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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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der Weise zum öffentlichen Leben befähigt. Pfeiffer's Wahl ist dadurch noch
besonders bedeutsam, daß sie in Ulm, der zweiten Stadt des Landes, erfolgt
ist und gegen Machinationen aller Art durchgesetzt wurde. Sie führt zu¬
gleich den ersten Jsraeliten in das Ständehaus und die deutsche Partei darf
sich somit rühmen, in Vorurtheile, die in unserm Lande besonders tief wurzeln,
die erste Bresche gelegt zu haben. Seine Wahl sowie diejenige Römers,
des Protagonisten im Kampf gegen den schwarzrothen Particulaaismus. ist
mannigfach im Lande gefeiert worden, und wenn die bevorstehende Nachwahl
im Bezirk Göppingen. wie zu hoffen ist. noch Hölder der Kammer zuführt,
so wird unsre Partei so wohl vertreten sein, als irgend eine andere.

Ob man freilich in diesen verhältnißmäßigen Erfolgen schon den Anfang
der Besserung erblicken darf, ist eine andere Frage und nicht einfach zu be¬
jahen. Durch die kleineren Wahlbezirke stellten sich die Aussichten der natio¬
nalen Partei von Anfang an günstiger. Doch ist so viel gewiß, daß den
Männern der süddeutschen Fraction ihre Leistungen in Berlin wenigstens
keine vermehrten Sympathien eingetragen haben. Auch erreichte die Wahl¬
bewegung keineswegs dieselbe Höhe und nahm weit nicht dasselbe Interesse
in Anspruch, wie vor 4 Monaten. Vergebens mühte sich der Beobachter mit
allen Künsten der Reclame ab, diese Wahlen zu einer großen Staatsaction
aufzublasen, und zwar im Gegensatz zur Zollparlamentswahl, bei wel¬
cher er doch nur gerbenden Gemüths angethan hatte. Man könnte sagen,
daß jetzt schon unser Volk von einer Wahl ins Parlament ganz anders in
Bewegung gesetzt wird, als von der Wahl in den Particularlandtag, wenn
nicht schon durch den kurzen Zwischenraum das Nachlassen der Bewegung
sich erklärte. War doch die Wahl vom 8. Juli nichts als die zweite Auflage,
ein Anhang zu der Wahl vom 24. März, bei welcher Alles schon dagewesen
war und zudem alle Motive den Neiz und die Stärke der Neuheit gehabt
hatten. Die speziellen Landesangelegenheiten, obwohl verhältnißmäßig wich¬
tig genug, waren doch nicht im Stand die Gemüther lebhaft für und wider
zu erhitzen. Es ist sehr bezeichnend, daß die eigene Steuerreform, die den
nächsten Landtag beschäftigen wird und die dringlich genug ist -- denn seit
dem Jahr 1821 gilt bei uns ein "proviforisches Steueredikt" -- in den
Zwiegesprächen zwischen Candidaten und Wählern höchst selten eingehend be¬
handelt wurde, während vor 4 Monaten das preußische Steuerwesen in
Städten und Dörfern der Gegenstand leidenschaftlicher Erörterungen war:
ein deutlicher Beweis, daß die Agitatoren des Teiges lieber von Dingen
reden, die sie nichts angehen und die sie nicht verstehen, als von solchen,
die sie zwar auch nicht verstehen, die sie aber verstehen sollten.

So zehrte denn der Wahlkampf wesentlich von den Brocken von
damals; an Erfindungen, in welchen jene Zeit so Uebermenschliches geleistet


der Weise zum öffentlichen Leben befähigt. Pfeiffer's Wahl ist dadurch noch
besonders bedeutsam, daß sie in Ulm, der zweiten Stadt des Landes, erfolgt
ist und gegen Machinationen aller Art durchgesetzt wurde. Sie führt zu¬
gleich den ersten Jsraeliten in das Ständehaus und die deutsche Partei darf
sich somit rühmen, in Vorurtheile, die in unserm Lande besonders tief wurzeln,
die erste Bresche gelegt zu haben. Seine Wahl sowie diejenige Römers,
des Protagonisten im Kampf gegen den schwarzrothen Particulaaismus. ist
mannigfach im Lande gefeiert worden, und wenn die bevorstehende Nachwahl
im Bezirk Göppingen. wie zu hoffen ist. noch Hölder der Kammer zuführt,
so wird unsre Partei so wohl vertreten sein, als irgend eine andere.

Ob man freilich in diesen verhältnißmäßigen Erfolgen schon den Anfang
der Besserung erblicken darf, ist eine andere Frage und nicht einfach zu be¬
jahen. Durch die kleineren Wahlbezirke stellten sich die Aussichten der natio¬
nalen Partei von Anfang an günstiger. Doch ist so viel gewiß, daß den
Männern der süddeutschen Fraction ihre Leistungen in Berlin wenigstens
keine vermehrten Sympathien eingetragen haben. Auch erreichte die Wahl¬
bewegung keineswegs dieselbe Höhe und nahm weit nicht dasselbe Interesse
in Anspruch, wie vor 4 Monaten. Vergebens mühte sich der Beobachter mit
allen Künsten der Reclame ab, diese Wahlen zu einer großen Staatsaction
aufzublasen, und zwar im Gegensatz zur Zollparlamentswahl, bei wel¬
cher er doch nur gerbenden Gemüths angethan hatte. Man könnte sagen,
daß jetzt schon unser Volk von einer Wahl ins Parlament ganz anders in
Bewegung gesetzt wird, als von der Wahl in den Particularlandtag, wenn
nicht schon durch den kurzen Zwischenraum das Nachlassen der Bewegung
sich erklärte. War doch die Wahl vom 8. Juli nichts als die zweite Auflage,
ein Anhang zu der Wahl vom 24. März, bei welcher Alles schon dagewesen
war und zudem alle Motive den Neiz und die Stärke der Neuheit gehabt
hatten. Die speziellen Landesangelegenheiten, obwohl verhältnißmäßig wich¬
tig genug, waren doch nicht im Stand die Gemüther lebhaft für und wider
zu erhitzen. Es ist sehr bezeichnend, daß die eigene Steuerreform, die den
nächsten Landtag beschäftigen wird und die dringlich genug ist — denn seit
dem Jahr 1821 gilt bei uns ein „proviforisches Steueredikt" — in den
Zwiegesprächen zwischen Candidaten und Wählern höchst selten eingehend be¬
handelt wurde, während vor 4 Monaten das preußische Steuerwesen in
Städten und Dörfern der Gegenstand leidenschaftlicher Erörterungen war:
ein deutlicher Beweis, daß die Agitatoren des Teiges lieber von Dingen
reden, die sie nichts angehen und die sie nicht verstehen, als von solchen,
die sie zwar auch nicht verstehen, die sie aber verstehen sollten.

So zehrte denn der Wahlkampf wesentlich von den Brocken von
damals; an Erfindungen, in welchen jene Zeit so Uebermenschliches geleistet


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[0170] der Weise zum öffentlichen Leben befähigt. Pfeiffer's Wahl ist dadurch noch besonders bedeutsam, daß sie in Ulm, der zweiten Stadt des Landes, erfolgt ist und gegen Machinationen aller Art durchgesetzt wurde. Sie führt zu¬ gleich den ersten Jsraeliten in das Ständehaus und die deutsche Partei darf sich somit rühmen, in Vorurtheile, die in unserm Lande besonders tief wurzeln, die erste Bresche gelegt zu haben. Seine Wahl sowie diejenige Römers, des Protagonisten im Kampf gegen den schwarzrothen Particulaaismus. ist mannigfach im Lande gefeiert worden, und wenn die bevorstehende Nachwahl im Bezirk Göppingen. wie zu hoffen ist. noch Hölder der Kammer zuführt, so wird unsre Partei so wohl vertreten sein, als irgend eine andere. Ob man freilich in diesen verhältnißmäßigen Erfolgen schon den Anfang der Besserung erblicken darf, ist eine andere Frage und nicht einfach zu be¬ jahen. Durch die kleineren Wahlbezirke stellten sich die Aussichten der natio¬ nalen Partei von Anfang an günstiger. Doch ist so viel gewiß, daß den Männern der süddeutschen Fraction ihre Leistungen in Berlin wenigstens keine vermehrten Sympathien eingetragen haben. Auch erreichte die Wahl¬ bewegung keineswegs dieselbe Höhe und nahm weit nicht dasselbe Interesse in Anspruch, wie vor 4 Monaten. Vergebens mühte sich der Beobachter mit allen Künsten der Reclame ab, diese Wahlen zu einer großen Staatsaction aufzublasen, und zwar im Gegensatz zur Zollparlamentswahl, bei wel¬ cher er doch nur gerbenden Gemüths angethan hatte. Man könnte sagen, daß jetzt schon unser Volk von einer Wahl ins Parlament ganz anders in Bewegung gesetzt wird, als von der Wahl in den Particularlandtag, wenn nicht schon durch den kurzen Zwischenraum das Nachlassen der Bewegung sich erklärte. War doch die Wahl vom 8. Juli nichts als die zweite Auflage, ein Anhang zu der Wahl vom 24. März, bei welcher Alles schon dagewesen war und zudem alle Motive den Neiz und die Stärke der Neuheit gehabt hatten. Die speziellen Landesangelegenheiten, obwohl verhältnißmäßig wich¬ tig genug, waren doch nicht im Stand die Gemüther lebhaft für und wider zu erhitzen. Es ist sehr bezeichnend, daß die eigene Steuerreform, die den nächsten Landtag beschäftigen wird und die dringlich genug ist — denn seit dem Jahr 1821 gilt bei uns ein „proviforisches Steueredikt" — in den Zwiegesprächen zwischen Candidaten und Wählern höchst selten eingehend be¬ handelt wurde, während vor 4 Monaten das preußische Steuerwesen in Städten und Dörfern der Gegenstand leidenschaftlicher Erörterungen war: ein deutlicher Beweis, daß die Agitatoren des Teiges lieber von Dingen reden, die sie nichts angehen und die sie nicht verstehen, als von solchen, die sie zwar auch nicht verstehen, die sie aber verstehen sollten. So zehrte denn der Wahlkampf wesentlich von den Brocken von damals; an Erfindungen, in welchen jene Zeit so Uebermenschliches geleistet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/170>, abgerufen am 02.07.2024.