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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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den ist, aber der Beaufsichtigung des Staats unterliegen muß, so muß auch
dasselbe von der Armenpflege gelten, wenn man diese nicht wieder in den
kläglichen Zustand zurückfallen lassen will, in dem sie sich bis zum Schlüsse
des 17. Jahrhunderts in Preußen befunden hat. In einem Staate vom Um¬
fange des preußischen empfiehlt es sich nun aber, die Aussicht über die Ar¬
menpflege den Gemeinden zu übergeben, die Oberaufsicht den Provinzial- und
Centralbehörden des Staats vorzubehalten.

Das Ziel der öffentlichen Armenpflege darf in der Regel nur Gewährung
nothdürftigen Unterhalts sein.

Wenn milde Stiftungen oder Privatwohlthätigkeit einzelnen Personen,
namentlich solchen, die arbeitsunfähig sind, mehr als den nothdürftigen
Unterhalt gewähren, so ist dies dankend anzuerkennen, allein die Armenpflege
des Staats oder der Gemeinde darf schon um deswillen in der Regel nicht
mehr spxnden, weil ihre Mittel meistens ja nur aus den Beiträgen und
Steuern aller auch der ärmsten Klassen der Bevölkerung zusammengebracht
werden. Außerdem muß in Bezug auf Unterstützung arbeitsfähiger Personen
der Spruch Anwendung finden: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht
essen", weil man sonst durch die Almosen blos den Müssiggang befördern
würde. Es ist bekannt, daß namentlich in katholischen Ländern durch un¬
überlegte Wohlthätigkeit der Klöster und milden Stiftungen oft Bettelei und
Müssiggang befördert worden sind. Ueber England urtheilte der berühmte
Franklin schon vor nunmehr hundert Jahren, der Hauptfehler der dortigen
Armenpflege sei der, daß häufig arbeitsfähige Personen durch übertriebene
Unterstützung zur Faulheit verleitet und somit abgehalten würden, selbst durch
Fleiß und Sparsamkeit ihre Lage zu verbessern.

Untersuchen wir nun von den festgestellten allgemeinen Grundsätzen aus,
in wiefern unsere jetzige Armengesetzgebung als eine zweckmäßige betrachtet
werden kann.

Das Hauptprinzip derselben, daß der Staat die Pflicht des nothdürftigen
Unterhalts der Armen hat, daß er diese Pflicht aber zunächst den Gemeinden
oder Gutsbezirken und nur subsidiarisch den Landarmenverbänden überweist,
selbst aber nur für Erfüllung der Verbindlichkeiten der Landarmenverbände
haftet, halten wir für richtig.

In Bezug auf die Durchführung dieses Prinzips kommen jedoch folgende
der Verbesserung bedürftige Punkte in Betracht.

1) Jede, auch die kleinste Gemeinde und jedes außerhalb eines Gemeinde¬
verbandes belegene Domänen- oder Rittergut bildet einen selbständigen Be¬
zirk für die Armenpflege. Diese Kleinheit der Bezirke für Armenpflege hat
nun ebensowohl ihre großen Bordseite als Nachtheile. Die Vortheile sind
im wesentlichen folgende: je kleiner der Bezirk für Armenpflege ist, desto


den ist, aber der Beaufsichtigung des Staats unterliegen muß, so muß auch
dasselbe von der Armenpflege gelten, wenn man diese nicht wieder in den
kläglichen Zustand zurückfallen lassen will, in dem sie sich bis zum Schlüsse
des 17. Jahrhunderts in Preußen befunden hat. In einem Staate vom Um¬
fange des preußischen empfiehlt es sich nun aber, die Aussicht über die Ar¬
menpflege den Gemeinden zu übergeben, die Oberaufsicht den Provinzial- und
Centralbehörden des Staats vorzubehalten.

Das Ziel der öffentlichen Armenpflege darf in der Regel nur Gewährung
nothdürftigen Unterhalts sein.

Wenn milde Stiftungen oder Privatwohlthätigkeit einzelnen Personen,
namentlich solchen, die arbeitsunfähig sind, mehr als den nothdürftigen
Unterhalt gewähren, so ist dies dankend anzuerkennen, allein die Armenpflege
des Staats oder der Gemeinde darf schon um deswillen in der Regel nicht
mehr spxnden, weil ihre Mittel meistens ja nur aus den Beiträgen und
Steuern aller auch der ärmsten Klassen der Bevölkerung zusammengebracht
werden. Außerdem muß in Bezug auf Unterstützung arbeitsfähiger Personen
der Spruch Anwendung finden: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht
essen", weil man sonst durch die Almosen blos den Müssiggang befördern
würde. Es ist bekannt, daß namentlich in katholischen Ländern durch un¬
überlegte Wohlthätigkeit der Klöster und milden Stiftungen oft Bettelei und
Müssiggang befördert worden sind. Ueber England urtheilte der berühmte
Franklin schon vor nunmehr hundert Jahren, der Hauptfehler der dortigen
Armenpflege sei der, daß häufig arbeitsfähige Personen durch übertriebene
Unterstützung zur Faulheit verleitet und somit abgehalten würden, selbst durch
Fleiß und Sparsamkeit ihre Lage zu verbessern.

Untersuchen wir nun von den festgestellten allgemeinen Grundsätzen aus,
in wiefern unsere jetzige Armengesetzgebung als eine zweckmäßige betrachtet
werden kann.

Das Hauptprinzip derselben, daß der Staat die Pflicht des nothdürftigen
Unterhalts der Armen hat, daß er diese Pflicht aber zunächst den Gemeinden
oder Gutsbezirken und nur subsidiarisch den Landarmenverbänden überweist,
selbst aber nur für Erfüllung der Verbindlichkeiten der Landarmenverbände
haftet, halten wir für richtig.

In Bezug auf die Durchführung dieses Prinzips kommen jedoch folgende
der Verbesserung bedürftige Punkte in Betracht.

1) Jede, auch die kleinste Gemeinde und jedes außerhalb eines Gemeinde¬
verbandes belegene Domänen- oder Rittergut bildet einen selbständigen Be¬
zirk für die Armenpflege. Diese Kleinheit der Bezirke für Armenpflege hat
nun ebensowohl ihre großen Bordseite als Nachtheile. Die Vortheile sind
im wesentlichen folgende: je kleiner der Bezirk für Armenpflege ist, desto


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/160>, abgerufen am 02.07.2024.