Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Träger der nationalen Idee stehen. Die Ueberzeugung, wie es vor allem
und um jeden Preis darauf ankomme, das 1866 begonnene Werk durchzu¬
führen, ist so stark und so zwingend gewesen, daß die noch im Herbst jenes
Jahres vielerwogene Frage nach der persönlichen Stellung der Volkssührer
zur preußischen Regierung eigentlich gar nicht mehr in Betracht kommt. Mag
man sich im einzelnen noch so scharf und erbittert entgegentreten, man weiß,
daß man in der Stunde der Entscheidung auf einander rechnen kann, daß
nur über die Mittel, nicht über den Zweck Meinungsverschiedenheit obwaltet,
und die nationale Partei hat ein ebenso lebhaftes Bewußtsein davon, wie
die Regierung, daß das preußische Königthum und die Nation mit "Blut
und Eisen" aneinander geschmiedet sind. Die Unzufriedenheit in den neuen
Provinzen ist viel zu wenig politischer Natur, um diese Gesundheit des preußi¬
schen Staatswesens anfressen und auf die Dauer schädigen zu können. Die
Fortschrittspartei, deren Einfluß noch vor Jahresfrist viel gefürchtet war, hat
aufgehört eine Gefahr zu sein, seit sie keine selbständige Macht mehr bildet.
Die besten und einflußreichsten ihrer Glieder spielen die Rolle schmollender
Freunde, die, was sie schelten, doch nicht bessern können, der Rest ist in das
radicale Chaos zurück gesunken und sucht wechselsweise bei der kosmopoliti¬
schen Revolution und bei der kleinstaatlichen Reaction Dienste. Der nord¬
deutsche Particularismus zählt trotz des Einflusses, den er in der Presse und
an den Höfen ausübt, nur 21 parlamentarische Vertreter; die Massen, welche
sonst seine Gefolgschaft bildeten, haben sich mehr und mehr in die neugeschaffenen
Verhältnisse gefunden und beginnen schon gegenwärtig einzusehen, daß auf eine
gewaltsame Aenderung nicht zu rechnen ist und daß ihre Interessen bei einer
solchen schlechter fahren würden als bei der Aufrechterhaltung des Lea,tus-<zuo.
Trotz aller Anstrengungen, welche die vertriebenen Fürsten aufgewandt haben,
nimmt die Zahl derer, welche ihnen Opfer zu bringen bereit sind, täglich ab;
zu gelbweißen Kokarden, verstohlen ausgestoßenen Drohworten, im günstigsten
Fall zu in der Tasche geballten Fäusten hat die legitimistische Agitation es
gebracht, sie kennt ihre Pappenheimer aber zu genau, um an den Beutel oder
gar an die heile Haut derselben zu appelliren. In Norddeutschland steht es
thatsächlich so, daß es nur eine Partei gibt, welche einen deutlich ausge¬
sprochenen Willen und die Entschlossenheit hat, für diesen Gut und Blut einzu¬
setzen; die übrigen Fractionen sind entweder zu schwach, um in Betracht zu
kommen, oder sie haben den Muth ihrer Meinung nur, so lange es nicht zum
Handeln kommt.

Sehen wir uns weiter im Kreise der deutschen Regierungen um, so
finden wir, daß keine derselben Fähigkeit. Einfluß und Muth genug besitzt,
um an die Spitze einer Bewegung gegen den neuen Bund treten oder je eine
selbständige Lösung der deutschen Frage versuchen zu können. Das königliche


Träger der nationalen Idee stehen. Die Ueberzeugung, wie es vor allem
und um jeden Preis darauf ankomme, das 1866 begonnene Werk durchzu¬
führen, ist so stark und so zwingend gewesen, daß die noch im Herbst jenes
Jahres vielerwogene Frage nach der persönlichen Stellung der Volkssührer
zur preußischen Regierung eigentlich gar nicht mehr in Betracht kommt. Mag
man sich im einzelnen noch so scharf und erbittert entgegentreten, man weiß,
daß man in der Stunde der Entscheidung auf einander rechnen kann, daß
nur über die Mittel, nicht über den Zweck Meinungsverschiedenheit obwaltet,
und die nationale Partei hat ein ebenso lebhaftes Bewußtsein davon, wie
die Regierung, daß das preußische Königthum und die Nation mit „Blut
und Eisen" aneinander geschmiedet sind. Die Unzufriedenheit in den neuen
Provinzen ist viel zu wenig politischer Natur, um diese Gesundheit des preußi¬
schen Staatswesens anfressen und auf die Dauer schädigen zu können. Die
Fortschrittspartei, deren Einfluß noch vor Jahresfrist viel gefürchtet war, hat
aufgehört eine Gefahr zu sein, seit sie keine selbständige Macht mehr bildet.
Die besten und einflußreichsten ihrer Glieder spielen die Rolle schmollender
Freunde, die, was sie schelten, doch nicht bessern können, der Rest ist in das
radicale Chaos zurück gesunken und sucht wechselsweise bei der kosmopoliti¬
schen Revolution und bei der kleinstaatlichen Reaction Dienste. Der nord¬
deutsche Particularismus zählt trotz des Einflusses, den er in der Presse und
an den Höfen ausübt, nur 21 parlamentarische Vertreter; die Massen, welche
sonst seine Gefolgschaft bildeten, haben sich mehr und mehr in die neugeschaffenen
Verhältnisse gefunden und beginnen schon gegenwärtig einzusehen, daß auf eine
gewaltsame Aenderung nicht zu rechnen ist und daß ihre Interessen bei einer
solchen schlechter fahren würden als bei der Aufrechterhaltung des Lea,tus-<zuo.
Trotz aller Anstrengungen, welche die vertriebenen Fürsten aufgewandt haben,
nimmt die Zahl derer, welche ihnen Opfer zu bringen bereit sind, täglich ab;
zu gelbweißen Kokarden, verstohlen ausgestoßenen Drohworten, im günstigsten
Fall zu in der Tasche geballten Fäusten hat die legitimistische Agitation es
gebracht, sie kennt ihre Pappenheimer aber zu genau, um an den Beutel oder
gar an die heile Haut derselben zu appelliren. In Norddeutschland steht es
thatsächlich so, daß es nur eine Partei gibt, welche einen deutlich ausge¬
sprochenen Willen und die Entschlossenheit hat, für diesen Gut und Blut einzu¬
setzen; die übrigen Fractionen sind entweder zu schwach, um in Betracht zu
kommen, oder sie haben den Muth ihrer Meinung nur, so lange es nicht zum
Handeln kommt.

Sehen wir uns weiter im Kreise der deutschen Regierungen um, so
finden wir, daß keine derselben Fähigkeit. Einfluß und Muth genug besitzt,
um an die Spitze einer Bewegung gegen den neuen Bund treten oder je eine
selbständige Lösung der deutschen Frage versuchen zu können. Das königliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286727"/>
          <p xml:id="ID_14" prev="#ID_13"> Träger der nationalen Idee stehen. Die Ueberzeugung, wie es vor allem<lb/>
und um jeden Preis darauf ankomme, das 1866 begonnene Werk durchzu¬<lb/>
führen, ist so stark und so zwingend gewesen, daß die noch im Herbst jenes<lb/>
Jahres vielerwogene Frage nach der persönlichen Stellung der Volkssührer<lb/>
zur preußischen Regierung eigentlich gar nicht mehr in Betracht kommt. Mag<lb/>
man sich im einzelnen noch so scharf und erbittert entgegentreten, man weiß,<lb/>
daß man in der Stunde der Entscheidung auf einander rechnen kann, daß<lb/>
nur über die Mittel, nicht über den Zweck Meinungsverschiedenheit obwaltet,<lb/>
und die nationale Partei hat ein ebenso lebhaftes Bewußtsein davon, wie<lb/>
die Regierung, daß das preußische Königthum und die Nation mit &#x201E;Blut<lb/>
und Eisen" aneinander geschmiedet sind. Die Unzufriedenheit in den neuen<lb/>
Provinzen ist viel zu wenig politischer Natur, um diese Gesundheit des preußi¬<lb/>
schen Staatswesens anfressen und auf die Dauer schädigen zu können. Die<lb/>
Fortschrittspartei, deren Einfluß noch vor Jahresfrist viel gefürchtet war, hat<lb/>
aufgehört eine Gefahr zu sein, seit sie keine selbständige Macht mehr bildet.<lb/>
Die besten und einflußreichsten ihrer Glieder spielen die Rolle schmollender<lb/>
Freunde, die, was sie schelten, doch nicht bessern können, der Rest ist in das<lb/>
radicale Chaos zurück gesunken und sucht wechselsweise bei der kosmopoliti¬<lb/>
schen Revolution und bei der kleinstaatlichen Reaction Dienste. Der nord¬<lb/>
deutsche Particularismus zählt trotz des Einflusses, den er in der Presse und<lb/>
an den Höfen ausübt, nur 21 parlamentarische Vertreter; die Massen, welche<lb/>
sonst seine Gefolgschaft bildeten, haben sich mehr und mehr in die neugeschaffenen<lb/>
Verhältnisse gefunden und beginnen schon gegenwärtig einzusehen, daß auf eine<lb/>
gewaltsame Aenderung nicht zu rechnen ist und daß ihre Interessen bei einer<lb/>
solchen schlechter fahren würden als bei der Aufrechterhaltung des Lea,tus-&lt;zuo.<lb/>
Trotz aller Anstrengungen, welche die vertriebenen Fürsten aufgewandt haben,<lb/>
nimmt die Zahl derer, welche ihnen Opfer zu bringen bereit sind, täglich ab;<lb/>
zu gelbweißen Kokarden, verstohlen ausgestoßenen Drohworten, im günstigsten<lb/>
Fall zu in der Tasche geballten Fäusten hat die legitimistische Agitation es<lb/>
gebracht, sie kennt ihre Pappenheimer aber zu genau, um an den Beutel oder<lb/>
gar an die heile Haut derselben zu appelliren. In Norddeutschland steht es<lb/>
thatsächlich so, daß es nur eine Partei gibt, welche einen deutlich ausge¬<lb/>
sprochenen Willen und die Entschlossenheit hat, für diesen Gut und Blut einzu¬<lb/>
setzen; die übrigen Fractionen sind entweder zu schwach, um in Betracht zu<lb/>
kommen, oder sie haben den Muth ihrer Meinung nur, so lange es nicht zum<lb/>
Handeln kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_15" next="#ID_16"> Sehen wir uns weiter im Kreise der deutschen Regierungen um, so<lb/>
finden wir, daß keine derselben Fähigkeit. Einfluß und Muth genug besitzt,<lb/>
um an die Spitze einer Bewegung gegen den neuen Bund treten oder je eine<lb/>
selbständige Lösung der deutschen Frage versuchen zu können. Das königliche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Träger der nationalen Idee stehen. Die Ueberzeugung, wie es vor allem und um jeden Preis darauf ankomme, das 1866 begonnene Werk durchzu¬ führen, ist so stark und so zwingend gewesen, daß die noch im Herbst jenes Jahres vielerwogene Frage nach der persönlichen Stellung der Volkssührer zur preußischen Regierung eigentlich gar nicht mehr in Betracht kommt. Mag man sich im einzelnen noch so scharf und erbittert entgegentreten, man weiß, daß man in der Stunde der Entscheidung auf einander rechnen kann, daß nur über die Mittel, nicht über den Zweck Meinungsverschiedenheit obwaltet, und die nationale Partei hat ein ebenso lebhaftes Bewußtsein davon, wie die Regierung, daß das preußische Königthum und die Nation mit „Blut und Eisen" aneinander geschmiedet sind. Die Unzufriedenheit in den neuen Provinzen ist viel zu wenig politischer Natur, um diese Gesundheit des preußi¬ schen Staatswesens anfressen und auf die Dauer schädigen zu können. Die Fortschrittspartei, deren Einfluß noch vor Jahresfrist viel gefürchtet war, hat aufgehört eine Gefahr zu sein, seit sie keine selbständige Macht mehr bildet. Die besten und einflußreichsten ihrer Glieder spielen die Rolle schmollender Freunde, die, was sie schelten, doch nicht bessern können, der Rest ist in das radicale Chaos zurück gesunken und sucht wechselsweise bei der kosmopoliti¬ schen Revolution und bei der kleinstaatlichen Reaction Dienste. Der nord¬ deutsche Particularismus zählt trotz des Einflusses, den er in der Presse und an den Höfen ausübt, nur 21 parlamentarische Vertreter; die Massen, welche sonst seine Gefolgschaft bildeten, haben sich mehr und mehr in die neugeschaffenen Verhältnisse gefunden und beginnen schon gegenwärtig einzusehen, daß auf eine gewaltsame Aenderung nicht zu rechnen ist und daß ihre Interessen bei einer solchen schlechter fahren würden als bei der Aufrechterhaltung des Lea,tus-<zuo. Trotz aller Anstrengungen, welche die vertriebenen Fürsten aufgewandt haben, nimmt die Zahl derer, welche ihnen Opfer zu bringen bereit sind, täglich ab; zu gelbweißen Kokarden, verstohlen ausgestoßenen Drohworten, im günstigsten Fall zu in der Tasche geballten Fäusten hat die legitimistische Agitation es gebracht, sie kennt ihre Pappenheimer aber zu genau, um an den Beutel oder gar an die heile Haut derselben zu appelliren. In Norddeutschland steht es thatsächlich so, daß es nur eine Partei gibt, welche einen deutlich ausge¬ sprochenen Willen und die Entschlossenheit hat, für diesen Gut und Blut einzu¬ setzen; die übrigen Fractionen sind entweder zu schwach, um in Betracht zu kommen, oder sie haben den Muth ihrer Meinung nur, so lange es nicht zum Handeln kommt. Sehen wir uns weiter im Kreise der deutschen Regierungen um, so finden wir, daß keine derselben Fähigkeit. Einfluß und Muth genug besitzt, um an die Spitze einer Bewegung gegen den neuen Bund treten oder je eine selbständige Lösung der deutschen Frage versuchen zu können. Das königliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/15>, abgerufen am 30.06.2024.