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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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mondänen vermögen nur in einzelnen Landestheilen den Ausschlag zu geben;
eine Regierungspartei endlich ist im Grund nur in der Hauptstadt organisirt,
wo sie sich an die Interessen des Hofes knüpft. Die große Menge, zumal
die Landbevölkerung, steht, wie gesagt, außerhalb aller Parteiorganisation
und bildet das große neutrale Feld, um welches sich diesmal vorzugsweise
der Einfluß der Regierungsbeamten und der Einfluß der radicalen Schlag¬
worte mit einander stritten.

Darf man nun von einer eigenen Meinung dieser großen Masse reden,
die nun einmal bet dem allgemeinen Stimmrecht den Ausschlag gibt, so muß
man vor Allem bei ihr keine extremer. Neigungen voraussetzen. So wenig
in Schwaben als anderswo hätte sie Lust nach revolutionären Experimenten.
Man will Frieden haben, nicht blos nach außen, sondern auch mit den deut¬
schen Brüdern. Den Bruch mit Deutschland will man so wenig als im
Jahr 1866 der Rath der "nächtlichen Axt" Anklang fand. Man will, daß
die mit Norddeutschland geschlossenen Verträge ehrlich gehalten und die ein¬
gegangenen Verpflichtungen erfüllt, im Uebrigen aber alle weiter gehenden
Verbindlichkeiten ferngehalten werden. Also keine weitere Annäherung an
Preußen, es ist schon jetzt genug und übergenug; vor Allem kein Eintritt
in den norddeutschen Bund, von dem nun einmal in der schwäbischen Phan¬
tasie die Vorstellungen von unerschwinglichen Steuern, unerhörten Militär¬
lasten und haarsträubenden Beeinträchtigungen der persönlichen Freiheit un¬
zertrennlich sind. Dabei schüttelt man ungläubig zu den Südbundsprojekten
den Kopf. Ueberhaupt ist das Volk wesentlich conservativ. selbst im jetzigen
Zustande, an dessen Dauer im Grund Niemand glaubt, und wenn man sich
nicht verbergen kann, daß schließlich doch ein näherer Anschluß an den Nord¬
bund unausbleiblich ist, so will man sich wenigstens damit nicht beeilen und
nicht selbst die Hand dazu bieten. Das wird sich ja Alles "von selber" machen;
mag also das weitere getrost der Vorsehung anheimgestellt werden.

So etwa die Durchschnittsmeinung des Landes. Und dennoch der Sieg
einer extremen Partei? Und eine Niederlage der Regierung, deren Programm
der gedankenlosen Trägheit doch nichts anderes war, als die Formulirung
eben dieser Stimmung, die genau jene Mitte zwischen Volkspartei und na¬
tionaler Partei einzuhalten bemüht war und die noch überdies den ganzen
dienstwilligen Apparat ihrer Bureaukratie zur Verfügung hatte?

Bor Allem überschätzte die Regierung ihre Kräfte und ihre Autorität,
wenn sie meinte, das allgemeine Stimmrecht heute in diesem, morgen in jenem
Sinne lenken und benutzen zu können. Sie scheint keine Ahnung davon ge¬
habt zu haben, in welchem Grad sie sich durch ihre schwankende ziellose Politik
das Vertrauen nicht blos der Parteien, sondern auch des Volkes entfremdet hat.
Heute diejenigen als Landesfeinde zu denunciren, mit denen man gestern


mondänen vermögen nur in einzelnen Landestheilen den Ausschlag zu geben;
eine Regierungspartei endlich ist im Grund nur in der Hauptstadt organisirt,
wo sie sich an die Interessen des Hofes knüpft. Die große Menge, zumal
die Landbevölkerung, steht, wie gesagt, außerhalb aller Parteiorganisation
und bildet das große neutrale Feld, um welches sich diesmal vorzugsweise
der Einfluß der Regierungsbeamten und der Einfluß der radicalen Schlag¬
worte mit einander stritten.

Darf man nun von einer eigenen Meinung dieser großen Masse reden,
die nun einmal bet dem allgemeinen Stimmrecht den Ausschlag gibt, so muß
man vor Allem bei ihr keine extremer. Neigungen voraussetzen. So wenig
in Schwaben als anderswo hätte sie Lust nach revolutionären Experimenten.
Man will Frieden haben, nicht blos nach außen, sondern auch mit den deut¬
schen Brüdern. Den Bruch mit Deutschland will man so wenig als im
Jahr 1866 der Rath der „nächtlichen Axt" Anklang fand. Man will, daß
die mit Norddeutschland geschlossenen Verträge ehrlich gehalten und die ein¬
gegangenen Verpflichtungen erfüllt, im Uebrigen aber alle weiter gehenden
Verbindlichkeiten ferngehalten werden. Also keine weitere Annäherung an
Preußen, es ist schon jetzt genug und übergenug; vor Allem kein Eintritt
in den norddeutschen Bund, von dem nun einmal in der schwäbischen Phan¬
tasie die Vorstellungen von unerschwinglichen Steuern, unerhörten Militär¬
lasten und haarsträubenden Beeinträchtigungen der persönlichen Freiheit un¬
zertrennlich sind. Dabei schüttelt man ungläubig zu den Südbundsprojekten
den Kopf. Ueberhaupt ist das Volk wesentlich conservativ. selbst im jetzigen
Zustande, an dessen Dauer im Grund Niemand glaubt, und wenn man sich
nicht verbergen kann, daß schließlich doch ein näherer Anschluß an den Nord¬
bund unausbleiblich ist, so will man sich wenigstens damit nicht beeilen und
nicht selbst die Hand dazu bieten. Das wird sich ja Alles „von selber" machen;
mag also das weitere getrost der Vorsehung anheimgestellt werden.

So etwa die Durchschnittsmeinung des Landes. Und dennoch der Sieg
einer extremen Partei? Und eine Niederlage der Regierung, deren Programm
der gedankenlosen Trägheit doch nichts anderes war, als die Formulirung
eben dieser Stimmung, die genau jene Mitte zwischen Volkspartei und na¬
tionaler Partei einzuhalten bemüht war und die noch überdies den ganzen
dienstwilligen Apparat ihrer Bureaukratie zur Verfügung hatte?

Bor Allem überschätzte die Regierung ihre Kräfte und ihre Autorität,
wenn sie meinte, das allgemeine Stimmrecht heute in diesem, morgen in jenem
Sinne lenken und benutzen zu können. Sie scheint keine Ahnung davon ge¬
habt zu haben, in welchem Grad sie sich durch ihre schwankende ziellose Politik
das Vertrauen nicht blos der Parteien, sondern auch des Volkes entfremdet hat.
Heute diejenigen als Landesfeinde zu denunciren, mit denen man gestern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/164>, abgerufen am 02.07.2024.