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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Politik treiben müssen; überläßt sie sich excentrischen Gelüsten, so kommt sie
bereits mit den Unterzeichnern des süddeutschen Rechenschaftsberichts in Con¬
flict, der bekanntlich vertragstreu lautet. Das demokratische Programm vom
10. Juni entgeht also unmöglich einer fatalen Alternative: entweder seine Ur¬
hebermachen sich nun rüstig daran, um den Südbund zu bauen, die Verträge
mit Preußen zu zerreißen, und dann wird das Häuflein der Getreuen rasch
zusammenschmelzen, oder man verzichtet von vornherein auf Anstrengungen
im Sinn des Programms, und dann ist es eitel Phrase gewesen.

So sind es ziemlich schwankende und zweideutige Parteiverhältnisse,
denen sich die Anhänger der nationalen Sache gegenüber befinden, und dies
kann nur dazu dienen, die Stellung derjenigen Partei zu heben, die allein
ein festes Ziel im Auge hat. Sie ist mit 12 Candidaten ihrer Richtung
durchgedrungen, ein Erfolg, der nach der Niederlage im März die Gegner
rechts und links unangenehm überrascht hat. Daß die nach dem Jahre 1866
gewählte Kammer mindestens wieder dieselbe Anzahl von nationalgesinnten
Abgeordneten zählte, wie die vor sechs Jahren gewählte, das ist ohne Frage
das wesentlichste Ergebniß der Wahl. Den Gegnern ist verdrießlich, daß
das glänzende Renommie, das sich Schwaben mit seinen Zollvarlamentswah-
len erworben, nun wieder einen bösen Makel zeigt. Der Volkspartei ist es
Wermuth in ihren Siegeskelch, der Regierung macht es die Niederlage zwie¬
fach empfindlich. Man hatte schon die verächtliche Miene einstudirt, mit
welcher man die abermals gänzlich durchgefallenen Bettelpreußen zu mustern
gedachte. Sie galten als ein für allemal beseitigt, abgethan. Und nun
verstimmt nicht bloß die Zahl ihrer erfolgreichen Bewerber, sondern mehr
noch die Thatsache, daß die Niederlage im März die Partei nicht entmuthi-
gen und desorganisiren konnte, und daß sie wenige Monate später wieder
mit frischen Kräften auf dem Kampfplatz stand. Allerdings hat auch sie ihre
Verluste erlitten. Weber, Wächter. Fetzer. Golther (nicht der Ministe") las-
sen empfindliche Lücken, und man darf es ihnen nicht vergessen, daß die
Treue gegen die nationale Sache, der Muth, mit dem sie in ungünstiger
Zeit ihrer Ueberzeugung gedient haben, ihnen die Stimmen der versetzten
Wähler entfremdet hat. Und nicht blos in nationalen Fragen wird man
ihre Stimme vermissen, sondern für die Geschäfte überhaupt, für die Be¬
setzung der Commissionen wird es sich als ein höchst zweifelhafter Gewinn
herausstellen, daß man so manche bewährte parlamentarische Kraft durch so¬
genannte "Männer des Volks" ersetzt und ihnen Aufgaben wie die Steuer¬
reform und die Revision der Landesverfassung anvertraut hat. Andererseits
aber hat die Partei wieder neue und werthvolle Kräfte gewonnen, so vor
Allem Dr. O. Elben, den Redacteur des schwäbischen Merkurs, und Dr. E.
Pfeiffer, den jungen Privatgelehrten und Volkswirth, beide in hervorragen-


Vrenzbottn III. 1S68. 20

Politik treiben müssen; überläßt sie sich excentrischen Gelüsten, so kommt sie
bereits mit den Unterzeichnern des süddeutschen Rechenschaftsberichts in Con¬
flict, der bekanntlich vertragstreu lautet. Das demokratische Programm vom
10. Juni entgeht also unmöglich einer fatalen Alternative: entweder seine Ur¬
hebermachen sich nun rüstig daran, um den Südbund zu bauen, die Verträge
mit Preußen zu zerreißen, und dann wird das Häuflein der Getreuen rasch
zusammenschmelzen, oder man verzichtet von vornherein auf Anstrengungen
im Sinn des Programms, und dann ist es eitel Phrase gewesen.

So sind es ziemlich schwankende und zweideutige Parteiverhältnisse,
denen sich die Anhänger der nationalen Sache gegenüber befinden, und dies
kann nur dazu dienen, die Stellung derjenigen Partei zu heben, die allein
ein festes Ziel im Auge hat. Sie ist mit 12 Candidaten ihrer Richtung
durchgedrungen, ein Erfolg, der nach der Niederlage im März die Gegner
rechts und links unangenehm überrascht hat. Daß die nach dem Jahre 1866
gewählte Kammer mindestens wieder dieselbe Anzahl von nationalgesinnten
Abgeordneten zählte, wie die vor sechs Jahren gewählte, das ist ohne Frage
das wesentlichste Ergebniß der Wahl. Den Gegnern ist verdrießlich, daß
das glänzende Renommie, das sich Schwaben mit seinen Zollvarlamentswah-
len erworben, nun wieder einen bösen Makel zeigt. Der Volkspartei ist es
Wermuth in ihren Siegeskelch, der Regierung macht es die Niederlage zwie¬
fach empfindlich. Man hatte schon die verächtliche Miene einstudirt, mit
welcher man die abermals gänzlich durchgefallenen Bettelpreußen zu mustern
gedachte. Sie galten als ein für allemal beseitigt, abgethan. Und nun
verstimmt nicht bloß die Zahl ihrer erfolgreichen Bewerber, sondern mehr
noch die Thatsache, daß die Niederlage im März die Partei nicht entmuthi-
gen und desorganisiren konnte, und daß sie wenige Monate später wieder
mit frischen Kräften auf dem Kampfplatz stand. Allerdings hat auch sie ihre
Verluste erlitten. Weber, Wächter. Fetzer. Golther (nicht der Ministe») las-
sen empfindliche Lücken, und man darf es ihnen nicht vergessen, daß die
Treue gegen die nationale Sache, der Muth, mit dem sie in ungünstiger
Zeit ihrer Ueberzeugung gedient haben, ihnen die Stimmen der versetzten
Wähler entfremdet hat. Und nicht blos in nationalen Fragen wird man
ihre Stimme vermissen, sondern für die Geschäfte überhaupt, für die Be¬
setzung der Commissionen wird es sich als ein höchst zweifelhafter Gewinn
herausstellen, daß man so manche bewährte parlamentarische Kraft durch so¬
genannte „Männer des Volks" ersetzt und ihnen Aufgaben wie die Steuer¬
reform und die Revision der Landesverfassung anvertraut hat. Andererseits
aber hat die Partei wieder neue und werthvolle Kräfte gewonnen, so vor
Allem Dr. O. Elben, den Redacteur des schwäbischen Merkurs, und Dr. E.
Pfeiffer, den jungen Privatgelehrten und Volkswirth, beide in hervorragen-


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[0169] Politik treiben müssen; überläßt sie sich excentrischen Gelüsten, so kommt sie bereits mit den Unterzeichnern des süddeutschen Rechenschaftsberichts in Con¬ flict, der bekanntlich vertragstreu lautet. Das demokratische Programm vom 10. Juni entgeht also unmöglich einer fatalen Alternative: entweder seine Ur¬ hebermachen sich nun rüstig daran, um den Südbund zu bauen, die Verträge mit Preußen zu zerreißen, und dann wird das Häuflein der Getreuen rasch zusammenschmelzen, oder man verzichtet von vornherein auf Anstrengungen im Sinn des Programms, und dann ist es eitel Phrase gewesen. So sind es ziemlich schwankende und zweideutige Parteiverhältnisse, denen sich die Anhänger der nationalen Sache gegenüber befinden, und dies kann nur dazu dienen, die Stellung derjenigen Partei zu heben, die allein ein festes Ziel im Auge hat. Sie ist mit 12 Candidaten ihrer Richtung durchgedrungen, ein Erfolg, der nach der Niederlage im März die Gegner rechts und links unangenehm überrascht hat. Daß die nach dem Jahre 1866 gewählte Kammer mindestens wieder dieselbe Anzahl von nationalgesinnten Abgeordneten zählte, wie die vor sechs Jahren gewählte, das ist ohne Frage das wesentlichste Ergebniß der Wahl. Den Gegnern ist verdrießlich, daß das glänzende Renommie, das sich Schwaben mit seinen Zollvarlamentswah- len erworben, nun wieder einen bösen Makel zeigt. Der Volkspartei ist es Wermuth in ihren Siegeskelch, der Regierung macht es die Niederlage zwie¬ fach empfindlich. Man hatte schon die verächtliche Miene einstudirt, mit welcher man die abermals gänzlich durchgefallenen Bettelpreußen zu mustern gedachte. Sie galten als ein für allemal beseitigt, abgethan. Und nun verstimmt nicht bloß die Zahl ihrer erfolgreichen Bewerber, sondern mehr noch die Thatsache, daß die Niederlage im März die Partei nicht entmuthi- gen und desorganisiren konnte, und daß sie wenige Monate später wieder mit frischen Kräften auf dem Kampfplatz stand. Allerdings hat auch sie ihre Verluste erlitten. Weber, Wächter. Fetzer. Golther (nicht der Ministe») las- sen empfindliche Lücken, und man darf es ihnen nicht vergessen, daß die Treue gegen die nationale Sache, der Muth, mit dem sie in ungünstiger Zeit ihrer Ueberzeugung gedient haben, ihnen die Stimmen der versetzten Wähler entfremdet hat. Und nicht blos in nationalen Fragen wird man ihre Stimme vermissen, sondern für die Geschäfte überhaupt, für die Be¬ setzung der Commissionen wird es sich als ein höchst zweifelhafter Gewinn herausstellen, daß man so manche bewährte parlamentarische Kraft durch so¬ genannte „Männer des Volks" ersetzt und ihnen Aufgaben wie die Steuer¬ reform und die Revision der Landesverfassung anvertraut hat. Andererseits aber hat die Partei wieder neue und werthvolle Kräfte gewonnen, so vor Allem Dr. O. Elben, den Redacteur des schwäbischen Merkurs, und Dr. E. Pfeiffer, den jungen Privatgelehrten und Volkswirth, beide in hervorragen- Vrenzbottn III. 1S68. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/169>, abgerufen am 02.07.2024.