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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Die beiden schon genannten Flankenposten wurden ihnen wiederholt ent¬
rissen, und es blieb nichts weiter übrig, als die besten englischen Truppen
gegen die eigenen von den Afghanen eroberten Verschanzungen den Berg hin¬
auf attakiren zu lassen. Zwischendurch traten Waffenstillstande ein, um die
Todten zu begraben, bei denen sich die Afghanen höflich und entgegenkom¬
mend, aber keiriesweges gedemüthigt zeigten. Nach kurzer Zeit waren ihrer
13--20000 auf dem Fleck versammelt. Ein geistliches Oberhaupt der Nach¬
barschaft, das großes Ansehen unter den Eingebornen genoß, hatte sich offen
für seine Landsleute ausgesprochen, die Sistirung aller Stammfeindseligkeiten
proclamirt und einen Mahnruf zum Kampf gegen die Ungläubigen ergehen
lassen. Schließlich, gegen Mitte November, wurde es nöthig, die Stellung
im Thal ganz aufzugeben; man zog in aller Stille das linke Flügeldetache-
ment ein und rückte, wie es scheint, in der Nacht (gesagt wird es nicht) auf
den Berg zur rechten, wo wieder geschanzt wurde. Es war die höchste Zeit:
die englischen Truppen waren durch die fortwährenden Kämpfe in einer Übeln,
von allen Seiten beschossenen Position unruhig geworden und begannen, ihre
Stimmung zu verlieren. Unterdessen ging am 20. November der "Felsen¬
gipfel" noch einmal verloren und mußte, vom 71. Schottländerregiment, das
seinen Obersten dabei einbüßte, mit dem Bajonett genommen werden. Der
General Chamberlain, der bei dieser Affaire selbst schwer verwundet wurde,
berichtet:

"Am Morgen des 20. zeigten sich die Feinde in großer Anzahl auf den
Höhen, die den "Felsengipfel" überragten, welcher von 100 Mann des 10.
Füsilierregiments und von 100 Mann des 10. Pendjabregiments besetzt wär.
Der Angriff dauerte mehrere Stunden und die Afghanen rückten sahki-eßlich
bis auf wenige Schritte vor den Brustwehren heran. Plötzlich um 3 Uhr,
verursacht durch ein unerklärliches Benehmen der Besatzung, gewannen sie
Besitz von der Bergspitze. Der untere Theil der Position wurde noch gehal¬
ten, bis zwei Drittel der Mannschaften verwundet oder gefallen waren. So
wurde zum dritten Male dieses dominirende Außenwerk verloren. Die Feinde,
begeistert durch ihren Erfolg, erhoben ein Triumphgeschrei, das von den be¬
nachbarten Hügeln wiederholt wurde, von denen man den Rückzug der Eng¬
länder sehen konnte.

"Hätten die Afghanen ahnen können" sagt der Verfasser, "wel¬
chen Eindruck dieser Sieg selbst in Lahors (60 deutsche Meilen ent-
fernt) gemacht hatte, sie würden ihre Angriffe energisch wieder¬
holt haben. Die militärische Position war bedenklich, die
politische vielleicht noch weniger glückverheißend. Unser Marsch
jenseits der Grenze hatte nicht allein die Völkerstämme der unmittelbaren
Nachbarschaft in Aufregung gebracht, sondern die ganze Grenze auf mehrere


Die beiden schon genannten Flankenposten wurden ihnen wiederholt ent¬
rissen, und es blieb nichts weiter übrig, als die besten englischen Truppen
gegen die eigenen von den Afghanen eroberten Verschanzungen den Berg hin¬
auf attakiren zu lassen. Zwischendurch traten Waffenstillstande ein, um die
Todten zu begraben, bei denen sich die Afghanen höflich und entgegenkom¬
mend, aber keiriesweges gedemüthigt zeigten. Nach kurzer Zeit waren ihrer
13—20000 auf dem Fleck versammelt. Ein geistliches Oberhaupt der Nach¬
barschaft, das großes Ansehen unter den Eingebornen genoß, hatte sich offen
für seine Landsleute ausgesprochen, die Sistirung aller Stammfeindseligkeiten
proclamirt und einen Mahnruf zum Kampf gegen die Ungläubigen ergehen
lassen. Schließlich, gegen Mitte November, wurde es nöthig, die Stellung
im Thal ganz aufzugeben; man zog in aller Stille das linke Flügeldetache-
ment ein und rückte, wie es scheint, in der Nacht (gesagt wird es nicht) auf
den Berg zur rechten, wo wieder geschanzt wurde. Es war die höchste Zeit:
die englischen Truppen waren durch die fortwährenden Kämpfe in einer Übeln,
von allen Seiten beschossenen Position unruhig geworden und begannen, ihre
Stimmung zu verlieren. Unterdessen ging am 20. November der „Felsen¬
gipfel" noch einmal verloren und mußte, vom 71. Schottländerregiment, das
seinen Obersten dabei einbüßte, mit dem Bajonett genommen werden. Der
General Chamberlain, der bei dieser Affaire selbst schwer verwundet wurde,
berichtet:

„Am Morgen des 20. zeigten sich die Feinde in großer Anzahl auf den
Höhen, die den „Felsengipfel" überragten, welcher von 100 Mann des 10.
Füsilierregiments und von 100 Mann des 10. Pendjabregiments besetzt wär.
Der Angriff dauerte mehrere Stunden und die Afghanen rückten sahki-eßlich
bis auf wenige Schritte vor den Brustwehren heran. Plötzlich um 3 Uhr,
verursacht durch ein unerklärliches Benehmen der Besatzung, gewannen sie
Besitz von der Bergspitze. Der untere Theil der Position wurde noch gehal¬
ten, bis zwei Drittel der Mannschaften verwundet oder gefallen waren. So
wurde zum dritten Male dieses dominirende Außenwerk verloren. Die Feinde,
begeistert durch ihren Erfolg, erhoben ein Triumphgeschrei, das von den be¬
nachbarten Hügeln wiederholt wurde, von denen man den Rückzug der Eng¬
länder sehen konnte.

„Hätten die Afghanen ahnen können" sagt der Verfasser, „wel¬
chen Eindruck dieser Sieg selbst in Lahors (60 deutsche Meilen ent-
fernt) gemacht hatte, sie würden ihre Angriffe energisch wieder¬
holt haben. Die militärische Position war bedenklich, die
politische vielleicht noch weniger glückverheißend. Unser Marsch
jenseits der Grenze hatte nicht allein die Völkerstämme der unmittelbaren
Nachbarschaft in Aufregung gebracht, sondern die ganze Grenze auf mehrere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/142>, abgerufen am 02.07.2024.