Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Volks behalten hätte, noch daß die Opferbereitschaft der kleinen Staaten und
ihrer Höfe zugenommen hat, noch daß von den Schranken, welche der Krieg
von 1866 bestehen ließ, eine gefallen ist. "Doch sah ich manches Auge
stammen und klopfen hört' ich manches Herz", ist heute wie damals der Trost
derer, welche ihre Hoffnungen für die Einigung des Vaterlandes auf das
"unabweisliche" Verständigungs- und Einigungsbedürfniß der Nation
gründen.

Wenn wir keine anderen Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Situa¬
tion hätten, als diese, es stünde schlimm mit unseren Aussichten in die Zukunft.
Daß diese Zukunft aber nicht von den wechselnden Strömungen des Tages ab¬
hängig ist, -- das ist's wofür das Jahr 1866, wofür der Tag von Königgrätz
uns ein für allemal Bürgschaft geleistet hat. Nicht darauf kommt es an,
daß der nationale Gedanke die leitende Stimmung des Volkes ist, sondern dar¬
auf, daß hinter diesem Gedanken ein starker Wille, eine reale Macht steht,
an welche sich im entscheidenden Augenblick diejenigen anlehnen können, welche
nicht nur überhaupt, sondern immer wissen, was sie wollen. Deutlicher wie
irgend ein anderer Abschnitt der deutschen Geschichte hat der jüngste gezeigt,
was der Besitz einer solchen Macht werth ist, selbst für diejenigen, welche
ihn thöricht oder böswillig bekämpfen.

Der auf tausend verschiedene Punkte zersplitterte Kampf der deutschen
Parteien hat sich seit 1866 um die eine Frage concentrirt: für Preußen oder
wider Preußen. So leidenschaftlich Radicale und Conservative des Südens
auch bemüht sind, die gesammtdeutsche Bedeutung des Tages von König¬
grätz zu leugnen und die Stiftung des neuen Bundes als bloße Erweiterung
der preußischen Machtsphäre herabzusetzen, -- ihr gesäumtes öffentliches Leben
bewegt sich nur noch um die Entscheidung darüber, ob auf der im Norden
gewonnenen Grundlage fortzubauen ist oder nicht, alle anderen Unterschiede
sind verblaßt, der Mann, der im politischen Leben mitreden will, wird nur
noch darnach gefragt, ob er für oder wider Preußen ist. Jene grenzenlose
Verwirrung der Begriffe, welche von 1839 bis 1866 ihr Wesen trieb und
täglich neue Blasen warf, die gestern schwarz-roth, heute schwarz-roth-gold.
morgen roth schillerten, sie hat ein Ende genommen und einer gesunden
Währung Platz gemacht; die Kämpfer welche sich südlich vom Main gegen¬
überstehen, streiten nicht mehr um Theorien und Systeme, sondern um Gegen¬
sätze höchst realer Natur, um Dinge, die Fleisch und Bein haben und die
jedes Kind mit Händen greifen kann. Im Norden hat sich der gleiche Pro¬
zeß noch rascher und noch energischer vollzogen. Weder die alten Parteigegen¬
sätze, noch die Verstimmungen, welche hie und da das Verhältniß des Bundes¬
kanzlers zu den einzelnen Fraktionen trübten, haben hindern können, daß
Liberale und Conservative in einer unabsehbaren Schlachtreihe hinter dem


Volks behalten hätte, noch daß die Opferbereitschaft der kleinen Staaten und
ihrer Höfe zugenommen hat, noch daß von den Schranken, welche der Krieg
von 1866 bestehen ließ, eine gefallen ist. „Doch sah ich manches Auge
stammen und klopfen hört' ich manches Herz", ist heute wie damals der Trost
derer, welche ihre Hoffnungen für die Einigung des Vaterlandes auf das
„unabweisliche" Verständigungs- und Einigungsbedürfniß der Nation
gründen.

Wenn wir keine anderen Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Situa¬
tion hätten, als diese, es stünde schlimm mit unseren Aussichten in die Zukunft.
Daß diese Zukunft aber nicht von den wechselnden Strömungen des Tages ab¬
hängig ist, — das ist's wofür das Jahr 1866, wofür der Tag von Königgrätz
uns ein für allemal Bürgschaft geleistet hat. Nicht darauf kommt es an,
daß der nationale Gedanke die leitende Stimmung des Volkes ist, sondern dar¬
auf, daß hinter diesem Gedanken ein starker Wille, eine reale Macht steht,
an welche sich im entscheidenden Augenblick diejenigen anlehnen können, welche
nicht nur überhaupt, sondern immer wissen, was sie wollen. Deutlicher wie
irgend ein anderer Abschnitt der deutschen Geschichte hat der jüngste gezeigt,
was der Besitz einer solchen Macht werth ist, selbst für diejenigen, welche
ihn thöricht oder böswillig bekämpfen.

Der auf tausend verschiedene Punkte zersplitterte Kampf der deutschen
Parteien hat sich seit 1866 um die eine Frage concentrirt: für Preußen oder
wider Preußen. So leidenschaftlich Radicale und Conservative des Südens
auch bemüht sind, die gesammtdeutsche Bedeutung des Tages von König¬
grätz zu leugnen und die Stiftung des neuen Bundes als bloße Erweiterung
der preußischen Machtsphäre herabzusetzen, — ihr gesäumtes öffentliches Leben
bewegt sich nur noch um die Entscheidung darüber, ob auf der im Norden
gewonnenen Grundlage fortzubauen ist oder nicht, alle anderen Unterschiede
sind verblaßt, der Mann, der im politischen Leben mitreden will, wird nur
noch darnach gefragt, ob er für oder wider Preußen ist. Jene grenzenlose
Verwirrung der Begriffe, welche von 1839 bis 1866 ihr Wesen trieb und
täglich neue Blasen warf, die gestern schwarz-roth, heute schwarz-roth-gold.
morgen roth schillerten, sie hat ein Ende genommen und einer gesunden
Währung Platz gemacht; die Kämpfer welche sich südlich vom Main gegen¬
überstehen, streiten nicht mehr um Theorien und Systeme, sondern um Gegen¬
sätze höchst realer Natur, um Dinge, die Fleisch und Bein haben und die
jedes Kind mit Händen greifen kann. Im Norden hat sich der gleiche Pro¬
zeß noch rascher und noch energischer vollzogen. Weder die alten Parteigegen¬
sätze, noch die Verstimmungen, welche hie und da das Verhältniß des Bundes¬
kanzlers zu den einzelnen Fraktionen trübten, haben hindern können, daß
Liberale und Conservative in einer unabsehbaren Schlachtreihe hinter dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286726"/>
          <p xml:id="ID_11" prev="#ID_10"> Volks behalten hätte, noch daß die Opferbereitschaft der kleinen Staaten und<lb/>
ihrer Höfe zugenommen hat, noch daß von den Schranken, welche der Krieg<lb/>
von 1866 bestehen ließ, eine gefallen ist. &#x201E;Doch sah ich manches Auge<lb/>
stammen und klopfen hört' ich manches Herz", ist heute wie damals der Trost<lb/>
derer, welche ihre Hoffnungen für die Einigung des Vaterlandes auf das<lb/>
&#x201E;unabweisliche" Verständigungs- und Einigungsbedürfniß der Nation<lb/>
gründen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_12"> Wenn wir keine anderen Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Situa¬<lb/>
tion hätten, als diese, es stünde schlimm mit unseren Aussichten in die Zukunft.<lb/>
Daß diese Zukunft aber nicht von den wechselnden Strömungen des Tages ab¬<lb/>
hängig ist, &#x2014; das ist's wofür das Jahr 1866, wofür der Tag von Königgrätz<lb/>
uns ein für allemal Bürgschaft geleistet hat. Nicht darauf kommt es an,<lb/>
daß der nationale Gedanke die leitende Stimmung des Volkes ist, sondern dar¬<lb/>
auf, daß hinter diesem Gedanken ein starker Wille, eine reale Macht steht,<lb/>
an welche sich im entscheidenden Augenblick diejenigen anlehnen können, welche<lb/>
nicht nur überhaupt, sondern immer wissen, was sie wollen. Deutlicher wie<lb/>
irgend ein anderer Abschnitt der deutschen Geschichte hat der jüngste gezeigt,<lb/>
was der Besitz einer solchen Macht werth ist, selbst für diejenigen, welche<lb/>
ihn thöricht oder böswillig bekämpfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_13" next="#ID_14"> Der auf tausend verschiedene Punkte zersplitterte Kampf der deutschen<lb/>
Parteien hat sich seit 1866 um die eine Frage concentrirt: für Preußen oder<lb/>
wider Preußen. So leidenschaftlich Radicale und Conservative des Südens<lb/>
auch bemüht sind, die gesammtdeutsche Bedeutung des Tages von König¬<lb/>
grätz zu leugnen und die Stiftung des neuen Bundes als bloße Erweiterung<lb/>
der preußischen Machtsphäre herabzusetzen, &#x2014; ihr gesäumtes öffentliches Leben<lb/>
bewegt sich nur noch um die Entscheidung darüber, ob auf der im Norden<lb/>
gewonnenen Grundlage fortzubauen ist oder nicht, alle anderen Unterschiede<lb/>
sind verblaßt, der Mann, der im politischen Leben mitreden will, wird nur<lb/>
noch darnach gefragt, ob er für oder wider Preußen ist. Jene grenzenlose<lb/>
Verwirrung der Begriffe, welche von 1839 bis 1866 ihr Wesen trieb und<lb/>
täglich neue Blasen warf, die gestern schwarz-roth, heute schwarz-roth-gold.<lb/>
morgen roth schillerten, sie hat ein Ende genommen und einer gesunden<lb/>
Währung Platz gemacht; die Kämpfer welche sich südlich vom Main gegen¬<lb/>
überstehen, streiten nicht mehr um Theorien und Systeme, sondern um Gegen¬<lb/>
sätze höchst realer Natur, um Dinge, die Fleisch und Bein haben und die<lb/>
jedes Kind mit Händen greifen kann. Im Norden hat sich der gleiche Pro¬<lb/>
zeß noch rascher und noch energischer vollzogen. Weder die alten Parteigegen¬<lb/>
sätze, noch die Verstimmungen, welche hie und da das Verhältniß des Bundes¬<lb/>
kanzlers zu den einzelnen Fraktionen trübten, haben hindern können, daß<lb/>
Liberale und Conservative in einer unabsehbaren Schlachtreihe hinter dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0014] Volks behalten hätte, noch daß die Opferbereitschaft der kleinen Staaten und ihrer Höfe zugenommen hat, noch daß von den Schranken, welche der Krieg von 1866 bestehen ließ, eine gefallen ist. „Doch sah ich manches Auge stammen und klopfen hört' ich manches Herz", ist heute wie damals der Trost derer, welche ihre Hoffnungen für die Einigung des Vaterlandes auf das „unabweisliche" Verständigungs- und Einigungsbedürfniß der Nation gründen. Wenn wir keine anderen Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Situa¬ tion hätten, als diese, es stünde schlimm mit unseren Aussichten in die Zukunft. Daß diese Zukunft aber nicht von den wechselnden Strömungen des Tages ab¬ hängig ist, — das ist's wofür das Jahr 1866, wofür der Tag von Königgrätz uns ein für allemal Bürgschaft geleistet hat. Nicht darauf kommt es an, daß der nationale Gedanke die leitende Stimmung des Volkes ist, sondern dar¬ auf, daß hinter diesem Gedanken ein starker Wille, eine reale Macht steht, an welche sich im entscheidenden Augenblick diejenigen anlehnen können, welche nicht nur überhaupt, sondern immer wissen, was sie wollen. Deutlicher wie irgend ein anderer Abschnitt der deutschen Geschichte hat der jüngste gezeigt, was der Besitz einer solchen Macht werth ist, selbst für diejenigen, welche ihn thöricht oder böswillig bekämpfen. Der auf tausend verschiedene Punkte zersplitterte Kampf der deutschen Parteien hat sich seit 1866 um die eine Frage concentrirt: für Preußen oder wider Preußen. So leidenschaftlich Radicale und Conservative des Südens auch bemüht sind, die gesammtdeutsche Bedeutung des Tages von König¬ grätz zu leugnen und die Stiftung des neuen Bundes als bloße Erweiterung der preußischen Machtsphäre herabzusetzen, — ihr gesäumtes öffentliches Leben bewegt sich nur noch um die Entscheidung darüber, ob auf der im Norden gewonnenen Grundlage fortzubauen ist oder nicht, alle anderen Unterschiede sind verblaßt, der Mann, der im politischen Leben mitreden will, wird nur noch darnach gefragt, ob er für oder wider Preußen ist. Jene grenzenlose Verwirrung der Begriffe, welche von 1839 bis 1866 ihr Wesen trieb und täglich neue Blasen warf, die gestern schwarz-roth, heute schwarz-roth-gold. morgen roth schillerten, sie hat ein Ende genommen und einer gesunden Währung Platz gemacht; die Kämpfer welche sich südlich vom Main gegen¬ überstehen, streiten nicht mehr um Theorien und Systeme, sondern um Gegen¬ sätze höchst realer Natur, um Dinge, die Fleisch und Bein haben und die jedes Kind mit Händen greifen kann. Im Norden hat sich der gleiche Pro¬ zeß noch rascher und noch energischer vollzogen. Weder die alten Parteigegen¬ sätze, noch die Verstimmungen, welche hie und da das Verhältniß des Bundes¬ kanzlers zu den einzelnen Fraktionen trübten, haben hindern können, daß Liberale und Conservative in einer unabsehbaren Schlachtreihe hinter dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/14
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/14>, abgerufen am 30.06.2024.