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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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täglich Räubereien verübte, bereits mit zwei benachbarten Stämmen in Ver¬
bindung getreten sei und wenn man nicht aggressiv vorgehe, eine Vereinigung
der sämmtlichen umliegenden Gebirgsvölker gegen die englische Negierung zu
befürchten stehe. Diese Gründe wirkten. Es wurde eine Truppe von 3000
Mann Infanterie nebst der entsprechenden Artillerie und Reiterei eilfertig
zur Disposition gestellt und trotz der Warnungen des Oberstkommandirenden
in Indien. Sir Hugh Rose, der diese Kräfte für nicht ausreichend erachtete, beschlos¬
sen, schleunigst zu agiren. Die Campagne war auf eine Dauer von drei Wochen
veranschlagt. Man wollte durch einen Flankenmarsch ein enges felsiges Ge¬
birgsthal aufwärts dringen, die hinter dem Thal belegene Hochebene besetzen,
dadurch den Zuzug der benachbarten Stämme zu den zu schlagenden Sec-
tirern absperren, dann eine Rechtsschwenkung machen, den Gebirgszug hinauf¬
steigen und die feindlichen Ortschaften im Rücken fassen, diese zerstören und
dann sofort wieder abmarschiren. Der Plan war nicht übel, aber die un¬
glückliche seit dem Krimkriege nicht geänderte Einrichtung des Transport¬
wesens machte in der Folge die Ausführung unmöglich. Es ist bekannt,
in wie unendlich schwerfälliger Weise die englischen Truppen in Indien
marschiren; ihr Troß übersteigt regelmäßig bei weitem die Zahl der Kämpfer.
Dies war auch hier in einem gemäßigteren Klima und einer kühlen Jahres¬
zeit wieder der Fall. Man verlor die erste Hälfte des Oetober 1862 mit
dem langsamen Zusammenziehen der Regimenter und ließ den Afghanen Zeit,
ihre Vorkehrungen zu treffen. Am 20. rückte der General Chamberlain in
den als Weg ausgesuchten Umbeyla-Paß ein, aber statt mit aller Energie
sofort auf die Hochebene durchzudringen, mußte er am Abend des ersten
Tages vor dem Ende des Passes in dem engen Thal zwischen sechstausend
Fuß hohen Bergrücken halt machen, weil der unendliche Troß das felsige
Bett des im Thalwege fließenden Baches, die einzige Straße, sperrte. Auch
zwei Tage später kam er nicht vorwärts. Eine thalaufwärts gemachte Re-
cognoscirung zeigte hier bereits das ganze Land in Bewegung. Am 23.
war er gezwungen sich in der ersten Stellung zu verschanzen, Brustwehren
vor seiner Front aufzuwerfen, seine Flanken, die Bergwände links und rechts
aufwärts durch starke Posten, die er später Felsengipfel und Adlernest genannt
hat, zu sichern und auch diese zu befestigen.

Es klingt unglaublich, aber in dieser eigentlich unmöglichen Position,
die von allen Seiten eingesehen und flankirt werden konnte, ist er einen Monat
lang von irregulären, in keiner Weise organisirten und schlecht bewaffneten Leu-
ten aufgehalten worden, welche die Engländer selbst Barbaren genannt haben.
Bei Tag und bei Nacht, bald in der Front, bald in den Flanken wurde
die Stellung in der erbittersten Weise von den aufgebrachten Afghanen
angegriffen; die Engländer sind ausschließlich in der Defensive geblieben.


täglich Räubereien verübte, bereits mit zwei benachbarten Stämmen in Ver¬
bindung getreten sei und wenn man nicht aggressiv vorgehe, eine Vereinigung
der sämmtlichen umliegenden Gebirgsvölker gegen die englische Negierung zu
befürchten stehe. Diese Gründe wirkten. Es wurde eine Truppe von 3000
Mann Infanterie nebst der entsprechenden Artillerie und Reiterei eilfertig
zur Disposition gestellt und trotz der Warnungen des Oberstkommandirenden
in Indien. Sir Hugh Rose, der diese Kräfte für nicht ausreichend erachtete, beschlos¬
sen, schleunigst zu agiren. Die Campagne war auf eine Dauer von drei Wochen
veranschlagt. Man wollte durch einen Flankenmarsch ein enges felsiges Ge¬
birgsthal aufwärts dringen, die hinter dem Thal belegene Hochebene besetzen,
dadurch den Zuzug der benachbarten Stämme zu den zu schlagenden Sec-
tirern absperren, dann eine Rechtsschwenkung machen, den Gebirgszug hinauf¬
steigen und die feindlichen Ortschaften im Rücken fassen, diese zerstören und
dann sofort wieder abmarschiren. Der Plan war nicht übel, aber die un¬
glückliche seit dem Krimkriege nicht geänderte Einrichtung des Transport¬
wesens machte in der Folge die Ausführung unmöglich. Es ist bekannt,
in wie unendlich schwerfälliger Weise die englischen Truppen in Indien
marschiren; ihr Troß übersteigt regelmäßig bei weitem die Zahl der Kämpfer.
Dies war auch hier in einem gemäßigteren Klima und einer kühlen Jahres¬
zeit wieder der Fall. Man verlor die erste Hälfte des Oetober 1862 mit
dem langsamen Zusammenziehen der Regimenter und ließ den Afghanen Zeit,
ihre Vorkehrungen zu treffen. Am 20. rückte der General Chamberlain in
den als Weg ausgesuchten Umbeyla-Paß ein, aber statt mit aller Energie
sofort auf die Hochebene durchzudringen, mußte er am Abend des ersten
Tages vor dem Ende des Passes in dem engen Thal zwischen sechstausend
Fuß hohen Bergrücken halt machen, weil der unendliche Troß das felsige
Bett des im Thalwege fließenden Baches, die einzige Straße, sperrte. Auch
zwei Tage später kam er nicht vorwärts. Eine thalaufwärts gemachte Re-
cognoscirung zeigte hier bereits das ganze Land in Bewegung. Am 23.
war er gezwungen sich in der ersten Stellung zu verschanzen, Brustwehren
vor seiner Front aufzuwerfen, seine Flanken, die Bergwände links und rechts
aufwärts durch starke Posten, die er später Felsengipfel und Adlernest genannt
hat, zu sichern und auch diese zu befestigen.

Es klingt unglaublich, aber in dieser eigentlich unmöglichen Position,
die von allen Seiten eingesehen und flankirt werden konnte, ist er einen Monat
lang von irregulären, in keiner Weise organisirten und schlecht bewaffneten Leu-
ten aufgehalten worden, welche die Engländer selbst Barbaren genannt haben.
Bei Tag und bei Nacht, bald in der Front, bald in den Flanken wurde
die Stellung in der erbittersten Weise von den aufgebrachten Afghanen
angegriffen; die Engländer sind ausschließlich in der Defensive geblieben.


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[0141] täglich Räubereien verübte, bereits mit zwei benachbarten Stämmen in Ver¬ bindung getreten sei und wenn man nicht aggressiv vorgehe, eine Vereinigung der sämmtlichen umliegenden Gebirgsvölker gegen die englische Negierung zu befürchten stehe. Diese Gründe wirkten. Es wurde eine Truppe von 3000 Mann Infanterie nebst der entsprechenden Artillerie und Reiterei eilfertig zur Disposition gestellt und trotz der Warnungen des Oberstkommandirenden in Indien. Sir Hugh Rose, der diese Kräfte für nicht ausreichend erachtete, beschlos¬ sen, schleunigst zu agiren. Die Campagne war auf eine Dauer von drei Wochen veranschlagt. Man wollte durch einen Flankenmarsch ein enges felsiges Ge¬ birgsthal aufwärts dringen, die hinter dem Thal belegene Hochebene besetzen, dadurch den Zuzug der benachbarten Stämme zu den zu schlagenden Sec- tirern absperren, dann eine Rechtsschwenkung machen, den Gebirgszug hinauf¬ steigen und die feindlichen Ortschaften im Rücken fassen, diese zerstören und dann sofort wieder abmarschiren. Der Plan war nicht übel, aber die un¬ glückliche seit dem Krimkriege nicht geänderte Einrichtung des Transport¬ wesens machte in der Folge die Ausführung unmöglich. Es ist bekannt, in wie unendlich schwerfälliger Weise die englischen Truppen in Indien marschiren; ihr Troß übersteigt regelmäßig bei weitem die Zahl der Kämpfer. Dies war auch hier in einem gemäßigteren Klima und einer kühlen Jahres¬ zeit wieder der Fall. Man verlor die erste Hälfte des Oetober 1862 mit dem langsamen Zusammenziehen der Regimenter und ließ den Afghanen Zeit, ihre Vorkehrungen zu treffen. Am 20. rückte der General Chamberlain in den als Weg ausgesuchten Umbeyla-Paß ein, aber statt mit aller Energie sofort auf die Hochebene durchzudringen, mußte er am Abend des ersten Tages vor dem Ende des Passes in dem engen Thal zwischen sechstausend Fuß hohen Bergrücken halt machen, weil der unendliche Troß das felsige Bett des im Thalwege fließenden Baches, die einzige Straße, sperrte. Auch zwei Tage später kam er nicht vorwärts. Eine thalaufwärts gemachte Re- cognoscirung zeigte hier bereits das ganze Land in Bewegung. Am 23. war er gezwungen sich in der ersten Stellung zu verschanzen, Brustwehren vor seiner Front aufzuwerfen, seine Flanken, die Bergwände links und rechts aufwärts durch starke Posten, die er später Felsengipfel und Adlernest genannt hat, zu sichern und auch diese zu befestigen. Es klingt unglaublich, aber in dieser eigentlich unmöglichen Position, die von allen Seiten eingesehen und flankirt werden konnte, ist er einen Monat lang von irregulären, in keiner Weise organisirten und schlecht bewaffneten Leu- ten aufgehalten worden, welche die Engländer selbst Barbaren genannt haben. Bei Tag und bei Nacht, bald in der Front, bald in den Flanken wurde die Stellung in der erbittersten Weise von den aufgebrachten Afghanen angegriffen; die Engländer sind ausschließlich in der Defensive geblieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/141>, abgerufen am 02.07.2024.