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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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hundert Meilen Ausdehnung war in Bewegung. Selbst in Kabul regten
sich Sympathien, vielleicht wurde dort sogar Hülfe versprochen. Auch nach
dem englischen Gebiete verbreitete sich die Ansteckung; in den Dörfern un¬
ten in der Ebene lagen Verwundete, von denen man wußte, daß sie gegen
uns gefochten hatten. Außerdem gab es aber noch eine größere Gefahr.
Man mußte für die Disciplin und Treue der einheimischen Regimenter
fürchten.

Der schon erwähnte Major James, auf dem Kriegsschauplatze anwesend,
erwartete den Ausbruch eines Krieges mit Afghanistan. Auf seine Berichte
über die Sachlage hin gab die Regierung zu Lahore die Ermächtigung zum
Rückzüge in die Ebene. Lord Elgin, der Generalgouvemeur von Indien,
lag damals im Sterben und der Localgouverneur fürchtete die Verantwor¬
tung. Die Sache wurde dabei für so ernst gehalten, daß der Oberbefehls¬
haber Sir Hugh Rose sich vom Sterbebette Lord Elgin's nach Lahore begab,
um den Ereignissen nahe zu sein. Er befürwortete bei der Centralregierung
in Calcutta die Fortsetzung des Kampfes und ordnete zugleich das nachrücken
starker Reserven an. Diese Regierung war dennoch im Begriff das Aufhören des
Kampfes zu decretiren, als der neue Generalgouvemeur in Calcutta anlangte
und die Fortführung desselben anordnete. Bis zum Is. December waren
weitere 5000 Mann Truppen in dem Engpaß versammelt. Nun konnten die
Engländer zur Offensive übergehen und schlugen ihre Gegner in zwei Ge¬
fechten. Dann aber benutzten sie schleunigst das Anerbieten einer der ihnen
gegenüber stehenden Tribus, deren Gebiet durch den Krieg besonders gelit¬
ten hatte und machten mit ihr Frieden. Die Bedingungen desselben werden
verschwiegen, aber es gehörte zu denselben, daß die Bonairs selbst die Zer¬
störung des den Engländern unangenehmen Hauptsitzes der Fanatiker, eines
Dorfes im Innern der Gebirge, übernahmen. Diese Verwüstung fand am
Tage darauf unter Aufsicht englischer Offiziere statt. Das Dorf war von
seinen Einwohnern, vermuthlich auf Verabredung mit den Bonairs, verlassen
und wurde verbrannt. Der Schlußact des Krieges wurde von einer Anzahl
von Bergbewohnern mit angesehen, die sich allmählich auf dem Platz versam¬
melten und den Brand beobachteten. Sorge und Zorn lag auf ihren Ge¬
sichtern. In ihren Dörfern waren viele frische Gräber von Gefallenen, und
was sie tief erregte, war die Anwesenheit von Engländern in dieser von
denselben bisher freigebliebenen Gegend. Da die Möglichkeit vorlag, daß es
zu Feindseligkeiten kommen konnte, wurden sie von dem englischen Commissär
und einem einflußreichen Chef der Bonairs nachdrücklich vermahnt und schlie߬
lich gingen sie schweigend und verdrossen nach Hause."

Unmittelbar nach diesem Act der Vergeltung wurde von den Engländern
der Rückzug in die Ebene angetreten.


hundert Meilen Ausdehnung war in Bewegung. Selbst in Kabul regten
sich Sympathien, vielleicht wurde dort sogar Hülfe versprochen. Auch nach
dem englischen Gebiete verbreitete sich die Ansteckung; in den Dörfern un¬
ten in der Ebene lagen Verwundete, von denen man wußte, daß sie gegen
uns gefochten hatten. Außerdem gab es aber noch eine größere Gefahr.
Man mußte für die Disciplin und Treue der einheimischen Regimenter
fürchten.

Der schon erwähnte Major James, auf dem Kriegsschauplatze anwesend,
erwartete den Ausbruch eines Krieges mit Afghanistan. Auf seine Berichte
über die Sachlage hin gab die Regierung zu Lahore die Ermächtigung zum
Rückzüge in die Ebene. Lord Elgin, der Generalgouvemeur von Indien,
lag damals im Sterben und der Localgouverneur fürchtete die Verantwor¬
tung. Die Sache wurde dabei für so ernst gehalten, daß der Oberbefehls¬
haber Sir Hugh Rose sich vom Sterbebette Lord Elgin's nach Lahore begab,
um den Ereignissen nahe zu sein. Er befürwortete bei der Centralregierung
in Calcutta die Fortsetzung des Kampfes und ordnete zugleich das nachrücken
starker Reserven an. Diese Regierung war dennoch im Begriff das Aufhören des
Kampfes zu decretiren, als der neue Generalgouvemeur in Calcutta anlangte
und die Fortführung desselben anordnete. Bis zum Is. December waren
weitere 5000 Mann Truppen in dem Engpaß versammelt. Nun konnten die
Engländer zur Offensive übergehen und schlugen ihre Gegner in zwei Ge¬
fechten. Dann aber benutzten sie schleunigst das Anerbieten einer der ihnen
gegenüber stehenden Tribus, deren Gebiet durch den Krieg besonders gelit¬
ten hatte und machten mit ihr Frieden. Die Bedingungen desselben werden
verschwiegen, aber es gehörte zu denselben, daß die Bonairs selbst die Zer¬
störung des den Engländern unangenehmen Hauptsitzes der Fanatiker, eines
Dorfes im Innern der Gebirge, übernahmen. Diese Verwüstung fand am
Tage darauf unter Aufsicht englischer Offiziere statt. Das Dorf war von
seinen Einwohnern, vermuthlich auf Verabredung mit den Bonairs, verlassen
und wurde verbrannt. Der Schlußact des Krieges wurde von einer Anzahl
von Bergbewohnern mit angesehen, die sich allmählich auf dem Platz versam¬
melten und den Brand beobachteten. Sorge und Zorn lag auf ihren Ge¬
sichtern. In ihren Dörfern waren viele frische Gräber von Gefallenen, und
was sie tief erregte, war die Anwesenheit von Engländern in dieser von
denselben bisher freigebliebenen Gegend. Da die Möglichkeit vorlag, daß es
zu Feindseligkeiten kommen konnte, wurden sie von dem englischen Commissär
und einem einflußreichen Chef der Bonairs nachdrücklich vermahnt und schlie߬
lich gingen sie schweigend und verdrossen nach Hause."

Unmittelbar nach diesem Act der Vergeltung wurde von den Engländern
der Rückzug in die Ebene angetreten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/143>, abgerufen am 02.07.2024.