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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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seinem Thier, die Luntenflinte auf dem Rücken, folgt, durch den Wachtthurm,
der von einer Anzahl Bewaffneter besetzt ist, welche die wachsenden Saaten be¬
schützen sollen und durch die Hausen von Steinen, die in allen Richtungen
sichtbar sind und die Stätte irgend einer Blutthat bezeichnen."

Die Engländer haben diesen Stämmen gegenüber immer Neutralität
bewahrt und sind über ihre eigenen Grenzen angriffsweise nur dann hinaus¬
gegangen, wenn ihre Räubereien eine Vergeltung dringend erforderten. Trotz¬
dem werden sie von jenen- Bergen fortwährend argwöhnisch beobachtet.
Seitdem in diesem Gebiete im letzten Jahrhundert eine muhamedanische Dy¬
nastie nach der andern entthront wurde, seitdem die Länder, welche früher
als der Tummelplatz afghanischer Heerzüge galten, unter englischem Scepter
stehen, hat sich die Abneignung der Gebirgsvölker gegen die so veränderten
Verhältnisse mehr und mehr verstärkt und es genügt jetzt nur ein geringer
Anlaß, um dieselben, die gewissermaßen den Vortrapp von Centralasien
bilden, gegen die Engländer geeinigt ins Feld zu bringen. Es ist den Eng¬
ländern noch nicht gelungen, irgend welche Verbindung in dem Gebirgsland
anzuknüpfen.

Das beweist der Verlauf jenes dreimonatlichen Kampfes im Jahre 1863.

Eine muhamedctnische Secte von streng religiöser Richtung, deren Stifter
im Anfange des Jahrhunderts in Mekka gewesen war und dort die purita¬
nischen Doctrinen der gerade damals besonders mächtigen Ouabiten in sich
aufgenommen hatte, war wenige Meilen von Peshawur selbst auf dem
Sitanaberge, einem hohen und bewaldeten Gebirgsrücken angesiedelt, der
weit in das Jndusthal vorspringt und wie ein außenliegendes Forts die
Straße nach Peshawur und den Indus selbst beherrscht. Sie rekrutirte sich
aus den verwegensten Köpfen weit in das Land hinein bis nach Bengalen
hin und übte durch ihre religiösen Leiter auch Einfluß auf die fern
hinter ihr nach Westen zu wohnenden Stämme. Im Jahre 1829 gewann
sie solche Ausdehnung, daß sie Peshawur selbst erobern konnte; damit war
aber ihrer Entwicklung ein Ziel gesetzt. Ein Jahr später ermannte sich der
damalige Herrscher des Laboolthales, trieb sie zu Paaren und tödtete. im
offenen Gefechte ihren Führer. Von dieser Zeit an auf das Gebirge beschränkt,
blieb die Secte durch ihre Räubereien eine Plage des offenen Landes und
mußte wiederholt durch englische Expeditionen zur Ruhe gebracht werden.
Die letzte war im Jahre 1858 erfolgt, hatte aber, obwohl die Gegner nur
einige Tausend kampffähige Leute zählten, einen solchen Aufwand an militä¬
rischen Kräften erfordert, daß die Engländer sich scheuten, ohne ernsten An¬
laß mit ihnen von neuem anzubinden. Lord Elgin, der damalige General¬
gouvemeur von Indien, war im Princip gegen jede Wiederaufnahme der
Feindseligkeiten, es wurde ihm aber vorgestellt, daß die Sitanasecte, welche


seinem Thier, die Luntenflinte auf dem Rücken, folgt, durch den Wachtthurm,
der von einer Anzahl Bewaffneter besetzt ist, welche die wachsenden Saaten be¬
schützen sollen und durch die Hausen von Steinen, die in allen Richtungen
sichtbar sind und die Stätte irgend einer Blutthat bezeichnen."

Die Engländer haben diesen Stämmen gegenüber immer Neutralität
bewahrt und sind über ihre eigenen Grenzen angriffsweise nur dann hinaus¬
gegangen, wenn ihre Räubereien eine Vergeltung dringend erforderten. Trotz¬
dem werden sie von jenen- Bergen fortwährend argwöhnisch beobachtet.
Seitdem in diesem Gebiete im letzten Jahrhundert eine muhamedanische Dy¬
nastie nach der andern entthront wurde, seitdem die Länder, welche früher
als der Tummelplatz afghanischer Heerzüge galten, unter englischem Scepter
stehen, hat sich die Abneignung der Gebirgsvölker gegen die so veränderten
Verhältnisse mehr und mehr verstärkt und es genügt jetzt nur ein geringer
Anlaß, um dieselben, die gewissermaßen den Vortrapp von Centralasien
bilden, gegen die Engländer geeinigt ins Feld zu bringen. Es ist den Eng¬
ländern noch nicht gelungen, irgend welche Verbindung in dem Gebirgsland
anzuknüpfen.

Das beweist der Verlauf jenes dreimonatlichen Kampfes im Jahre 1863.

Eine muhamedctnische Secte von streng religiöser Richtung, deren Stifter
im Anfange des Jahrhunderts in Mekka gewesen war und dort die purita¬
nischen Doctrinen der gerade damals besonders mächtigen Ouabiten in sich
aufgenommen hatte, war wenige Meilen von Peshawur selbst auf dem
Sitanaberge, einem hohen und bewaldeten Gebirgsrücken angesiedelt, der
weit in das Jndusthal vorspringt und wie ein außenliegendes Forts die
Straße nach Peshawur und den Indus selbst beherrscht. Sie rekrutirte sich
aus den verwegensten Köpfen weit in das Land hinein bis nach Bengalen
hin und übte durch ihre religiösen Leiter auch Einfluß auf die fern
hinter ihr nach Westen zu wohnenden Stämme. Im Jahre 1829 gewann
sie solche Ausdehnung, daß sie Peshawur selbst erobern konnte; damit war
aber ihrer Entwicklung ein Ziel gesetzt. Ein Jahr später ermannte sich der
damalige Herrscher des Laboolthales, trieb sie zu Paaren und tödtete. im
offenen Gefechte ihren Führer. Von dieser Zeit an auf das Gebirge beschränkt,
blieb die Secte durch ihre Räubereien eine Plage des offenen Landes und
mußte wiederholt durch englische Expeditionen zur Ruhe gebracht werden.
Die letzte war im Jahre 1858 erfolgt, hatte aber, obwohl die Gegner nur
einige Tausend kampffähige Leute zählten, einen solchen Aufwand an militä¬
rischen Kräften erfordert, daß die Engländer sich scheuten, ohne ernsten An¬
laß mit ihnen von neuem anzubinden. Lord Elgin, der damalige General¬
gouvemeur von Indien, war im Princip gegen jede Wiederaufnahme der
Feindseligkeiten, es wurde ihm aber vorgestellt, daß die Sitanasecte, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/140>, abgerufen am 02.07.2024.