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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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sogenannten "Großdeutschen" zu ziehen sind. Alle Zeitungen klassificiren
daher wieder anders und ein Haufen von Unglücklichen wird gleichzeitig von
dieser und von jener Seite in Anspruch genommen. Gewiß ist vor der
Hand so viel, daß die bestimmten politischen Bekenntnisse nur Minderheiten
hinter sich haben, das Programm des Beobachters so gut wie das der deut¬
schen Partei. Die große Menge ist schwer zu definiren; ein bescheidenes
Mittelmaß ist nach jeder Beziehung die Signatur dieser ersten Kammer des
allgemeinen Stimmrechts. In dieser Erkenntniß wird auch die Regierung
rasch wieder von ihrem ersten Schreck sich erholt haben. Sie hat ein Mate¬
rial vor sich, das mit einiger Klugheit recht wohl sich wird behandeln las¬
sen, und für Herrn v. Vambüler war es ja immer ein besonderes Vergnü¬
gen, seine Virtuosität in der Lenkung einer scheinbar widerstrebenden Volks¬
vertretung zu zeigen. Insofern ist die Niederlage der Regierung mehr eine
moralische; schwerlich werden ihr ernsthafte Schwierigkeiten daraus erwachsen.

Vor Allem ist nicht daran zu denken, daß wirklich Anläufe im Sinn der
Volkspartei zu fürchten wären. Der Gedanke, die Verträge zu kündi¬
gen, ist zu kindisch, als daß seine Urheber versuchen sollten, Ernst damit
zu machen. Daß das Volk dieselben aufrecht erhalten will, nicht mehr, aber
auch nicht weniger -- das hat es durch seine Abstimmung deutlich gezeigt.
Und komisch war nur die Ernsthaftigkeit, mit welcher die demokratischen wie
die Regierungskandidaten ihre Ehrlichkeit und ihre Vertragstreue betheuerten,
als ob es überhaupt in der Macht Würtembergs stände, jene Verträge ein¬
seitig zu kündigen, und als ob es schon eine unendlich anerkennenswerthe
Leistung sei, nicht gradezu wortbrüchig zu werden. Die Volkspartei rechnet
allerdings für sich etliche 40 Wahlsiege heraus. Wir sind weit entfernt, ihr
einen einzigen dieser ominösen Zahl zu bestreiten, aber wir wissen, daß
dieselben eine ziemlich vielseitige, um nicht zu sagen gemischte Gesellschaft dar¬
stellen, und daß es Mühe kosten wird, sie in einem Klub zusammenzuhalten.
Die unbedingten Anhänger des Beobachters und seines Redacteurs sind nur
ein Theil, und nicht eben der hervorragendste Theil der Partei. Die bekann¬
ten Namen, Bacher, Probst, Mohl, Oesterlen, Schott u. s. w. bilden da¬
neben eine Art unabhängige Linke und der Beobachter selbst unterscheidet sie
heute schon von der Volkspartei im engeren orthoxen Sinn. Weiterhin rech¬
net er dann für sich noch eine Anzahl "Großdeutscher", mit welchem ver¬
schämten Namen er meist Ultramontane deckt, die bisher allerdings engste
Freundschaft mit der Demokratie hielten, andererseits aber auch wieder in die
nächste Gruppe, die sogenannten unabhängigen Großdeutschen oder Liberal-
Conservativen hinüberspielen, die ihrerseits dann in sanften Schattirungen
allmählich zu der Regierungspartei sich abstufen. Will die Volkspartei also
auch in Zukunft durch ihre große Anzahl imponiren, so wird sie gemäßigte


sogenannten „Großdeutschen" zu ziehen sind. Alle Zeitungen klassificiren
daher wieder anders und ein Haufen von Unglücklichen wird gleichzeitig von
dieser und von jener Seite in Anspruch genommen. Gewiß ist vor der
Hand so viel, daß die bestimmten politischen Bekenntnisse nur Minderheiten
hinter sich haben, das Programm des Beobachters so gut wie das der deut¬
schen Partei. Die große Menge ist schwer zu definiren; ein bescheidenes
Mittelmaß ist nach jeder Beziehung die Signatur dieser ersten Kammer des
allgemeinen Stimmrechts. In dieser Erkenntniß wird auch die Regierung
rasch wieder von ihrem ersten Schreck sich erholt haben. Sie hat ein Mate¬
rial vor sich, das mit einiger Klugheit recht wohl sich wird behandeln las¬
sen, und für Herrn v. Vambüler war es ja immer ein besonderes Vergnü¬
gen, seine Virtuosität in der Lenkung einer scheinbar widerstrebenden Volks¬
vertretung zu zeigen. Insofern ist die Niederlage der Regierung mehr eine
moralische; schwerlich werden ihr ernsthafte Schwierigkeiten daraus erwachsen.

Vor Allem ist nicht daran zu denken, daß wirklich Anläufe im Sinn der
Volkspartei zu fürchten wären. Der Gedanke, die Verträge zu kündi¬
gen, ist zu kindisch, als daß seine Urheber versuchen sollten, Ernst damit
zu machen. Daß das Volk dieselben aufrecht erhalten will, nicht mehr, aber
auch nicht weniger — das hat es durch seine Abstimmung deutlich gezeigt.
Und komisch war nur die Ernsthaftigkeit, mit welcher die demokratischen wie
die Regierungskandidaten ihre Ehrlichkeit und ihre Vertragstreue betheuerten,
als ob es überhaupt in der Macht Würtembergs stände, jene Verträge ein¬
seitig zu kündigen, und als ob es schon eine unendlich anerkennenswerthe
Leistung sei, nicht gradezu wortbrüchig zu werden. Die Volkspartei rechnet
allerdings für sich etliche 40 Wahlsiege heraus. Wir sind weit entfernt, ihr
einen einzigen dieser ominösen Zahl zu bestreiten, aber wir wissen, daß
dieselben eine ziemlich vielseitige, um nicht zu sagen gemischte Gesellschaft dar¬
stellen, und daß es Mühe kosten wird, sie in einem Klub zusammenzuhalten.
Die unbedingten Anhänger des Beobachters und seines Redacteurs sind nur
ein Theil, und nicht eben der hervorragendste Theil der Partei. Die bekann¬
ten Namen, Bacher, Probst, Mohl, Oesterlen, Schott u. s. w. bilden da¬
neben eine Art unabhängige Linke und der Beobachter selbst unterscheidet sie
heute schon von der Volkspartei im engeren orthoxen Sinn. Weiterhin rech¬
net er dann für sich noch eine Anzahl „Großdeutscher", mit welchem ver¬
schämten Namen er meist Ultramontane deckt, die bisher allerdings engste
Freundschaft mit der Demokratie hielten, andererseits aber auch wieder in die
nächste Gruppe, die sogenannten unabhängigen Großdeutschen oder Liberal-
Conservativen hinüberspielen, die ihrerseits dann in sanften Schattirungen
allmählich zu der Regierungspartei sich abstufen. Will die Volkspartei also
auch in Zukunft durch ihre große Anzahl imponiren, so wird sie gemäßigte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/168>, abgerufen am 02.07.2024.