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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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zur Rüstungs- und Budgetfrage in den wahren Meinungen dieser Männer
begründet oder durch Rücksichten auf die öffentliche Meinung bedingt war,
darauf kommt im letzten Grunde eigentlich wenig an; in dem einen wie im
andern Fall haben sie das Verhalten ihres Gouvernements wenigstens indirekt
gerechtfertigt und dadurch ihre eigene Versicherung, daß eine parlamentarische
Regierung die Dinge besser machen werde, Lügen gestraft. Der von ihnen
durchgesetzte Abstrich von 1 Million Franken ist am Ende nicht der Rede
werth. Ist man in beiden Lagern der Meinung, daß Frankreichs Ruhe und
Sicherheit nicht von den inneren Zuständen des Landes, sondern von der
Rolle abhängig ist, welche dieser Staat in der großen Politik spielt, so ist
damit zugleich gesagt, daß die Zeit sür eine parlamentarische Regierung noch
nicht gekommen ist. Sollte die gegenwärtige Schaukelpolitik Napoleons III.
wirklich geschlagen und moralisch unmöglich gemacht werden, so mußte die
Nothwendigkeit einer sofortigen Aenderung derselben nachgewiesen und be¬
kannt -- nicht statt dessen bis zum Ueberdruß wiederholt werden: Wenn wir in den
Geschäften gewesen wären, so wäre es niemals so weit gekommen! Wo soll der
Glaube an die Heilkraft des Parlamentarismus herkommen, wenn seine eigenen
Vertreter aus Furcht vor der nationalen Eitelkeit der Massen und der
inneren Fäulniß des Staats nicht im Stande sind, die Grundlinien eines
Systems zu entwerfen, das auf eine friedliche und liberale Politik begründet
ist, seine Ausgaben nach den Einnahmen bemißt und keine andere causa wovens
als die Rücksicht auf das eingebildete Prestige hat? So lange von der
Opposition nicht offen mit den ehrgeizigen Zielen der gegenwärtigen
Regierung gebrochen wird, kann die erfolgreiche Kritik der angewandten Mittel
nimmermehr dazu führen, einen Umschwung herbeizuführen und in der Nation
die Hoffnung zu erwecken, daß eine parlamentarische Regierung besser und
wohlfeiler wäre, als die i" jedem Sinne unverantwortliche des Kaisers.

Wie es um das Vertrauen der Massen zu der Partei der Bourgeoisie
und des Parlamentarismus bestellt sei, dafür ist noch in den letzten Tagen
ein schlagendes Beispiel angeführt worden. Die Kölnische Zeitung brachte
einen ausführlichen Bericht über die Stimmung der Pariser Arbeiter¬
bevölkerung und die Aussichten, welche die Opposition bezüglich dieser für
die nächsten Wahlen habe. Es stimmt vollständig zu allem, was wir sonst
von diesem wichtigen Bruchtheil des französischen Volks wissen, wenn be-
richtet wird, daß derselbe lieber auf eigene Hand eine Art officiösen Socialismus
treibe, als mit den wui-göois gemeinschaftliche Sache mache. Auch die
Tumulte unter dem Landvolk verschiedener Departements, welche in den
ersten Juni- und Juliwochen wiederholt Aufmerksamkeit erregten, haben mit
der Unzufriedenheit der gebildeten und policisirenden Classen absolut Nichts
zu thun. Diese führen eine so isolirte Existenz, daß ihre Leiden und Freuden


zur Rüstungs- und Budgetfrage in den wahren Meinungen dieser Männer
begründet oder durch Rücksichten auf die öffentliche Meinung bedingt war,
darauf kommt im letzten Grunde eigentlich wenig an; in dem einen wie im
andern Fall haben sie das Verhalten ihres Gouvernements wenigstens indirekt
gerechtfertigt und dadurch ihre eigene Versicherung, daß eine parlamentarische
Regierung die Dinge besser machen werde, Lügen gestraft. Der von ihnen
durchgesetzte Abstrich von 1 Million Franken ist am Ende nicht der Rede
werth. Ist man in beiden Lagern der Meinung, daß Frankreichs Ruhe und
Sicherheit nicht von den inneren Zuständen des Landes, sondern von der
Rolle abhängig ist, welche dieser Staat in der großen Politik spielt, so ist
damit zugleich gesagt, daß die Zeit sür eine parlamentarische Regierung noch
nicht gekommen ist. Sollte die gegenwärtige Schaukelpolitik Napoleons III.
wirklich geschlagen und moralisch unmöglich gemacht werden, so mußte die
Nothwendigkeit einer sofortigen Aenderung derselben nachgewiesen und be¬
kannt — nicht statt dessen bis zum Ueberdruß wiederholt werden: Wenn wir in den
Geschäften gewesen wären, so wäre es niemals so weit gekommen! Wo soll der
Glaube an die Heilkraft des Parlamentarismus herkommen, wenn seine eigenen
Vertreter aus Furcht vor der nationalen Eitelkeit der Massen und der
inneren Fäulniß des Staats nicht im Stande sind, die Grundlinien eines
Systems zu entwerfen, das auf eine friedliche und liberale Politik begründet
ist, seine Ausgaben nach den Einnahmen bemißt und keine andere causa wovens
als die Rücksicht auf das eingebildete Prestige hat? So lange von der
Opposition nicht offen mit den ehrgeizigen Zielen der gegenwärtigen
Regierung gebrochen wird, kann die erfolgreiche Kritik der angewandten Mittel
nimmermehr dazu führen, einen Umschwung herbeizuführen und in der Nation
die Hoffnung zu erwecken, daß eine parlamentarische Regierung besser und
wohlfeiler wäre, als die i» jedem Sinne unverantwortliche des Kaisers.

Wie es um das Vertrauen der Massen zu der Partei der Bourgeoisie
und des Parlamentarismus bestellt sei, dafür ist noch in den letzten Tagen
ein schlagendes Beispiel angeführt worden. Die Kölnische Zeitung brachte
einen ausführlichen Bericht über die Stimmung der Pariser Arbeiter¬
bevölkerung und die Aussichten, welche die Opposition bezüglich dieser für
die nächsten Wahlen habe. Es stimmt vollständig zu allem, was wir sonst
von diesem wichtigen Bruchtheil des französischen Volks wissen, wenn be-
richtet wird, daß derselbe lieber auf eigene Hand eine Art officiösen Socialismus
treibe, als mit den wui-göois gemeinschaftliche Sache mache. Auch die
Tumulte unter dem Landvolk verschiedener Departements, welche in den
ersten Juni- und Juliwochen wiederholt Aufmerksamkeit erregten, haben mit
der Unzufriedenheit der gebildeten und policisirenden Classen absolut Nichts
zu thun. Diese führen eine so isolirte Existenz, daß ihre Leiden und Freuden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/131>, abgerufen am 02.07.2024.