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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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eine Gemeinde nicht im Stande sei, ihre Armen zu ernähren, so lag doch
hierbei offenbar die Absicht zu Grunde, daß bei wirklichem Unvermögen der
Gemeinde der König aus Staatsmitteln helfen wollte.

Der wesentliche Unterschied zwischen der heutigen preußischen Armengesetz¬
gebung und der bereits durch Friedrich Wilhelm I. eingeführten besteht wohl
darin, daß die harten Strafen, welche in dem Armenedict von 1718 den in
Bezug auf die Armenpflege nachlässigen Ortsbehörden angedroht sind, jetzt
nicht mehr bestehn, daß ferner die Ueberwachung der Ortsbehörden durch die
Geistlichen aufgehört hat und daß endlich die Landarmenverbände mit ihrer
Fürsorge als Mittelglied zwischen die Gemeinden und den Staat einge¬
schoben sind.

Von den verschiedensten Standpunkten aus sind nun seit Jahren die Be
Stimmungen unserer Armengesetzgebung Gegenstand der Kritik und der An¬
griffe gewesen. Wir erkennen ein Neformbedürfniß dieser Gesetzgebung an,
halten ihre Grundlagen aber für durchaus richtig. Betrachten wir zunächst
im Allgemeinen, welche Anforderungen man an eine gute Armenpflege stellen
muß. Unbestreitbar ist zunächst die Pflicht des Staats, dafür zu sorgen, daß
der nothdürftige Unterhalt jedem, der ihn sich nicht selbst verschaffen kann,
gewährt werde, daß im Bereiche des Staats Niemand dem Hungertode er"
liegt. Diese Verpflichtung des Staats könnte man nur dann in Abrede stellen,
wenn man den Staat als einen Verein von Menschen betrachten wollte, der
gar nicht an die Vorschriften der Humanität und Moral gebunden ist.

Zweifelhast kann nur sein, ob der Staat die ganze Armenpflege un¬
mittelbar in seine Hände nehmen, sie auf Staatskosten und durch directe
Staatsbeamte leiten lassen oder ob er sie der mehr oder weniger selbständigen
Thätigkeit der Gemeinden überlassen soll.

In größeren Staaten ist unstreitig das letztere vorzuziehn. Directe Lei¬
tung der Armenpflege durch den Staat würde die Anstellung einer Unmasse
von Beamten nöthig machen, deren wir, jetzt nicht bedürfen; überdies läßt
sich das Armenwesen nicht ohne Nachtheil von der Polizeiverwaltung trennen,
die man ja doch mit Ausnahme weniger großer Städte im preußischen
Staate mit Recht überall den Gemeinden gelassen hat. Auf keinem Gebiete
des Staatslebens möchten daher eine zu directe Einmischung des Staats und '
zu große Centralisation so nachtheilig sein, als gerade auf dem Gebiete der
Armenpflege.

Daraus aber, daß die Armenpflege zunächst Sache der Gemeinde ist,
folgt noch nicht, daß der Staat sich gar nicht weiter darum zu kümmern
brauche. Die Autonomie der Gemeinden darf nicht soweit getrieben werden,
daß man am Ende den Staat in eine Anzahl fast selbständiger Gemeinwesen
auslöst. Sowie das Volksschulwesen zwar auch zunächst Sache der Gemein-


eine Gemeinde nicht im Stande sei, ihre Armen zu ernähren, so lag doch
hierbei offenbar die Absicht zu Grunde, daß bei wirklichem Unvermögen der
Gemeinde der König aus Staatsmitteln helfen wollte.

Der wesentliche Unterschied zwischen der heutigen preußischen Armengesetz¬
gebung und der bereits durch Friedrich Wilhelm I. eingeführten besteht wohl
darin, daß die harten Strafen, welche in dem Armenedict von 1718 den in
Bezug auf die Armenpflege nachlässigen Ortsbehörden angedroht sind, jetzt
nicht mehr bestehn, daß ferner die Ueberwachung der Ortsbehörden durch die
Geistlichen aufgehört hat und daß endlich die Landarmenverbände mit ihrer
Fürsorge als Mittelglied zwischen die Gemeinden und den Staat einge¬
schoben sind.

Von den verschiedensten Standpunkten aus sind nun seit Jahren die Be
Stimmungen unserer Armengesetzgebung Gegenstand der Kritik und der An¬
griffe gewesen. Wir erkennen ein Neformbedürfniß dieser Gesetzgebung an,
halten ihre Grundlagen aber für durchaus richtig. Betrachten wir zunächst
im Allgemeinen, welche Anforderungen man an eine gute Armenpflege stellen
muß. Unbestreitbar ist zunächst die Pflicht des Staats, dafür zu sorgen, daß
der nothdürftige Unterhalt jedem, der ihn sich nicht selbst verschaffen kann,
gewährt werde, daß im Bereiche des Staats Niemand dem Hungertode er»
liegt. Diese Verpflichtung des Staats könnte man nur dann in Abrede stellen,
wenn man den Staat als einen Verein von Menschen betrachten wollte, der
gar nicht an die Vorschriften der Humanität und Moral gebunden ist.

Zweifelhast kann nur sein, ob der Staat die ganze Armenpflege un¬
mittelbar in seine Hände nehmen, sie auf Staatskosten und durch directe
Staatsbeamte leiten lassen oder ob er sie der mehr oder weniger selbständigen
Thätigkeit der Gemeinden überlassen soll.

In größeren Staaten ist unstreitig das letztere vorzuziehn. Directe Lei¬
tung der Armenpflege durch den Staat würde die Anstellung einer Unmasse
von Beamten nöthig machen, deren wir, jetzt nicht bedürfen; überdies läßt
sich das Armenwesen nicht ohne Nachtheil von der Polizeiverwaltung trennen,
die man ja doch mit Ausnahme weniger großer Städte im preußischen
Staate mit Recht überall den Gemeinden gelassen hat. Auf keinem Gebiete
des Staatslebens möchten daher eine zu directe Einmischung des Staats und '
zu große Centralisation so nachtheilig sein, als gerade auf dem Gebiete der
Armenpflege.

Daraus aber, daß die Armenpflege zunächst Sache der Gemeinde ist,
folgt noch nicht, daß der Staat sich gar nicht weiter darum zu kümmern
brauche. Die Autonomie der Gemeinden darf nicht soweit getrieben werden,
daß man am Ende den Staat in eine Anzahl fast selbständiger Gemeinwesen
auslöst. Sowie das Volksschulwesen zwar auch zunächst Sache der Gemein-


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[0159] eine Gemeinde nicht im Stande sei, ihre Armen zu ernähren, so lag doch hierbei offenbar die Absicht zu Grunde, daß bei wirklichem Unvermögen der Gemeinde der König aus Staatsmitteln helfen wollte. Der wesentliche Unterschied zwischen der heutigen preußischen Armengesetz¬ gebung und der bereits durch Friedrich Wilhelm I. eingeführten besteht wohl darin, daß die harten Strafen, welche in dem Armenedict von 1718 den in Bezug auf die Armenpflege nachlässigen Ortsbehörden angedroht sind, jetzt nicht mehr bestehn, daß ferner die Ueberwachung der Ortsbehörden durch die Geistlichen aufgehört hat und daß endlich die Landarmenverbände mit ihrer Fürsorge als Mittelglied zwischen die Gemeinden und den Staat einge¬ schoben sind. Von den verschiedensten Standpunkten aus sind nun seit Jahren die Be Stimmungen unserer Armengesetzgebung Gegenstand der Kritik und der An¬ griffe gewesen. Wir erkennen ein Neformbedürfniß dieser Gesetzgebung an, halten ihre Grundlagen aber für durchaus richtig. Betrachten wir zunächst im Allgemeinen, welche Anforderungen man an eine gute Armenpflege stellen muß. Unbestreitbar ist zunächst die Pflicht des Staats, dafür zu sorgen, daß der nothdürftige Unterhalt jedem, der ihn sich nicht selbst verschaffen kann, gewährt werde, daß im Bereiche des Staats Niemand dem Hungertode er» liegt. Diese Verpflichtung des Staats könnte man nur dann in Abrede stellen, wenn man den Staat als einen Verein von Menschen betrachten wollte, der gar nicht an die Vorschriften der Humanität und Moral gebunden ist. Zweifelhast kann nur sein, ob der Staat die ganze Armenpflege un¬ mittelbar in seine Hände nehmen, sie auf Staatskosten und durch directe Staatsbeamte leiten lassen oder ob er sie der mehr oder weniger selbständigen Thätigkeit der Gemeinden überlassen soll. In größeren Staaten ist unstreitig das letztere vorzuziehn. Directe Lei¬ tung der Armenpflege durch den Staat würde die Anstellung einer Unmasse von Beamten nöthig machen, deren wir, jetzt nicht bedürfen; überdies läßt sich das Armenwesen nicht ohne Nachtheil von der Polizeiverwaltung trennen, die man ja doch mit Ausnahme weniger großer Städte im preußischen Staate mit Recht überall den Gemeinden gelassen hat. Auf keinem Gebiete des Staatslebens möchten daher eine zu directe Einmischung des Staats und ' zu große Centralisation so nachtheilig sein, als gerade auf dem Gebiete der Armenpflege. Daraus aber, daß die Armenpflege zunächst Sache der Gemeinde ist, folgt noch nicht, daß der Staat sich gar nicht weiter darum zu kümmern brauche. Die Autonomie der Gemeinden darf nicht soweit getrieben werden, daß man am Ende den Staat in eine Anzahl fast selbständiger Gemeinwesen auslöst. Sowie das Volksschulwesen zwar auch zunächst Sache der Gemein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/159>, abgerufen am 02.07.2024.