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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Die Seschlaglegung aus Künftigen Arbeitslohn.

Die Stellung der Arbeiter ist eine der wichtigsten Fragen, welche unser
heutiges sociales Leben aufzuwerfen hat. Selbst wenn wir von den Anforde¬
rungen der Humanität absehen, -- schon die Klugheit macht es uns
zur Pflicht, diesen Stand mit dem langsam-sicheren Fortschritt unserer
Entwickelung auszusöhnen und ihm das Verständniß für dessen innere
Nothwendigkeit zu erschließen. Unverkennbar bietet es für Menschenklassen,
welche von der Anwendung ihrer physischen Kräfte existiren und denen
man gelegentlich ihre physische Ueberlegenheit mit allen Möglichkeiten
vor Augen führt, -- für solche bietet es doppelten Reiz, eine prinzipielle
durch die Gleichartigkeit der Interessen gestählte Opposition gegen die be¬
stehenden Verhältnisse zu machen, auch ohne vor dem Gedanken eines völli¬
gen Bruches zurückzuschrecken. Jede Frage daher, welche die Interessen der
Arbeiter in größerem Umfange berührt, ist damit zugleich in eminenten Sinn
eine politische, wenn wir sie von dem Standpunkt aus betrachten: ob sie
diese Massen auf dem Wege der Zufriedenheit weiter führt oder auf den der
Unzufriedenheit zurückweist.

Wir greifen die Lohnfrage heraus und aus derselben wiederum einen
Punkt, welcher in letzterer Zeit mannigfach Gegenstand der Discussion von
Seiten des Fabrikstandes sowohl als der Juristen geworden ist, nämlich: ob
es zulässig sein soll, den künftigen Arbeitslohn mit Beschlag zu belegen und
ihn dem Arbeiter zu verkümmern, um ihn entweder als Zahlungsmittel einer
bestehenden Forderung oder zur Deckung für künftige Ansprüche zu benutzen/)

Die bisherige Praxis der Gerichte hat an der Hand der wissenschaftlich
anerkannten Grundsätze bislang nicht Grund zum Schwanken gehabt. Es
fragt sich juristisch einfach, ob eine Forderung des Arbeiters auf jenen Lohn
rechtlich schon besteht; ist das der Fall, dann kann dieselbe zweifelsohne zur
Befriedigung des Gläubigers mit Beschlag belegt worden. Die rechtliche
Existenz aber ist bedingt durch die zufällige Eigenart des Arbeitsvertrags;
tritt der Lohn uns als sofort zu zählendes oder wenigstens zu berechnendes
Aequivalent für die einzelne Arbeiteleistung entgegen, dergestalt, daß keine
der Parteien gehalten ist, den Dienstmiethvertrag über das gerade in Frage
stehende Stück Arbeit hinaus fortzusetzen, so entsteht ein Anspruch auf Lohn
offenbar erst mit jedem Arbeitsstück, welches der Arbeiter neu in Angriff
nimmt, sein künftiger Arbeitslohn bildet hier also ein verschwindend kleines
Werthmoment. Anders hingegen verhält es sich, wenn die beiden contrahi-
renden Theile für eine bestimmte Zeit gebunden sind, wenn beispielsweise



*) Diese Frage steht auch auf der Tagesordnung des zum 27. August ausgeschriebenen
D. Red. deutschen Juristentages.
Die Seschlaglegung aus Künftigen Arbeitslohn.

Die Stellung der Arbeiter ist eine der wichtigsten Fragen, welche unser
heutiges sociales Leben aufzuwerfen hat. Selbst wenn wir von den Anforde¬
rungen der Humanität absehen, — schon die Klugheit macht es uns
zur Pflicht, diesen Stand mit dem langsam-sicheren Fortschritt unserer
Entwickelung auszusöhnen und ihm das Verständniß für dessen innere
Nothwendigkeit zu erschließen. Unverkennbar bietet es für Menschenklassen,
welche von der Anwendung ihrer physischen Kräfte existiren und denen
man gelegentlich ihre physische Ueberlegenheit mit allen Möglichkeiten
vor Augen führt, — für solche bietet es doppelten Reiz, eine prinzipielle
durch die Gleichartigkeit der Interessen gestählte Opposition gegen die be¬
stehenden Verhältnisse zu machen, auch ohne vor dem Gedanken eines völli¬
gen Bruches zurückzuschrecken. Jede Frage daher, welche die Interessen der
Arbeiter in größerem Umfange berührt, ist damit zugleich in eminenten Sinn
eine politische, wenn wir sie von dem Standpunkt aus betrachten: ob sie
diese Massen auf dem Wege der Zufriedenheit weiter führt oder auf den der
Unzufriedenheit zurückweist.

Wir greifen die Lohnfrage heraus und aus derselben wiederum einen
Punkt, welcher in letzterer Zeit mannigfach Gegenstand der Discussion von
Seiten des Fabrikstandes sowohl als der Juristen geworden ist, nämlich: ob
es zulässig sein soll, den künftigen Arbeitslohn mit Beschlag zu belegen und
ihn dem Arbeiter zu verkümmern, um ihn entweder als Zahlungsmittel einer
bestehenden Forderung oder zur Deckung für künftige Ansprüche zu benutzen/)

Die bisherige Praxis der Gerichte hat an der Hand der wissenschaftlich
anerkannten Grundsätze bislang nicht Grund zum Schwanken gehabt. Es
fragt sich juristisch einfach, ob eine Forderung des Arbeiters auf jenen Lohn
rechtlich schon besteht; ist das der Fall, dann kann dieselbe zweifelsohne zur
Befriedigung des Gläubigers mit Beschlag belegt worden. Die rechtliche
Existenz aber ist bedingt durch die zufällige Eigenart des Arbeitsvertrags;
tritt der Lohn uns als sofort zu zählendes oder wenigstens zu berechnendes
Aequivalent für die einzelne Arbeiteleistung entgegen, dergestalt, daß keine
der Parteien gehalten ist, den Dienstmiethvertrag über das gerade in Frage
stehende Stück Arbeit hinaus fortzusetzen, so entsteht ein Anspruch auf Lohn
offenbar erst mit jedem Arbeitsstück, welches der Arbeiter neu in Angriff
nimmt, sein künftiger Arbeitslohn bildet hier also ein verschwindend kleines
Werthmoment. Anders hingegen verhält es sich, wenn die beiden contrahi-
renden Theile für eine bestimmte Zeit gebunden sind, wenn beispielsweise



*) Diese Frage steht auch auf der Tagesordnung des zum 27. August ausgeschriebenen
D. Red. deutschen Juristentages.
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[0172] Die Seschlaglegung aus Künftigen Arbeitslohn. Die Stellung der Arbeiter ist eine der wichtigsten Fragen, welche unser heutiges sociales Leben aufzuwerfen hat. Selbst wenn wir von den Anforde¬ rungen der Humanität absehen, — schon die Klugheit macht es uns zur Pflicht, diesen Stand mit dem langsam-sicheren Fortschritt unserer Entwickelung auszusöhnen und ihm das Verständniß für dessen innere Nothwendigkeit zu erschließen. Unverkennbar bietet es für Menschenklassen, welche von der Anwendung ihrer physischen Kräfte existiren und denen man gelegentlich ihre physische Ueberlegenheit mit allen Möglichkeiten vor Augen führt, — für solche bietet es doppelten Reiz, eine prinzipielle durch die Gleichartigkeit der Interessen gestählte Opposition gegen die be¬ stehenden Verhältnisse zu machen, auch ohne vor dem Gedanken eines völli¬ gen Bruches zurückzuschrecken. Jede Frage daher, welche die Interessen der Arbeiter in größerem Umfange berührt, ist damit zugleich in eminenten Sinn eine politische, wenn wir sie von dem Standpunkt aus betrachten: ob sie diese Massen auf dem Wege der Zufriedenheit weiter führt oder auf den der Unzufriedenheit zurückweist. Wir greifen die Lohnfrage heraus und aus derselben wiederum einen Punkt, welcher in letzterer Zeit mannigfach Gegenstand der Discussion von Seiten des Fabrikstandes sowohl als der Juristen geworden ist, nämlich: ob es zulässig sein soll, den künftigen Arbeitslohn mit Beschlag zu belegen und ihn dem Arbeiter zu verkümmern, um ihn entweder als Zahlungsmittel einer bestehenden Forderung oder zur Deckung für künftige Ansprüche zu benutzen/) Die bisherige Praxis der Gerichte hat an der Hand der wissenschaftlich anerkannten Grundsätze bislang nicht Grund zum Schwanken gehabt. Es fragt sich juristisch einfach, ob eine Forderung des Arbeiters auf jenen Lohn rechtlich schon besteht; ist das der Fall, dann kann dieselbe zweifelsohne zur Befriedigung des Gläubigers mit Beschlag belegt worden. Die rechtliche Existenz aber ist bedingt durch die zufällige Eigenart des Arbeitsvertrags; tritt der Lohn uns als sofort zu zählendes oder wenigstens zu berechnendes Aequivalent für die einzelne Arbeiteleistung entgegen, dergestalt, daß keine der Parteien gehalten ist, den Dienstmiethvertrag über das gerade in Frage stehende Stück Arbeit hinaus fortzusetzen, so entsteht ein Anspruch auf Lohn offenbar erst mit jedem Arbeitsstück, welches der Arbeiter neu in Angriff nimmt, sein künftiger Arbeitslohn bildet hier also ein verschwindend kleines Werthmoment. Anders hingegen verhält es sich, wenn die beiden contrahi- renden Theile für eine bestimmte Zeit gebunden sind, wenn beispielsweise *) Diese Frage steht auch auf der Tagesordnung des zum 27. August ausgeschriebenen D. Red. deutschen Juristentages.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/172>, abgerufen am 02.07.2024.