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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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noch Arm in Arm gewandelt war, heute dieser, morgen der entgegengesetzten
Partei einen Liebesblick zuzuwerfen, der sich regelmäßig am folgenden Tag
in einen Bannstrahl verwandelt, scheint doch das seltsamste Mittel von der
Welt, um nach den Erschütterungen des Jahres 1866 die Autorität der
Landesregierung zu befestigen. Als die Regierung mit ihren Bundesgenossen
vom März brach, als sie Candidaten gegenübertrat, die damals unter den¬
selben Feldzeichen mit ihr gekämpft hatten, drängte sich den Wählern die
erklärliche Frage auf, ob denn diese Candidaten oder ob die Negierung ihre
Stellung verändert habe und den damaligen Bekenntnissen untreu geworden
sei; und die Antwort konnte nicht zu Ungunsten der demokratischen Be¬
werber ausfallen. Auf ihrer Seite fand man die Consequenz; sie agitirten
noch jetzt mit denselben verständlichen Schlagworten, die damals auch die
Regierung nicht verschmäht hatte, ja an manchen Orten war man hartnäckig
genug zu meinen, daß man trotz der Anstrengungen des "Staatsanzeigers",
der Regierung auch jetzt wieder einen willkommenen Dienst leiste, wenn man
die entschiedensten Gegner des Anschlusses an Preußen wähle. Man erlaubte
sich an dem Ernst ihrer Polemik gegen die Volkspartei zu zweifeln, und wie
wir sehen werden, nicht ganz ohne Grund; hatte doch die Negierung selbst
aus allen Tonarten das Lob der süddeutschen Fraction gesungen, und diese
Fraction, die sich rühmte, in Berlin so erfolgreich der Verpreußung des Lan¬
des entgegengetreten zu sein, bildete den Kern der jetzigen Candidatenliste
der Volkspartei. Offenbar war kein zureichender Grund vorhanden, ihr jetzt
untreu zu werden.

Dazu kommt, daß die Regierung wenig Glück hatte mit den Candidaten,
welche sie ihrerseits den Wählern anzubieten fand. Man muß freilich ge¬
stehen, daß sie in der Auswahl beschränkt war, da sie dieselben nicht in den
unabhängigen Kreisen suchen konnte. Im Beginn der Wahlagitation war
zwar viel von "unabhängigen Landwirthen" die Rede, welche in Anbetracht
der zu erwartenden Vorlagen der nächsten Kammer besonders wohl an¬
standen. Aber die Regierung hatte damit ihre officiellen Candidaturen nur
schlecht maskirt, und schließlich war sie doch genöthigt, zu einer Reihe von
eigentlichen Regierungsbeamten zu greifen, deren Wahl in der That eine
starke Zumuthung für das zum erstenmal des allgemeinen geheimen Stimm¬
rechts frohe Volk war. Von den Ministern war zwar Herr v. Golther so
weise gewesen, noch vor Beginn des Wahlkampfs die ausgestreckten Fühl¬
hörner wieder einzuziehen. Herr v. Mittnacht, den noch die Glorie vom
1. Mai umstrahlte, -- er selbst war freilich in einer Wahlrede so bescheiden
anzuerkennen, daß man von seinem damaligen Austreten "allzuviel Rühmens"
gemacht habe, womit er freilich im halben Athem die Verwunderung ver¬
band, daß man ihm anstatt der Ovationen, die seinem Collegen Volk zu


noch Arm in Arm gewandelt war, heute dieser, morgen der entgegengesetzten
Partei einen Liebesblick zuzuwerfen, der sich regelmäßig am folgenden Tag
in einen Bannstrahl verwandelt, scheint doch das seltsamste Mittel von der
Welt, um nach den Erschütterungen des Jahres 1866 die Autorität der
Landesregierung zu befestigen. Als die Regierung mit ihren Bundesgenossen
vom März brach, als sie Candidaten gegenübertrat, die damals unter den¬
selben Feldzeichen mit ihr gekämpft hatten, drängte sich den Wählern die
erklärliche Frage auf, ob denn diese Candidaten oder ob die Negierung ihre
Stellung verändert habe und den damaligen Bekenntnissen untreu geworden
sei; und die Antwort konnte nicht zu Ungunsten der demokratischen Be¬
werber ausfallen. Auf ihrer Seite fand man die Consequenz; sie agitirten
noch jetzt mit denselben verständlichen Schlagworten, die damals auch die
Regierung nicht verschmäht hatte, ja an manchen Orten war man hartnäckig
genug zu meinen, daß man trotz der Anstrengungen des „Staatsanzeigers",
der Regierung auch jetzt wieder einen willkommenen Dienst leiste, wenn man
die entschiedensten Gegner des Anschlusses an Preußen wähle. Man erlaubte
sich an dem Ernst ihrer Polemik gegen die Volkspartei zu zweifeln, und wie
wir sehen werden, nicht ganz ohne Grund; hatte doch die Negierung selbst
aus allen Tonarten das Lob der süddeutschen Fraction gesungen, und diese
Fraction, die sich rühmte, in Berlin so erfolgreich der Verpreußung des Lan¬
des entgegengetreten zu sein, bildete den Kern der jetzigen Candidatenliste
der Volkspartei. Offenbar war kein zureichender Grund vorhanden, ihr jetzt
untreu zu werden.

Dazu kommt, daß die Regierung wenig Glück hatte mit den Candidaten,
welche sie ihrerseits den Wählern anzubieten fand. Man muß freilich ge¬
stehen, daß sie in der Auswahl beschränkt war, da sie dieselben nicht in den
unabhängigen Kreisen suchen konnte. Im Beginn der Wahlagitation war
zwar viel von „unabhängigen Landwirthen" die Rede, welche in Anbetracht
der zu erwartenden Vorlagen der nächsten Kammer besonders wohl an¬
standen. Aber die Regierung hatte damit ihre officiellen Candidaturen nur
schlecht maskirt, und schließlich war sie doch genöthigt, zu einer Reihe von
eigentlichen Regierungsbeamten zu greifen, deren Wahl in der That eine
starke Zumuthung für das zum erstenmal des allgemeinen geheimen Stimm¬
rechts frohe Volk war. Von den Ministern war zwar Herr v. Golther so
weise gewesen, noch vor Beginn des Wahlkampfs die ausgestreckten Fühl¬
hörner wieder einzuziehen. Herr v. Mittnacht, den noch die Glorie vom
1. Mai umstrahlte, — er selbst war freilich in einer Wahlrede so bescheiden
anzuerkennen, daß man von seinem damaligen Austreten „allzuviel Rühmens"
gemacht habe, womit er freilich im halben Athem die Verwunderung ver¬
band, daß man ihm anstatt der Ovationen, die seinem Collegen Volk zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/165>, abgerufen am 02.07.2024.