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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Die brandenburgischen landesherrlichen Verordnungen des siebenzehnten
Jahrhunderts z. B. noch die vom 10. April 1696. 19, November 1698. 1. Juni
1699 sind voll von Klagen über diese hordenweise umherziehenden Bettler,
zu denen sich ost gewerbsmäßige Räuber gesellten und welche durch Dieb¬
stahl, Raub und Brandstiftung die Sicherheit des Eigenthums gefährdeten
und zugleich oft ansteckende Krankheiten verbreiteten.

Unter der Regierung Friedrichs I. wurde nun aber durch eine Anzahl
landesherrlicher Edikte der Versuch gemacht, eine bessere Armenpflege ein¬
zuführen. Es wurden deshalb für die einzelnen Landestheile zahlreiche Ver¬
ordnungen erlassen; einen Abschluß fand die Armengesetzgebung aber erst unter
König Friedrich Wilhelm I. durch die für den Umfang der ganzen Monar¬
chie erlassenen Verordnungen vom 10. Februar 1713 und 21, Juni 1723.
In der erstgedachten Bestimmung ist vorgeschrieben, das Betteln solle künftig
hart bestraft werden, "jede Stadt und Dorf aber ihre Armen nothdürftig
versorgen"; den Obrigkeiten, welche wirklich hilfsbedürftigen Armen die nö¬
thige Unterstützung nicht geben würden, wurden Geldstrafen angedroht und
den Fiscalen zur Pflicht gemacht, aufs Strengste gegen die in Bezug
auf die Armenpflege nachlässigen obrigkeitlichen Personen einzuschreiten. Die
Geistlichen wurden angewiesen, sich solcher Armen, die nicht gehörig unter¬
stützt wurden, anzunehmen und sollten namentlich die Pastoren aus dem Lande
monatlich über den Zustand der Armen in ihrer Gemeinde an die vorgesetzte
geistliche Behörde berichten.

Die Mittel zur Armenpflege sollten durch Collecten beschafft werden, zu
denen Jedermann ein Gewisses "nach Proportion seiner Nahrung und seines
Vermögens" zu zahlen verpflichtet war.

In der Verordnung von 21. Juni 1723 ward die Aufsicht über die
Ortsbehörden in Bezug auf die Armenpflege verschärft und namentlich noch
vorgeschrieben, daß in allen Fällen, wo eine Gemeinde nicht im Stande sei,
für ihre Armen genügend zu sorgen, dem Könige selbst wegen der erforder¬
lichen Remedur Anzeige gesehen solle.

Diese Verordnungen hatten einen außerordentlich wohlthätigen Erfolg,
indem der wirklichen Noth mehr wie früher abgeholfen und das schaaren-
weise Umherziehen der Bettler im Lande, welches der öffentlichen Sicherheit
so nachtheilig gewesen war, fast ganz unterdrückt wurde.

Die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts über Armenpflege schlie¬
ßen sich zwar nicht der Form, aber doch dem Inhalt nach im Wesentlichen an
die beiden gedachten Verordnungen Friedrich Wilhelms I. an. In § 1 Th.
II Tit. 19 stellt das Allgemeine Landrecht das Prinzip auf-

"Dem Staate kommt es zu, für die Ernährung und Verpflegung der¬
jenigen Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen


Die brandenburgischen landesherrlichen Verordnungen des siebenzehnten
Jahrhunderts z. B. noch die vom 10. April 1696. 19, November 1698. 1. Juni
1699 sind voll von Klagen über diese hordenweise umherziehenden Bettler,
zu denen sich ost gewerbsmäßige Räuber gesellten und welche durch Dieb¬
stahl, Raub und Brandstiftung die Sicherheit des Eigenthums gefährdeten
und zugleich oft ansteckende Krankheiten verbreiteten.

Unter der Regierung Friedrichs I. wurde nun aber durch eine Anzahl
landesherrlicher Edikte der Versuch gemacht, eine bessere Armenpflege ein¬
zuführen. Es wurden deshalb für die einzelnen Landestheile zahlreiche Ver¬
ordnungen erlassen; einen Abschluß fand die Armengesetzgebung aber erst unter
König Friedrich Wilhelm I. durch die für den Umfang der ganzen Monar¬
chie erlassenen Verordnungen vom 10. Februar 1713 und 21, Juni 1723.
In der erstgedachten Bestimmung ist vorgeschrieben, das Betteln solle künftig
hart bestraft werden, „jede Stadt und Dorf aber ihre Armen nothdürftig
versorgen"; den Obrigkeiten, welche wirklich hilfsbedürftigen Armen die nö¬
thige Unterstützung nicht geben würden, wurden Geldstrafen angedroht und
den Fiscalen zur Pflicht gemacht, aufs Strengste gegen die in Bezug
auf die Armenpflege nachlässigen obrigkeitlichen Personen einzuschreiten. Die
Geistlichen wurden angewiesen, sich solcher Armen, die nicht gehörig unter¬
stützt wurden, anzunehmen und sollten namentlich die Pastoren aus dem Lande
monatlich über den Zustand der Armen in ihrer Gemeinde an die vorgesetzte
geistliche Behörde berichten.

Die Mittel zur Armenpflege sollten durch Collecten beschafft werden, zu
denen Jedermann ein Gewisses „nach Proportion seiner Nahrung und seines
Vermögens" zu zahlen verpflichtet war.

In der Verordnung von 21. Juni 1723 ward die Aufsicht über die
Ortsbehörden in Bezug auf die Armenpflege verschärft und namentlich noch
vorgeschrieben, daß in allen Fällen, wo eine Gemeinde nicht im Stande sei,
für ihre Armen genügend zu sorgen, dem Könige selbst wegen der erforder¬
lichen Remedur Anzeige gesehen solle.

Diese Verordnungen hatten einen außerordentlich wohlthätigen Erfolg,
indem der wirklichen Noth mehr wie früher abgeholfen und das schaaren-
weise Umherziehen der Bettler im Lande, welches der öffentlichen Sicherheit
so nachtheilig gewesen war, fast ganz unterdrückt wurde.

Die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts über Armenpflege schlie¬
ßen sich zwar nicht der Form, aber doch dem Inhalt nach im Wesentlichen an
die beiden gedachten Verordnungen Friedrich Wilhelms I. an. In § 1 Th.
II Tit. 19 stellt das Allgemeine Landrecht das Prinzip auf-

„Dem Staate kommt es zu, für die Ernährung und Verpflegung der¬
jenigen Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen


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[0157] Die brandenburgischen landesherrlichen Verordnungen des siebenzehnten Jahrhunderts z. B. noch die vom 10. April 1696. 19, November 1698. 1. Juni 1699 sind voll von Klagen über diese hordenweise umherziehenden Bettler, zu denen sich ost gewerbsmäßige Räuber gesellten und welche durch Dieb¬ stahl, Raub und Brandstiftung die Sicherheit des Eigenthums gefährdeten und zugleich oft ansteckende Krankheiten verbreiteten. Unter der Regierung Friedrichs I. wurde nun aber durch eine Anzahl landesherrlicher Edikte der Versuch gemacht, eine bessere Armenpflege ein¬ zuführen. Es wurden deshalb für die einzelnen Landestheile zahlreiche Ver¬ ordnungen erlassen; einen Abschluß fand die Armengesetzgebung aber erst unter König Friedrich Wilhelm I. durch die für den Umfang der ganzen Monar¬ chie erlassenen Verordnungen vom 10. Februar 1713 und 21, Juni 1723. In der erstgedachten Bestimmung ist vorgeschrieben, das Betteln solle künftig hart bestraft werden, „jede Stadt und Dorf aber ihre Armen nothdürftig versorgen"; den Obrigkeiten, welche wirklich hilfsbedürftigen Armen die nö¬ thige Unterstützung nicht geben würden, wurden Geldstrafen angedroht und den Fiscalen zur Pflicht gemacht, aufs Strengste gegen die in Bezug auf die Armenpflege nachlässigen obrigkeitlichen Personen einzuschreiten. Die Geistlichen wurden angewiesen, sich solcher Armen, die nicht gehörig unter¬ stützt wurden, anzunehmen und sollten namentlich die Pastoren aus dem Lande monatlich über den Zustand der Armen in ihrer Gemeinde an die vorgesetzte geistliche Behörde berichten. Die Mittel zur Armenpflege sollten durch Collecten beschafft werden, zu denen Jedermann ein Gewisses „nach Proportion seiner Nahrung und seines Vermögens" zu zahlen verpflichtet war. In der Verordnung von 21. Juni 1723 ward die Aufsicht über die Ortsbehörden in Bezug auf die Armenpflege verschärft und namentlich noch vorgeschrieben, daß in allen Fällen, wo eine Gemeinde nicht im Stande sei, für ihre Armen genügend zu sorgen, dem Könige selbst wegen der erforder¬ lichen Remedur Anzeige gesehen solle. Diese Verordnungen hatten einen außerordentlich wohlthätigen Erfolg, indem der wirklichen Noth mehr wie früher abgeholfen und das schaaren- weise Umherziehen der Bettler im Lande, welches der öffentlichen Sicherheit so nachtheilig gewesen war, fast ganz unterdrückt wurde. Die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts über Armenpflege schlie¬ ßen sich zwar nicht der Form, aber doch dem Inhalt nach im Wesentlichen an die beiden gedachten Verordnungen Friedrich Wilhelms I. an. In § 1 Th. II Tit. 19 stellt das Allgemeine Landrecht das Prinzip auf- „Dem Staate kommt es zu, für die Ernährung und Verpflegung der¬ jenigen Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/157>, abgerufen am 25.07.2024.