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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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hatte, kam wenig neues zu Tage, die schwäbische Phantasie hatte sich offen¬
bar erschöpft. Herr Schott, der Verfasser der "Menschlichen Schwächender
damals den Wählern damit heiß gemacht hatte, daß in der preußischen
Armee noch die Prügelstrafe bestehe, und einen Redacteur, der ihm unsanft
darauf gedient hatte, vor Gericht wegen Injurien verurtheilen ließ, hatte
sich aufs neue angestrengt und versicherte jetzt der Universitätsstadt Tübingen,
daß wenn das Land preußisch würde, ub?rail die Schlagbäume wieder auf'
gerichtet würden. Aber derlei entbehrte doch schon den Reiz der Originali¬
tät. Es war im Ganzen nicht mehr dasselbe Temperament in der Polemik.
Die Placate redeten eine mildere Sprache. Selbst die Presse schien -- wo¬
fern uns nicht die Gewohnheit bereits abgehärtet hat. -- ihren Ton um
etwas herabgestimmt zu haben. Es machte einen eigenen Eindruck, als
Herr v. Mittnacht vor den Wählern von Weikersheim mit großer moralischer
Entrüstung über die beklagenswerthen Ausschreitungen der Presse -- er meinte
die demokratische -- sich beschwerte, die möglicherweise ernste Gefahren über
das Land heraufbringe, denn diese Presse war jedenfalls nicht schlimmer
als sie damals war. da sie noch das Wohlgefallen des Herrn Ministers
und Mitglieds der süddeutschen Fraction genoß und die Heldenthaten des
Ritters vom 1. Mai pries; wie es andererseits merkwürdig war, daß die
Volkspartei jetzt anfing, über den unerträglichen Druck der Regierung und
die entsetzlichen Beeinflussungen der Beamten zu lamentiren, denn die Mittel
der Regierung waren doch diesmal genau dieselben, wie sie bei der Zollparla-
mentswahl gewesen waren, nur mit dem Unterschiede, daß sie damals noch
außerdem dieselben Leute, welche heute lamentiren, als Avantgarde be¬
nutzt hatte.

So also war Anfang, Verlauf und Resultat der jüngsten Wahlbewegung
in Schwaben. Welches jedoch die muthmaßlichen Thaten der neuge¬
wählten Kammer sein werden, welchen Einfluß sie auf die Weltbegebenheiten
auszuüben berufen sein mag. -- solche und andere Fragen enthalten wir
uns billig aufstellen oder gar beantworten zu wollen. Schwerlich wird
der Regierung viel daran gelegen sein, möglichst bald die Willensmeinung
der getreuen Stände einzuholen. Gelder besitzt sie für Jahre, und die Kam-
mer früher, als bis wir 1870 schreiben, einzuberufen, ist ihr durch die Para-
graphen der würtembergischen Verfassung nicht auferlegt. Bis dahin aber
mag manches anders werden als mancher Volksvertreter sich träumen läßt.


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hatte, kam wenig neues zu Tage, die schwäbische Phantasie hatte sich offen¬
bar erschöpft. Herr Schott, der Verfasser der „Menschlichen Schwächender
damals den Wählern damit heiß gemacht hatte, daß in der preußischen
Armee noch die Prügelstrafe bestehe, und einen Redacteur, der ihm unsanft
darauf gedient hatte, vor Gericht wegen Injurien verurtheilen ließ, hatte
sich aufs neue angestrengt und versicherte jetzt der Universitätsstadt Tübingen,
daß wenn das Land preußisch würde, ub?rail die Schlagbäume wieder auf'
gerichtet würden. Aber derlei entbehrte doch schon den Reiz der Originali¬
tät. Es war im Ganzen nicht mehr dasselbe Temperament in der Polemik.
Die Placate redeten eine mildere Sprache. Selbst die Presse schien — wo¬
fern uns nicht die Gewohnheit bereits abgehärtet hat. — ihren Ton um
etwas herabgestimmt zu haben. Es machte einen eigenen Eindruck, als
Herr v. Mittnacht vor den Wählern von Weikersheim mit großer moralischer
Entrüstung über die beklagenswerthen Ausschreitungen der Presse — er meinte
die demokratische — sich beschwerte, die möglicherweise ernste Gefahren über
das Land heraufbringe, denn diese Presse war jedenfalls nicht schlimmer
als sie damals war. da sie noch das Wohlgefallen des Herrn Ministers
und Mitglieds der süddeutschen Fraction genoß und die Heldenthaten des
Ritters vom 1. Mai pries; wie es andererseits merkwürdig war, daß die
Volkspartei jetzt anfing, über den unerträglichen Druck der Regierung und
die entsetzlichen Beeinflussungen der Beamten zu lamentiren, denn die Mittel
der Regierung waren doch diesmal genau dieselben, wie sie bei der Zollparla-
mentswahl gewesen waren, nur mit dem Unterschiede, daß sie damals noch
außerdem dieselben Leute, welche heute lamentiren, als Avantgarde be¬
nutzt hatte.

So also war Anfang, Verlauf und Resultat der jüngsten Wahlbewegung
in Schwaben. Welches jedoch die muthmaßlichen Thaten der neuge¬
wählten Kammer sein werden, welchen Einfluß sie auf die Weltbegebenheiten
auszuüben berufen sein mag. — solche und andere Fragen enthalten wir
uns billig aufstellen oder gar beantworten zu wollen. Schwerlich wird
der Regierung viel daran gelegen sein, möglichst bald die Willensmeinung
der getreuen Stände einzuholen. Gelder besitzt sie für Jahre, und die Kam-
mer früher, als bis wir 1870 schreiben, einzuberufen, ist ihr durch die Para-
graphen der würtembergischen Verfassung nicht auferlegt. Bis dahin aber
mag manches anders werden als mancher Volksvertreter sich träumen läßt.


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[0171] hatte, kam wenig neues zu Tage, die schwäbische Phantasie hatte sich offen¬ bar erschöpft. Herr Schott, der Verfasser der „Menschlichen Schwächender damals den Wählern damit heiß gemacht hatte, daß in der preußischen Armee noch die Prügelstrafe bestehe, und einen Redacteur, der ihm unsanft darauf gedient hatte, vor Gericht wegen Injurien verurtheilen ließ, hatte sich aufs neue angestrengt und versicherte jetzt der Universitätsstadt Tübingen, daß wenn das Land preußisch würde, ub?rail die Schlagbäume wieder auf' gerichtet würden. Aber derlei entbehrte doch schon den Reiz der Originali¬ tät. Es war im Ganzen nicht mehr dasselbe Temperament in der Polemik. Die Placate redeten eine mildere Sprache. Selbst die Presse schien — wo¬ fern uns nicht die Gewohnheit bereits abgehärtet hat. — ihren Ton um etwas herabgestimmt zu haben. Es machte einen eigenen Eindruck, als Herr v. Mittnacht vor den Wählern von Weikersheim mit großer moralischer Entrüstung über die beklagenswerthen Ausschreitungen der Presse — er meinte die demokratische — sich beschwerte, die möglicherweise ernste Gefahren über das Land heraufbringe, denn diese Presse war jedenfalls nicht schlimmer als sie damals war. da sie noch das Wohlgefallen des Herrn Ministers und Mitglieds der süddeutschen Fraction genoß und die Heldenthaten des Ritters vom 1. Mai pries; wie es andererseits merkwürdig war, daß die Volkspartei jetzt anfing, über den unerträglichen Druck der Regierung und die entsetzlichen Beeinflussungen der Beamten zu lamentiren, denn die Mittel der Regierung waren doch diesmal genau dieselben, wie sie bei der Zollparla- mentswahl gewesen waren, nur mit dem Unterschiede, daß sie damals noch außerdem dieselben Leute, welche heute lamentiren, als Avantgarde be¬ nutzt hatte. So also war Anfang, Verlauf und Resultat der jüngsten Wahlbewegung in Schwaben. Welches jedoch die muthmaßlichen Thaten der neuge¬ wählten Kammer sein werden, welchen Einfluß sie auf die Weltbegebenheiten auszuüben berufen sein mag. — solche und andere Fragen enthalten wir uns billig aufstellen oder gar beantworten zu wollen. Schwerlich wird der Regierung viel daran gelegen sein, möglichst bald die Willensmeinung der getreuen Stände einzuholen. Gelder besitzt sie für Jahre, und die Kam- mer früher, als bis wir 1870 schreiben, einzuberufen, ist ihr durch die Para- graphen der würtembergischen Verfassung nicht auferlegt. Bis dahin aber mag manches anders werden als mancher Volksvertreter sich träumen läßt. ? 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/171>, abgerufen am 02.07.2024.