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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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tragen. Herrn Thiers Ausführungen darüber, daß mit dem wirklichen Verhält¬
niß zwischen Einnahmen und Ausgaben Versteck gespielt, der wahre Sach¬
verhalt durch die complicirte Art der Rechnungsablegung künstlich verhüllt
und verwirrt werde, gehören zu den glänzendsten oratorischen Thaten des be¬
rühmten Redners, Jules Favres kühner Ausspruch "Frankreich sei nicht reich
genug, um das Kaiserreich zu bezahlen" wird trotz des Ordnungsrufs und
der Antworten Rouhers noch lange wiederhallen, und Ollivier hat den Nagel
auf den Kopf getroffen, als er sagte "die Regierung will Alles zugleich
thun -- sie will zugleich die Hilfsquellen des Friedens und die des Krieges
entwickeln, sie kann sich von ihrem Erbfeinde, dem Eigensinn in der Unent-
schlossenheit nicht frei machen." Sobald es sich aber darum handelte, ein
positives Program für die auswärtige Politik aufzustellen und damit den
Grundstein für eine Revision des Budgets zu legen, war es mit der Ent¬
schlossenheit der kühnen Sprecher zu Ende, stellten sich dieselben auf einen
Standpunkt, der von dem der Niet, Rouher und Magne kaum zu unterschei¬
den ist. Thiers, der noch eben gesagt hatte, das Wiedererwachen des Sorti-
ment Meral in Deutschland könne nicht besser als durch eine friedliche Hal¬
tung Frankreichs gepflegt werden, erklärte den Bestand der aktiven Armee
lieber erhöhen als herabsetzen zu wollen, und Favre sprach sich so entschieden
gegen jede Duldung ^mer gewaltsamen Lösung der deutschen Einheitsfrage aus,
daß Marquis de Moustier ihn mit Recht als Gesinnungsgenossen begrüßen konnte.
Gegen die stereotype Clausel der Rouherschen Friedensversicherungen "so lange
unsere Würde, unsere Ehre und unser Einfluß nicht beeinträchtigt erscheinen"
hatte auch die Opposition nichts Wesentliches einzuwenden und ">>>i einzigen,
Ollivier ausgenommen, hat sich keiner der Gegner des gegenwärtigen fran¬
zösischen Cabinets zu einer rücksichts- und bedingungslosen Anerkennung des
Selbstbestimmungsrechts der Deutschen erhoben -- im Gegentheil hat Olli¬
vier seine bezüglichen Aeußerungen minder klar und und entschieden formulirt,
als es im vorigen Herbst der Fall war.

Bei der wachsenden UnPopularität des gegenwärtigen Systems werden
die oppositionellen Angriffe gegen das Bügel für eine Zeit lang sicher ihre
Dienste thun, -- der Eindruck den die Franzosen von der letzten Debatte
im Großen und Ganzen davongetragen, muß aber doch der sein, daß die
auswärtige Politik ihrer Regierung auch nach dem Zeugniß der Gegner die
unter den gegebenen Umständen wenn nicht allein mögliche, so doch rath¬
samste sei -- mit einem Worte gesagt, daß die Regierung in der Hauptsache
Recht habe. -- Wie es anders zu machen sei, haben gerade Diejenigen am
wenigsten zu sagen gewußt, welche ihre Reden mit der Versicherung, daß
es anders werden müsse, anfingen und beschlossen. Ob die von Favre
und Thiers eingenommene Stellung zu den deutschen Dingen und damit


tragen. Herrn Thiers Ausführungen darüber, daß mit dem wirklichen Verhält¬
niß zwischen Einnahmen und Ausgaben Versteck gespielt, der wahre Sach¬
verhalt durch die complicirte Art der Rechnungsablegung künstlich verhüllt
und verwirrt werde, gehören zu den glänzendsten oratorischen Thaten des be¬
rühmten Redners, Jules Favres kühner Ausspruch „Frankreich sei nicht reich
genug, um das Kaiserreich zu bezahlen" wird trotz des Ordnungsrufs und
der Antworten Rouhers noch lange wiederhallen, und Ollivier hat den Nagel
auf den Kopf getroffen, als er sagte „die Regierung will Alles zugleich
thun — sie will zugleich die Hilfsquellen des Friedens und die des Krieges
entwickeln, sie kann sich von ihrem Erbfeinde, dem Eigensinn in der Unent-
schlossenheit nicht frei machen." Sobald es sich aber darum handelte, ein
positives Program für die auswärtige Politik aufzustellen und damit den
Grundstein für eine Revision des Budgets zu legen, war es mit der Ent¬
schlossenheit der kühnen Sprecher zu Ende, stellten sich dieselben auf einen
Standpunkt, der von dem der Niet, Rouher und Magne kaum zu unterschei¬
den ist. Thiers, der noch eben gesagt hatte, das Wiedererwachen des Sorti-
ment Meral in Deutschland könne nicht besser als durch eine friedliche Hal¬
tung Frankreichs gepflegt werden, erklärte den Bestand der aktiven Armee
lieber erhöhen als herabsetzen zu wollen, und Favre sprach sich so entschieden
gegen jede Duldung ^mer gewaltsamen Lösung der deutschen Einheitsfrage aus,
daß Marquis de Moustier ihn mit Recht als Gesinnungsgenossen begrüßen konnte.
Gegen die stereotype Clausel der Rouherschen Friedensversicherungen „so lange
unsere Würde, unsere Ehre und unser Einfluß nicht beeinträchtigt erscheinen"
hatte auch die Opposition nichts Wesentliches einzuwenden und ">>>i einzigen,
Ollivier ausgenommen, hat sich keiner der Gegner des gegenwärtigen fran¬
zösischen Cabinets zu einer rücksichts- und bedingungslosen Anerkennung des
Selbstbestimmungsrechts der Deutschen erhoben — im Gegentheil hat Olli¬
vier seine bezüglichen Aeußerungen minder klar und und entschieden formulirt,
als es im vorigen Herbst der Fall war.

Bei der wachsenden UnPopularität des gegenwärtigen Systems werden
die oppositionellen Angriffe gegen das Bügel für eine Zeit lang sicher ihre
Dienste thun, — der Eindruck den die Franzosen von der letzten Debatte
im Großen und Ganzen davongetragen, muß aber doch der sein, daß die
auswärtige Politik ihrer Regierung auch nach dem Zeugniß der Gegner die
unter den gegebenen Umständen wenn nicht allein mögliche, so doch rath¬
samste sei — mit einem Worte gesagt, daß die Regierung in der Hauptsache
Recht habe. — Wie es anders zu machen sei, haben gerade Diejenigen am
wenigsten zu sagen gewußt, welche ihre Reden mit der Versicherung, daß
es anders werden müsse, anfingen und beschlossen. Ob die von Favre
und Thiers eingenommene Stellung zu den deutschen Dingen und damit


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[0130] tragen. Herrn Thiers Ausführungen darüber, daß mit dem wirklichen Verhält¬ niß zwischen Einnahmen und Ausgaben Versteck gespielt, der wahre Sach¬ verhalt durch die complicirte Art der Rechnungsablegung künstlich verhüllt und verwirrt werde, gehören zu den glänzendsten oratorischen Thaten des be¬ rühmten Redners, Jules Favres kühner Ausspruch „Frankreich sei nicht reich genug, um das Kaiserreich zu bezahlen" wird trotz des Ordnungsrufs und der Antworten Rouhers noch lange wiederhallen, und Ollivier hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als er sagte „die Regierung will Alles zugleich thun — sie will zugleich die Hilfsquellen des Friedens und die des Krieges entwickeln, sie kann sich von ihrem Erbfeinde, dem Eigensinn in der Unent- schlossenheit nicht frei machen." Sobald es sich aber darum handelte, ein positives Program für die auswärtige Politik aufzustellen und damit den Grundstein für eine Revision des Budgets zu legen, war es mit der Ent¬ schlossenheit der kühnen Sprecher zu Ende, stellten sich dieselben auf einen Standpunkt, der von dem der Niet, Rouher und Magne kaum zu unterschei¬ den ist. Thiers, der noch eben gesagt hatte, das Wiedererwachen des Sorti- ment Meral in Deutschland könne nicht besser als durch eine friedliche Hal¬ tung Frankreichs gepflegt werden, erklärte den Bestand der aktiven Armee lieber erhöhen als herabsetzen zu wollen, und Favre sprach sich so entschieden gegen jede Duldung ^mer gewaltsamen Lösung der deutschen Einheitsfrage aus, daß Marquis de Moustier ihn mit Recht als Gesinnungsgenossen begrüßen konnte. Gegen die stereotype Clausel der Rouherschen Friedensversicherungen „so lange unsere Würde, unsere Ehre und unser Einfluß nicht beeinträchtigt erscheinen" hatte auch die Opposition nichts Wesentliches einzuwenden und ">>>i einzigen, Ollivier ausgenommen, hat sich keiner der Gegner des gegenwärtigen fran¬ zösischen Cabinets zu einer rücksichts- und bedingungslosen Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen erhoben — im Gegentheil hat Olli¬ vier seine bezüglichen Aeußerungen minder klar und und entschieden formulirt, als es im vorigen Herbst der Fall war. Bei der wachsenden UnPopularität des gegenwärtigen Systems werden die oppositionellen Angriffe gegen das Bügel für eine Zeit lang sicher ihre Dienste thun, — der Eindruck den die Franzosen von der letzten Debatte im Großen und Ganzen davongetragen, muß aber doch der sein, daß die auswärtige Politik ihrer Regierung auch nach dem Zeugniß der Gegner die unter den gegebenen Umständen wenn nicht allein mögliche, so doch rath¬ samste sei — mit einem Worte gesagt, daß die Regierung in der Hauptsache Recht habe. — Wie es anders zu machen sei, haben gerade Diejenigen am wenigsten zu sagen gewußt, welche ihre Reden mit der Versicherung, daß es anders werden müsse, anfingen und beschlossen. Ob die von Favre und Thiers eingenommene Stellung zu den deutschen Dingen und damit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/130>, abgerufen am 02.07.2024.