Haare am Ende zusammenge¬
dreht. So sind auch bei den Pferden Mähnen und Schwänze zierlich ge¬
stutzt und geflochten. Aehnlich ist es mit der Gewandung. Der feine weiche
Stoff der Untergewänder bildet viele kleine parallel laufende Falten, welche
wenn nicht ein geripptes Zeug nachgebildet ist, künstlich gelegt sein müssen.
Noch deutlicher tritt dies bei den derberen Stoffen der Obergewänder her¬
vor, welche nach einem bestimmten, consequent durchgeführten System, nicht
blos in den Hauptpartien der Gewandung, sondern überall wo Falten sich
zeigen, mit der regelmäßigsten Symmetrie in eine bestimmte eckige Form
nicht sowohl gelegt als gekniffen sind. Daß die Gewänder über den leben-
digen Körper wie immobile Gegenstände gehängt sind, daß sie den Bewegungen
desselben gar nicht oder sehr unvollkommen folgen, und die einmal gelegten
Falten unverändert bewahren, hat freilich die noch unentwickelte Kunst zu
verantworten, welche ihrer Mittel noch nicht soweit Herr ist. um Leben und
Bewegung frei auszudrücken. Aber die Gewänder selbst wurden so darge¬
stellt, wie man sie sah. Das zeigt die Sorgfalt, mit welcher die Einfas-


artige Wesen in eine Definition einzuschließen, ist so viel klar, daß sie der Aus¬
druck der Willkür und Laune ist. Welcher Zufall sie auch ins Leben ruft,
höherer Einfluß, Speculation, Neckerei, Vorurtheil, sie unterwirft sich
keinem Gesetz der Schönheit oder Zweckmäßigkeit, sondern gebraucht ihre
Macht mit Vorliebe um denselben zu widersprechen; mag sie sich im ra¬
schesten Wechsel oder im eigensinnigen Festhalten offenbaren, sie nimmt kein
anderes Recht dazusein in Anspruch, als daß sie da ist. Daß sie ihre Macht
auch auf die Kunst ausdehnt, und diese zu Zeiten ganz beherrscht, lehrt die
Erfahrung. So liegt die Frage nahe, ob auch die antike Kunst, die als
ihrem Wesen nach ideal anerkannt ist, unter dem Einfluß der Mode gestan¬
den hat? wie weit? unter welchen Verhältnissen?

Hier muß man vor allen Dingen einen wesentlichen Unterschied ins
Auge fassen. Es ist etwas durchaus Verschiedenes, ob die Kunst etwas
nachbildet, was in seiner Erscheinung unter dem Einfluß der Mode steht,
oder ob sie in ihrer Auffassung und Darstellung den Anforderungen der
Mode dienen will.

Die flüchtigste Betrachtung der Werke, der ältesten griechischen Kunst
läßt neben der eigenthümlichen Auffassung der Körperformen die nicht minder
besondere Behandlung der Aeußerlichkeiten ins Auge fallen. Die Haare sind
nicht naturgemäß, sondern einer künstlichen Frisur entsprechend gebildet, theils
sorgfältig glatt gekämmt, theils in Flechten oder Ringellocken, theils in
Knötchen gedreht, welche sich rosettenartig wie ein Kranz um die Stirn
legen, theils in mancherlei Zöpfen aufgebunden. Der Bart tritt spitz zu¬
laufend, wie gesteift, weit vor — keilbärtig nennen die Alten solche Köpfe
— auch hier sind die sorgfältig gestrehlten Haare am Ende zusammenge¬
dreht. So sind auch bei den Pferden Mähnen und Schwänze zierlich ge¬
stutzt und geflochten. Aehnlich ist es mit der Gewandung. Der feine weiche
Stoff der Untergewänder bildet viele kleine parallel laufende Falten, welche
wenn nicht ein geripptes Zeug nachgebildet ist, künstlich gelegt sein müssen.
Noch deutlicher tritt dies bei den derberen Stoffen der Obergewänder her¬
vor, welche nach einem bestimmten, consequent durchgeführten System, nicht
blos in den Hauptpartien der Gewandung, sondern überall wo Falten sich
zeigen, mit der regelmäßigsten Symmetrie in eine bestimmte eckige Form
nicht sowohl gelegt als gekniffen sind. Daß die Gewänder über den leben-
digen Körper wie immobile Gegenstände gehängt sind, daß sie den Bewegungen
desselben gar nicht oder sehr unvollkommen folgen, und die einmal gelegten
Falten unverändert bewahren, hat freilich die noch unentwickelte Kunst zu
verantworten, welche ihrer Mittel noch nicht soweit Herr ist. um Leben und
Bewegung frei auszudrücken. Aber die Gewänder selbst wurden so darge¬
stellt, wie man sie sah. Das zeigt die Sorgfalt, mit welcher die Einfas-


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[0183] artige Wesen in eine Definition einzuschließen, ist so viel klar, daß sie der Aus¬ druck der Willkür und Laune ist. Welcher Zufall sie auch ins Leben ruft, höherer Einfluß, Speculation, Neckerei, Vorurtheil, sie unterwirft sich keinem Gesetz der Schönheit oder Zweckmäßigkeit, sondern gebraucht ihre Macht mit Vorliebe um denselben zu widersprechen; mag sie sich im ra¬ schesten Wechsel oder im eigensinnigen Festhalten offenbaren, sie nimmt kein anderes Recht dazusein in Anspruch, als daß sie da ist. Daß sie ihre Macht auch auf die Kunst ausdehnt, und diese zu Zeiten ganz beherrscht, lehrt die Erfahrung. So liegt die Frage nahe, ob auch die antike Kunst, die als ihrem Wesen nach ideal anerkannt ist, unter dem Einfluß der Mode gestan¬ den hat? wie weit? unter welchen Verhältnissen? Hier muß man vor allen Dingen einen wesentlichen Unterschied ins Auge fassen. Es ist etwas durchaus Verschiedenes, ob die Kunst etwas nachbildet, was in seiner Erscheinung unter dem Einfluß der Mode steht, oder ob sie in ihrer Auffassung und Darstellung den Anforderungen der Mode dienen will. Die flüchtigste Betrachtung der Werke, der ältesten griechischen Kunst läßt neben der eigenthümlichen Auffassung der Körperformen die nicht minder besondere Behandlung der Aeußerlichkeiten ins Auge fallen. Die Haare sind nicht naturgemäß, sondern einer künstlichen Frisur entsprechend gebildet, theils sorgfältig glatt gekämmt, theils in Flechten oder Ringellocken, theils in Knötchen gedreht, welche sich rosettenartig wie ein Kranz um die Stirn legen, theils in mancherlei Zöpfen aufgebunden. Der Bart tritt spitz zu¬ laufend, wie gesteift, weit vor — keilbärtig nennen die Alten solche Köpfe — auch hier sind die sorgfältig gestrehlten Haare am Ende zusammenge¬ dreht. So sind auch bei den Pferden Mähnen und Schwänze zierlich ge¬ stutzt und geflochten. Aehnlich ist es mit der Gewandung. Der feine weiche Stoff der Untergewänder bildet viele kleine parallel laufende Falten, welche wenn nicht ein geripptes Zeug nachgebildet ist, künstlich gelegt sein müssen. Noch deutlicher tritt dies bei den derberen Stoffen der Obergewänder her¬ vor, welche nach einem bestimmten, consequent durchgeführten System, nicht blos in den Hauptpartien der Gewandung, sondern überall wo Falten sich zeigen, mit der regelmäßigsten Symmetrie in eine bestimmte eckige Form nicht sowohl gelegt als gekniffen sind. Daß die Gewänder über den leben- digen Körper wie immobile Gegenstände gehängt sind, daß sie den Bewegungen desselben gar nicht oder sehr unvollkommen folgen, und die einmal gelegten Falten unverändert bewahren, hat freilich die noch unentwickelte Kunst zu verantworten, welche ihrer Mittel noch nicht soweit Herr ist. um Leben und Bewegung frei auszudrücken. Aber die Gewänder selbst wurden so darge¬ stellt, wie man sie sah. Das zeigt die Sorgfalt, mit welcher die Einfas-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/183>, abgerufen am 02.07.2024.