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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Unterhalt der Hilfsbedürftigen zu sorgen haben, in voller Geltung; sie suchen
aber die richtige Anwendung dieses Prinzips zu regeln und mehr wie
bisher zu sichern, damit für die Zukunft Uebelstände, die auch in neuester
Zeit vielfach in unserer Armenpflege hervorgetreten sind, möglichst vermie¬
den werden,


Sg.


Die Wahlen Mu ivürtcmdergischen Landtag.

Die Landtagswahlen sind vorüber. Ihr Ergebniß ist eine Niederlage
der Regierung, die wenigstens in diesem Umfang unerwartet, jedenfalls aber
längst verdient war: ein Werk ausgleichender Gerechtigkeit. Denn die Nieder¬
lage ist der Regierung in erster Linie beigebracht durch ihre Bundesgenossen
im Zollparlamentswahlkampf, mit denselben Waffen, über welche sie vor
vier Monaten selber den Segen gesprochen. Sie hat geerntet, was sie da¬
mals gesät. Unschwer war vorauszusehen, daß, wenn das Mr nodils kratrum
einmal sich in die Haare geriethe, -- und dies war bei den würtembergischen
Wahlen unvermeidlich -- die Regierung gegen den rücksichtsloseren Genossen
den kürzeren ziehen werde, solange sie fortfährt, die Unterstützung der anstän¬
digen und unabhängigen Kreise der Bevölkerung zu verschmähen.

Andererseits darf man freilich den Sieg der Demokratie nicht über¬
schätzen. Man darf nicht meinen, daT schwäbische,Volk habe mit diesen Wah¬
len Preußen den Fehdehandschuh hinwerfen wollen und die nächste Folge
werde die Kündigung der Verträge und die Mobilisirung des schwäbischen
Milizheers sein. Diese Deutung verbietet schon der verhältnißmäßige Erfolg,
den neben der Demokratie die nationale Partei diesmal errungen hat. Ver¬
suchen wir es die Bedeutung des Wahltags näher festzustellen, dessen Vor¬
bereitung Schwaben wiederum drei Wochen lang in gelinde Aufregung ver¬
setzt hat.

Bei einem von Parteien so durchwühlten Lande ist es nicht leicht, eine
Durchschnittsmeinung desselben zu constatiren. Doch ist so viel gewiß, daß
die große Menge zu keiner der vorhandenen Parteien gehört und nur
vorübergehend in den Kreis derselben gezogen werden kann. Die Volks¬
partei hat ihren Anhang hauptsächlich in dem Kleinbürgerthum der kleinen
Städte, die deutsche Partei in den gebildeten Klassen, in dem höheren Ge¬
werbe- und Handelsstand, auch unter Offizieren und Beamten, soweit man
sich hier zu einer unabhängigen Gesinnung entschließen kann. Die Ultra-


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Unterhalt der Hilfsbedürftigen zu sorgen haben, in voller Geltung; sie suchen
aber die richtige Anwendung dieses Prinzips zu regeln und mehr wie
bisher zu sichern, damit für die Zukunft Uebelstände, die auch in neuester
Zeit vielfach in unserer Armenpflege hervorgetreten sind, möglichst vermie¬
den werden,


Sg.


Die Wahlen Mu ivürtcmdergischen Landtag.

Die Landtagswahlen sind vorüber. Ihr Ergebniß ist eine Niederlage
der Regierung, die wenigstens in diesem Umfang unerwartet, jedenfalls aber
längst verdient war: ein Werk ausgleichender Gerechtigkeit. Denn die Nieder¬
lage ist der Regierung in erster Linie beigebracht durch ihre Bundesgenossen
im Zollparlamentswahlkampf, mit denselben Waffen, über welche sie vor
vier Monaten selber den Segen gesprochen. Sie hat geerntet, was sie da¬
mals gesät. Unschwer war vorauszusehen, daß, wenn das Mr nodils kratrum
einmal sich in die Haare geriethe, — und dies war bei den würtembergischen
Wahlen unvermeidlich — die Regierung gegen den rücksichtsloseren Genossen
den kürzeren ziehen werde, solange sie fortfährt, die Unterstützung der anstän¬
digen und unabhängigen Kreise der Bevölkerung zu verschmähen.

Andererseits darf man freilich den Sieg der Demokratie nicht über¬
schätzen. Man darf nicht meinen, daT schwäbische,Volk habe mit diesen Wah¬
len Preußen den Fehdehandschuh hinwerfen wollen und die nächste Folge
werde die Kündigung der Verträge und die Mobilisirung des schwäbischen
Milizheers sein. Diese Deutung verbietet schon der verhältnißmäßige Erfolg,
den neben der Demokratie die nationale Partei diesmal errungen hat. Ver¬
suchen wir es die Bedeutung des Wahltags näher festzustellen, dessen Vor¬
bereitung Schwaben wiederum drei Wochen lang in gelinde Aufregung ver¬
setzt hat.

Bei einem von Parteien so durchwühlten Lande ist es nicht leicht, eine
Durchschnittsmeinung desselben zu constatiren. Doch ist so viel gewiß, daß
die große Menge zu keiner der vorhandenen Parteien gehört und nur
vorübergehend in den Kreis derselben gezogen werden kann. Die Volks¬
partei hat ihren Anhang hauptsächlich in dem Kleinbürgerthum der kleinen
Städte, die deutsche Partei in den gebildeten Klassen, in dem höheren Ge¬
werbe- und Handelsstand, auch unter Offizieren und Beamten, soweit man
sich hier zu einer unabhängigen Gesinnung entschließen kann. Die Ultra-


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[0163] Unterhalt der Hilfsbedürftigen zu sorgen haben, in voller Geltung; sie suchen aber die richtige Anwendung dieses Prinzips zu regeln und mehr wie bisher zu sichern, damit für die Zukunft Uebelstände, die auch in neuester Zeit vielfach in unserer Armenpflege hervorgetreten sind, möglichst vermie¬ den werden, Sg. Die Wahlen Mu ivürtcmdergischen Landtag. Die Landtagswahlen sind vorüber. Ihr Ergebniß ist eine Niederlage der Regierung, die wenigstens in diesem Umfang unerwartet, jedenfalls aber längst verdient war: ein Werk ausgleichender Gerechtigkeit. Denn die Nieder¬ lage ist der Regierung in erster Linie beigebracht durch ihre Bundesgenossen im Zollparlamentswahlkampf, mit denselben Waffen, über welche sie vor vier Monaten selber den Segen gesprochen. Sie hat geerntet, was sie da¬ mals gesät. Unschwer war vorauszusehen, daß, wenn das Mr nodils kratrum einmal sich in die Haare geriethe, — und dies war bei den würtembergischen Wahlen unvermeidlich — die Regierung gegen den rücksichtsloseren Genossen den kürzeren ziehen werde, solange sie fortfährt, die Unterstützung der anstän¬ digen und unabhängigen Kreise der Bevölkerung zu verschmähen. Andererseits darf man freilich den Sieg der Demokratie nicht über¬ schätzen. Man darf nicht meinen, daT schwäbische,Volk habe mit diesen Wah¬ len Preußen den Fehdehandschuh hinwerfen wollen und die nächste Folge werde die Kündigung der Verträge und die Mobilisirung des schwäbischen Milizheers sein. Diese Deutung verbietet schon der verhältnißmäßige Erfolg, den neben der Demokratie die nationale Partei diesmal errungen hat. Ver¬ suchen wir es die Bedeutung des Wahltags näher festzustellen, dessen Vor¬ bereitung Schwaben wiederum drei Wochen lang in gelinde Aufregung ver¬ setzt hat. Bei einem von Parteien so durchwühlten Lande ist es nicht leicht, eine Durchschnittsmeinung desselben zu constatiren. Doch ist so viel gewiß, daß die große Menge zu keiner der vorhandenen Parteien gehört und nur vorübergehend in den Kreis derselben gezogen werden kann. Die Volks¬ partei hat ihren Anhang hauptsächlich in dem Kleinbürgerthum der kleinen Städte, die deutsche Partei in den gebildeten Klassen, in dem höheren Ge¬ werbe- und Handelsstand, auch unter Offizieren und Beamten, soweit man sich hier zu einer unabhängigen Gesinnung entschließen kann. Die Ultra- 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/163>, abgerufen am 02.07.2024.