Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und denselben auch von anderen Privatpersonen, welche nach besondern Ge¬
setzen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können."

Die unmittelbare Ausübung der Armenpflege übertrug jedoch das Land¬
recht den Stadt- und Dorfgemeinden, ganz wie dies im Gesetze von 1715
geschehen war, es ließ nur subsidiarisch die Verpflichtung des Staats ein¬
treten. Im Anschluß an diese Bestimmungen des Allgem. Landrechts ordnete
nun das Gesetz vom 3l. December 1842 an, daß den einzelnen Gemeinden
respective den selbständigen Rittergütern die Pflege ihrer Armen obliege und
daß falls eine Gemeinde oder ein Rittergut nicht im Stande sei, dieser
Pflicht zu genügen oder falls sich Arme fänden, die in keinem bestimmten
Orte heimathsberechtigt seien, der Landarmenverband subsidiarisch zur Unter-
stützung der Armen verpflichtet sein solle. Der Umfang der einzelnen Land¬
armenverbände fällt vielfach mit dem der Provinzen zusammen. Für Ost¬
preußen ist durch Verordnung open Septemper 1864 vorgeschrieben, daß jeder
Kreis einen besonderen Landarmenverband für sich bilden soll.

Die Armenunterstützung, welche jeder wirklich Hilfsbedürftige zu fordern
befugt ist, soll nur den nothdürftigen Unterhalt in sich begreifen. In Be-
zug auf die Frage, ob einer bestimmten Person Armenunterstützung zu ge¬
währen und wie hoch solche zu bemessen sei. ist die Competenz der Gerichte
vollständig ausgeschlossen und nur die Entscheidung der Verwaltungsbehörden
maßgebend.

Darüber, ob im Fall des Unvermögens der Landarmenverbände der
Staat subsidiarisch die Pflicht der Armenpflege habe, spricht sich das Gesetz
vom 31. December 1842 nicht ausdrücklich aus, nur beiläufig erwähnt der
§ 10 der Zuschüsse, die aus der Staatskasse den Landarmenverbänden zu
gewähren seien; man kann daher nicht annehmen, daß die Vorschrift in § 1
Thl. II Tit. 19 des Allgemeinen Landrechts, wonach der Staat subsidiär für
die Kosten der Armenpflege zu sorgen hat. aufgehoben sei.

Diese Bestimmung des Landrechts hat man in neuerer Zeit vielfach an¬
gegriffen und sie wohl gar auf socialistische oder communistische Anwandlun¬
gen der Verfasser dieses Gesetzbuchs zurückführen wollen; man hat hierbei aber
gänzlich übersehn, daß in § 1 Thl. II Tit. 19 des Allgem. Landrechts nur ein
Grundsatz ausgesprochen ist, welcher zur Zeit der Abfassung des Landrechts
unter den Lehrern des gemeinen Rechts als feststehend galt. Man folgerte
diesen Grundsatz aus den Bestimmungen des kanonischen Rechts, namentlich
aus esnon 1 vise. 42, van. 8 vise. 47 und ven. 21 vise. 86.

Uebrigens war auch schon in der Verordnung Friedrich Wilhelm I. vom
21. Juni 1725 indirect der Grundsatz einer subsidiären Haftung des Staats
für die Kosten der Armenpflege anerkannt, denn wenn der König vorschrieb,
es solle ihm selbst wegen der erforderlichen Remedur Anzeige geschehen-, falls


und denselben auch von anderen Privatpersonen, welche nach besondern Ge¬
setzen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können."

Die unmittelbare Ausübung der Armenpflege übertrug jedoch das Land¬
recht den Stadt- und Dorfgemeinden, ganz wie dies im Gesetze von 1715
geschehen war, es ließ nur subsidiarisch die Verpflichtung des Staats ein¬
treten. Im Anschluß an diese Bestimmungen des Allgem. Landrechts ordnete
nun das Gesetz vom 3l. December 1842 an, daß den einzelnen Gemeinden
respective den selbständigen Rittergütern die Pflege ihrer Armen obliege und
daß falls eine Gemeinde oder ein Rittergut nicht im Stande sei, dieser
Pflicht zu genügen oder falls sich Arme fänden, die in keinem bestimmten
Orte heimathsberechtigt seien, der Landarmenverband subsidiarisch zur Unter-
stützung der Armen verpflichtet sein solle. Der Umfang der einzelnen Land¬
armenverbände fällt vielfach mit dem der Provinzen zusammen. Für Ost¬
preußen ist durch Verordnung open Septemper 1864 vorgeschrieben, daß jeder
Kreis einen besonderen Landarmenverband für sich bilden soll.

Die Armenunterstützung, welche jeder wirklich Hilfsbedürftige zu fordern
befugt ist, soll nur den nothdürftigen Unterhalt in sich begreifen. In Be-
zug auf die Frage, ob einer bestimmten Person Armenunterstützung zu ge¬
währen und wie hoch solche zu bemessen sei. ist die Competenz der Gerichte
vollständig ausgeschlossen und nur die Entscheidung der Verwaltungsbehörden
maßgebend.

Darüber, ob im Fall des Unvermögens der Landarmenverbände der
Staat subsidiarisch die Pflicht der Armenpflege habe, spricht sich das Gesetz
vom 31. December 1842 nicht ausdrücklich aus, nur beiläufig erwähnt der
§ 10 der Zuschüsse, die aus der Staatskasse den Landarmenverbänden zu
gewähren seien; man kann daher nicht annehmen, daß die Vorschrift in § 1
Thl. II Tit. 19 des Allgemeinen Landrechts, wonach der Staat subsidiär für
die Kosten der Armenpflege zu sorgen hat. aufgehoben sei.

Diese Bestimmung des Landrechts hat man in neuerer Zeit vielfach an¬
gegriffen und sie wohl gar auf socialistische oder communistische Anwandlun¬
gen der Verfasser dieses Gesetzbuchs zurückführen wollen; man hat hierbei aber
gänzlich übersehn, daß in § 1 Thl. II Tit. 19 des Allgem. Landrechts nur ein
Grundsatz ausgesprochen ist, welcher zur Zeit der Abfassung des Landrechts
unter den Lehrern des gemeinen Rechts als feststehend galt. Man folgerte
diesen Grundsatz aus den Bestimmungen des kanonischen Rechts, namentlich
aus esnon 1 vise. 42, van. 8 vise. 47 und ven. 21 vise. 86.

Uebrigens war auch schon in der Verordnung Friedrich Wilhelm I. vom
21. Juni 1725 indirect der Grundsatz einer subsidiären Haftung des Staats
für die Kosten der Armenpflege anerkannt, denn wenn der König vorschrieb,
es solle ihm selbst wegen der erforderlichen Remedur Anzeige geschehen-, falls


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286870"/>
          <p xml:id="ID_407" prev="#ID_406"> und denselben auch von anderen Privatpersonen, welche nach besondern Ge¬<lb/>
setzen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_408"> Die unmittelbare Ausübung der Armenpflege übertrug jedoch das Land¬<lb/>
recht den Stadt- und Dorfgemeinden, ganz wie dies im Gesetze von 1715<lb/>
geschehen war, es ließ nur subsidiarisch die Verpflichtung des Staats ein¬<lb/>
treten. Im Anschluß an diese Bestimmungen des Allgem. Landrechts ordnete<lb/>
nun das Gesetz vom 3l. December 1842 an, daß den einzelnen Gemeinden<lb/>
respective den selbständigen Rittergütern die Pflege ihrer Armen obliege und<lb/>
daß falls eine Gemeinde oder ein Rittergut nicht im Stande sei, dieser<lb/>
Pflicht zu genügen oder falls sich Arme fänden, die in keinem bestimmten<lb/>
Orte heimathsberechtigt seien, der Landarmenverband subsidiarisch zur Unter-<lb/>
stützung der Armen verpflichtet sein solle. Der Umfang der einzelnen Land¬<lb/>
armenverbände fällt vielfach mit dem der Provinzen zusammen. Für Ost¬<lb/>
preußen ist durch Verordnung open Septemper 1864 vorgeschrieben, daß jeder<lb/>
Kreis einen besonderen Landarmenverband für sich bilden soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_409"> Die Armenunterstützung, welche jeder wirklich Hilfsbedürftige zu fordern<lb/>
befugt ist, soll nur den nothdürftigen Unterhalt in sich begreifen. In Be-<lb/>
zug auf die Frage, ob einer bestimmten Person Armenunterstützung zu ge¬<lb/>
währen und wie hoch solche zu bemessen sei. ist die Competenz der Gerichte<lb/>
vollständig ausgeschlossen und nur die Entscheidung der Verwaltungsbehörden<lb/>
maßgebend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_410"> Darüber, ob im Fall des Unvermögens der Landarmenverbände der<lb/>
Staat subsidiarisch die Pflicht der Armenpflege habe, spricht sich das Gesetz<lb/>
vom 31. December 1842 nicht ausdrücklich aus, nur beiläufig erwähnt der<lb/>
§ 10 der Zuschüsse, die aus der Staatskasse den Landarmenverbänden zu<lb/>
gewähren seien; man kann daher nicht annehmen, daß die Vorschrift in § 1<lb/>
Thl. II Tit. 19 des Allgemeinen Landrechts, wonach der Staat subsidiär für<lb/>
die Kosten der Armenpflege zu sorgen hat. aufgehoben sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_411"> Diese Bestimmung des Landrechts hat man in neuerer Zeit vielfach an¬<lb/>
gegriffen und sie wohl gar auf socialistische oder communistische Anwandlun¬<lb/>
gen der Verfasser dieses Gesetzbuchs zurückführen wollen; man hat hierbei aber<lb/>
gänzlich übersehn, daß in § 1 Thl. II Tit. 19 des Allgem. Landrechts nur ein<lb/>
Grundsatz ausgesprochen ist, welcher zur Zeit der Abfassung des Landrechts<lb/>
unter den Lehrern des gemeinen Rechts als feststehend galt. Man folgerte<lb/>
diesen Grundsatz aus den Bestimmungen des kanonischen Rechts, namentlich<lb/>
aus esnon 1 vise. 42, van. 8 vise. 47 und ven. 21 vise. 86.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_412" next="#ID_413"> Uebrigens war auch schon in der Verordnung Friedrich Wilhelm I. vom<lb/>
21. Juni 1725 indirect der Grundsatz einer subsidiären Haftung des Staats<lb/>
für die Kosten der Armenpflege anerkannt, denn wenn der König vorschrieb,<lb/>
es solle ihm selbst wegen der erforderlichen Remedur Anzeige geschehen-, falls</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] und denselben auch von anderen Privatpersonen, welche nach besondern Ge¬ setzen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können." Die unmittelbare Ausübung der Armenpflege übertrug jedoch das Land¬ recht den Stadt- und Dorfgemeinden, ganz wie dies im Gesetze von 1715 geschehen war, es ließ nur subsidiarisch die Verpflichtung des Staats ein¬ treten. Im Anschluß an diese Bestimmungen des Allgem. Landrechts ordnete nun das Gesetz vom 3l. December 1842 an, daß den einzelnen Gemeinden respective den selbständigen Rittergütern die Pflege ihrer Armen obliege und daß falls eine Gemeinde oder ein Rittergut nicht im Stande sei, dieser Pflicht zu genügen oder falls sich Arme fänden, die in keinem bestimmten Orte heimathsberechtigt seien, der Landarmenverband subsidiarisch zur Unter- stützung der Armen verpflichtet sein solle. Der Umfang der einzelnen Land¬ armenverbände fällt vielfach mit dem der Provinzen zusammen. Für Ost¬ preußen ist durch Verordnung open Septemper 1864 vorgeschrieben, daß jeder Kreis einen besonderen Landarmenverband für sich bilden soll. Die Armenunterstützung, welche jeder wirklich Hilfsbedürftige zu fordern befugt ist, soll nur den nothdürftigen Unterhalt in sich begreifen. In Be- zug auf die Frage, ob einer bestimmten Person Armenunterstützung zu ge¬ währen und wie hoch solche zu bemessen sei. ist die Competenz der Gerichte vollständig ausgeschlossen und nur die Entscheidung der Verwaltungsbehörden maßgebend. Darüber, ob im Fall des Unvermögens der Landarmenverbände der Staat subsidiarisch die Pflicht der Armenpflege habe, spricht sich das Gesetz vom 31. December 1842 nicht ausdrücklich aus, nur beiläufig erwähnt der § 10 der Zuschüsse, die aus der Staatskasse den Landarmenverbänden zu gewähren seien; man kann daher nicht annehmen, daß die Vorschrift in § 1 Thl. II Tit. 19 des Allgemeinen Landrechts, wonach der Staat subsidiär für die Kosten der Armenpflege zu sorgen hat. aufgehoben sei. Diese Bestimmung des Landrechts hat man in neuerer Zeit vielfach an¬ gegriffen und sie wohl gar auf socialistische oder communistische Anwandlun¬ gen der Verfasser dieses Gesetzbuchs zurückführen wollen; man hat hierbei aber gänzlich übersehn, daß in § 1 Thl. II Tit. 19 des Allgem. Landrechts nur ein Grundsatz ausgesprochen ist, welcher zur Zeit der Abfassung des Landrechts unter den Lehrern des gemeinen Rechts als feststehend galt. Man folgerte diesen Grundsatz aus den Bestimmungen des kanonischen Rechts, namentlich aus esnon 1 vise. 42, van. 8 vise. 47 und ven. 21 vise. 86. Uebrigens war auch schon in der Verordnung Friedrich Wilhelm I. vom 21. Juni 1725 indirect der Grundsatz einer subsidiären Haftung des Staats für die Kosten der Armenpflege anerkannt, denn wenn der König vorschrieb, es solle ihm selbst wegen der erforderlichen Remedur Anzeige geschehen-, falls

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/158>, abgerufen am 02.07.2024.