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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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eher ist es dem mit dieser betrauten Beamten möglich, alle die Personen,
welche auf Unterstützung Anspruch machen, genau zu kennen und daher zu
beurtheilen, ob und welcher Unterstützung sie bedürfen; auch ist es gerade
bei einem kleinen Bezirke und einer in Folge dessen geringen Zahl von Hilfs¬
bedürftigen am leichtesten möglich, die Nothleidenden statt durch eigentliche
Almosen durch passend gewählte Arbeiten zu unterstützen.

Diesen Vorzügen gegenüber darf man nun aber auch nicht die großen
Nachtheile übersehn, welche aus der Kleinheit der Armenbezirke entstehen. Zu¬
nächst ist die Last der Armenpflege für die verschiedenen Orte eine sehr ver¬
schiedene; jeder Ort sucht sich nach Kräften Hilfsbedürftige fern zu halten und
es sind uns Fälle bekannt, wo sämmtliche angesessene Wirthe eines Dorfes
sich vereinigten, an fremde Arbeitsleute keine Wohnung zu vermiethen. Am
Schlimmsten ist es aber, daß in vielen Gemeinden und Gutsbezirken sich
durchaus Niemand findet, der Bildung genug hätte, um die Pflicht der
Armenpflege in gehöriger Weise zu erfüllen. Dieser Uebelstand findet in der
Rheinprovinz und in Westphalen um deswillen nicht Statt, weil dort immer
eine größere Anzahl von Dörfern oder Gütern zu einem Amte (in der Rhein¬
provinz zu einer Bürgermeisterei) vereinigt sind, und weil es Sache des Amt¬
manns oder Bürgermeisters ist, wie überhaupt die Polizeiverwaltung, so ins¬
besondere die Armenpflege der einzelnen vereinigten Dörfer oder Güter zu
beaufsichtigten.

Die bevorstehende und schon so lange erwartete Reform der Gemeinde¬
ordnung der östlichen Provinzen wird hoffentlich auch in diesen dahin führen,
daß die Gemeinden und Gutsbezirke, welche zu klein sind, um ein selbständi¬
ges Gemeindeleben führen zu können, zu Sammelgemeinden oder Aemtern
resp. Bürgermeistereien verbunden werden und wird dann den Uebelständen,
welche aus der Kleinheit unserer heutigen Armenpflegebezirke folgen, wohl in
genügender Weise abgeholfen werden können.

2) Das Gesetz verordnet, daß wenn eine Gemeinde die Last der Armen¬
pflege nicht tragen könne, der Landarmenverband subsidiarisch diese Last
übernehmen soll. Die Entscheidung darüber, in welchem Falle eine Gemeinde
für unvermögend zu erachten sei, ist lediglich der freien Beurtheilung der
vorgesetzten Verwaltungsbehörde überlassen.

Wir würden es nun für zweckmäßig halten, daß gesetzlich bestimmt
würde, bis zu welchem Betrage eine Gemeinde schuldig sei, allein die Kosten
der Armenpflege zu tragen, wenn man also z. B. bestimmte, daß jede Ge-
meinde verbunden sei, wenn es die Lage ihrer Armen nöthig mache, jährlich
ein Summe, die etwa dem dritten Theile ihrer directen Staatssteuern gleich
käme, für Armenpflege zu verwenden und daß, wenn diese Summe nicht
ausreicht, der Landesarmenverband den Mehrbetrag zu zahlen habe.


Grenzboten III. 1868. 19

eher ist es dem mit dieser betrauten Beamten möglich, alle die Personen,
welche auf Unterstützung Anspruch machen, genau zu kennen und daher zu
beurtheilen, ob und welcher Unterstützung sie bedürfen; auch ist es gerade
bei einem kleinen Bezirke und einer in Folge dessen geringen Zahl von Hilfs¬
bedürftigen am leichtesten möglich, die Nothleidenden statt durch eigentliche
Almosen durch passend gewählte Arbeiten zu unterstützen.

Diesen Vorzügen gegenüber darf man nun aber auch nicht die großen
Nachtheile übersehn, welche aus der Kleinheit der Armenbezirke entstehen. Zu¬
nächst ist die Last der Armenpflege für die verschiedenen Orte eine sehr ver¬
schiedene; jeder Ort sucht sich nach Kräften Hilfsbedürftige fern zu halten und
es sind uns Fälle bekannt, wo sämmtliche angesessene Wirthe eines Dorfes
sich vereinigten, an fremde Arbeitsleute keine Wohnung zu vermiethen. Am
Schlimmsten ist es aber, daß in vielen Gemeinden und Gutsbezirken sich
durchaus Niemand findet, der Bildung genug hätte, um die Pflicht der
Armenpflege in gehöriger Weise zu erfüllen. Dieser Uebelstand findet in der
Rheinprovinz und in Westphalen um deswillen nicht Statt, weil dort immer
eine größere Anzahl von Dörfern oder Gütern zu einem Amte (in der Rhein¬
provinz zu einer Bürgermeisterei) vereinigt sind, und weil es Sache des Amt¬
manns oder Bürgermeisters ist, wie überhaupt die Polizeiverwaltung, so ins¬
besondere die Armenpflege der einzelnen vereinigten Dörfer oder Güter zu
beaufsichtigten.

Die bevorstehende und schon so lange erwartete Reform der Gemeinde¬
ordnung der östlichen Provinzen wird hoffentlich auch in diesen dahin führen,
daß die Gemeinden und Gutsbezirke, welche zu klein sind, um ein selbständi¬
ges Gemeindeleben führen zu können, zu Sammelgemeinden oder Aemtern
resp. Bürgermeistereien verbunden werden und wird dann den Uebelständen,
welche aus der Kleinheit unserer heutigen Armenpflegebezirke folgen, wohl in
genügender Weise abgeholfen werden können.

2) Das Gesetz verordnet, daß wenn eine Gemeinde die Last der Armen¬
pflege nicht tragen könne, der Landarmenverband subsidiarisch diese Last
übernehmen soll. Die Entscheidung darüber, in welchem Falle eine Gemeinde
für unvermögend zu erachten sei, ist lediglich der freien Beurtheilung der
vorgesetzten Verwaltungsbehörde überlassen.

Wir würden es nun für zweckmäßig halten, daß gesetzlich bestimmt
würde, bis zu welchem Betrage eine Gemeinde schuldig sei, allein die Kosten
der Armenpflege zu tragen, wenn man also z. B. bestimmte, daß jede Ge-
meinde verbunden sei, wenn es die Lage ihrer Armen nöthig mache, jährlich
ein Summe, die etwa dem dritten Theile ihrer directen Staatssteuern gleich
käme, für Armenpflege zu verwenden und daß, wenn diese Summe nicht
ausreicht, der Landesarmenverband den Mehrbetrag zu zahlen habe.


Grenzboten III. 1868. 19
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[0161] eher ist es dem mit dieser betrauten Beamten möglich, alle die Personen, welche auf Unterstützung Anspruch machen, genau zu kennen und daher zu beurtheilen, ob und welcher Unterstützung sie bedürfen; auch ist es gerade bei einem kleinen Bezirke und einer in Folge dessen geringen Zahl von Hilfs¬ bedürftigen am leichtesten möglich, die Nothleidenden statt durch eigentliche Almosen durch passend gewählte Arbeiten zu unterstützen. Diesen Vorzügen gegenüber darf man nun aber auch nicht die großen Nachtheile übersehn, welche aus der Kleinheit der Armenbezirke entstehen. Zu¬ nächst ist die Last der Armenpflege für die verschiedenen Orte eine sehr ver¬ schiedene; jeder Ort sucht sich nach Kräften Hilfsbedürftige fern zu halten und es sind uns Fälle bekannt, wo sämmtliche angesessene Wirthe eines Dorfes sich vereinigten, an fremde Arbeitsleute keine Wohnung zu vermiethen. Am Schlimmsten ist es aber, daß in vielen Gemeinden und Gutsbezirken sich durchaus Niemand findet, der Bildung genug hätte, um die Pflicht der Armenpflege in gehöriger Weise zu erfüllen. Dieser Uebelstand findet in der Rheinprovinz und in Westphalen um deswillen nicht Statt, weil dort immer eine größere Anzahl von Dörfern oder Gütern zu einem Amte (in der Rhein¬ provinz zu einer Bürgermeisterei) vereinigt sind, und weil es Sache des Amt¬ manns oder Bürgermeisters ist, wie überhaupt die Polizeiverwaltung, so ins¬ besondere die Armenpflege der einzelnen vereinigten Dörfer oder Güter zu beaufsichtigten. Die bevorstehende und schon so lange erwartete Reform der Gemeinde¬ ordnung der östlichen Provinzen wird hoffentlich auch in diesen dahin führen, daß die Gemeinden und Gutsbezirke, welche zu klein sind, um ein selbständi¬ ges Gemeindeleben führen zu können, zu Sammelgemeinden oder Aemtern resp. Bürgermeistereien verbunden werden und wird dann den Uebelständen, welche aus der Kleinheit unserer heutigen Armenpflegebezirke folgen, wohl in genügender Weise abgeholfen werden können. 2) Das Gesetz verordnet, daß wenn eine Gemeinde die Last der Armen¬ pflege nicht tragen könne, der Landarmenverband subsidiarisch diese Last übernehmen soll. Die Entscheidung darüber, in welchem Falle eine Gemeinde für unvermögend zu erachten sei, ist lediglich der freien Beurtheilung der vorgesetzten Verwaltungsbehörde überlassen. Wir würden es nun für zweckmäßig halten, daß gesetzlich bestimmt würde, bis zu welchem Betrage eine Gemeinde schuldig sei, allein die Kosten der Armenpflege zu tragen, wenn man also z. B. bestimmte, daß jede Ge- meinde verbunden sei, wenn es die Lage ihrer Armen nöthig mache, jährlich ein Summe, die etwa dem dritten Theile ihrer directen Staatssteuern gleich käme, für Armenpflege zu verwenden und daß, wenn diese Summe nicht ausreicht, der Landesarmenverband den Mehrbetrag zu zahlen habe. Grenzboten III. 1868. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/161>, abgerufen am 02.07.2024.