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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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der Vertreter der Großmächte über die in den römischen Staaten einzufüh¬
renden Reformen. Bunsen nahm bei seiner eingehenden Kenntniß der Ver¬
hältnisse hervorragenden Antheil an denselben und verfaßte die Denk¬
schrift, in welcher der päpstlichen Regierung empfohlen ward, ein System
bürgerlicher Verwaltung gegründet auf Gemeindefreiheit anzunehmen. Die
Denkschrift erkannte an, daß eine konstitutionelle Negierung unverträglich
mit dem Prinzip des Papstthums sei und gründete deshalb die Reform auf
frei gewählte Gemeinde- und Provinzialräthe. Dies System empfahl sich um
so mehr, als die große Mehrheit der römischen Bevölkerung in Städten
lebt und fast jede Stadt früher ein Statut hatte, welches die Frucht von
hundertjährigen Erfahrungen war und sich leicht nach dem Bedürfniß der
Neuzeit hätte abändern lassen. Ueber dieser Localbehörde sollte in Rom eine
Consulta stehen, um mit berathender Stimme dem Papste zur Seite zu treten,
dessen absolute Autorität so gewahrt blieb. Alle Collegen Bunsens traten
diesem Vorschlag bei und die päpstliche Regierung selbst erklärte sich so offen für
eine derartige Reform, daß der Staatssecretär Bernetti alle Vorbereitungen für
die Ausführung traf. Der Plan fiel jedoch durch die Erklärung des Kaisers von
Oestreich, daß die Wahl der Municipalitäten durch die Bevölkerungen gestrichen
werden müsse, zu Boden. Wenn in Bologna ein Ausschuß gewählt würde,
so sei es unmöglich, dasselbe in Mailand zu verweigern. Ein Wahlsystem
wäre aber unverträglich mit den Grundsätzen, nach denen das kaiserliche Haus
entschlossen sei, das lombardisch. venetianische Königreich zu regieren! Das
Projekt macht B. alle Ehre, weil es mit staatsmännischem Scharfsinn den
einzigen Weg erkannte, welcher dem Papst zur Reform offen stand und den
auch Pius VII. bei seiner Thronbesteigung beschritt.

Mehr als diese allgemeine Angelegenheit nahm Bunsen bald eine Frage
in Anspruch, die schließlich verhängnißvoll für ihn werden sollte: die der ge¬
mischten Ehen. Er hatte früher mehrfach zur Regelung gerathen, als noch
versönhnliche Dispositionen in Rom herrschten. Aber die Trägheit der ber¬
liner Ministerien hatte die Sache anzugreifen gescheut; außerdem ward Bun¬
sen dem noch herrschenden Rationalismus als Kryptokatholik verdächtigt!
Er drang endlich 1828 soweit durch, daß ihm Ermächtigung zu Verhand¬
lungen gegeben ward, welche zu einem päpstlichen Breve von 1830 führten,
durch das den ka'tholischen Priestern die passive Assistenz bei der Heirath ge¬
stattet wurde, auch wenn der andersgläubige Theil nicht versprechen wollte,
daß alle Kinder katholisch werden sollten. Dies Breve diente dann zur
Grundlage einer Convention, welche Bunsen 1834 im Auftrage der Re¬
gierung mit dem Erzbischof von Cöln schloß und in der preußischer Seits
merkwürdiger Weise die Aufhebung der im Rheinland herrschenden Civilehe
zugesagt ward. -- Alles schien geordnet und Bunsen reiste guter Dinge nach


der Vertreter der Großmächte über die in den römischen Staaten einzufüh¬
renden Reformen. Bunsen nahm bei seiner eingehenden Kenntniß der Ver¬
hältnisse hervorragenden Antheil an denselben und verfaßte die Denk¬
schrift, in welcher der päpstlichen Regierung empfohlen ward, ein System
bürgerlicher Verwaltung gegründet auf Gemeindefreiheit anzunehmen. Die
Denkschrift erkannte an, daß eine konstitutionelle Negierung unverträglich
mit dem Prinzip des Papstthums sei und gründete deshalb die Reform auf
frei gewählte Gemeinde- und Provinzialräthe. Dies System empfahl sich um
so mehr, als die große Mehrheit der römischen Bevölkerung in Städten
lebt und fast jede Stadt früher ein Statut hatte, welches die Frucht von
hundertjährigen Erfahrungen war und sich leicht nach dem Bedürfniß der
Neuzeit hätte abändern lassen. Ueber dieser Localbehörde sollte in Rom eine
Consulta stehen, um mit berathender Stimme dem Papste zur Seite zu treten,
dessen absolute Autorität so gewahrt blieb. Alle Collegen Bunsens traten
diesem Vorschlag bei und die päpstliche Regierung selbst erklärte sich so offen für
eine derartige Reform, daß der Staatssecretär Bernetti alle Vorbereitungen für
die Ausführung traf. Der Plan fiel jedoch durch die Erklärung des Kaisers von
Oestreich, daß die Wahl der Municipalitäten durch die Bevölkerungen gestrichen
werden müsse, zu Boden. Wenn in Bologna ein Ausschuß gewählt würde,
so sei es unmöglich, dasselbe in Mailand zu verweigern. Ein Wahlsystem
wäre aber unverträglich mit den Grundsätzen, nach denen das kaiserliche Haus
entschlossen sei, das lombardisch. venetianische Königreich zu regieren! Das
Projekt macht B. alle Ehre, weil es mit staatsmännischem Scharfsinn den
einzigen Weg erkannte, welcher dem Papst zur Reform offen stand und den
auch Pius VII. bei seiner Thronbesteigung beschritt.

Mehr als diese allgemeine Angelegenheit nahm Bunsen bald eine Frage
in Anspruch, die schließlich verhängnißvoll für ihn werden sollte: die der ge¬
mischten Ehen. Er hatte früher mehrfach zur Regelung gerathen, als noch
versönhnliche Dispositionen in Rom herrschten. Aber die Trägheit der ber¬
liner Ministerien hatte die Sache anzugreifen gescheut; außerdem ward Bun¬
sen dem noch herrschenden Rationalismus als Kryptokatholik verdächtigt!
Er drang endlich 1828 soweit durch, daß ihm Ermächtigung zu Verhand¬
lungen gegeben ward, welche zu einem päpstlichen Breve von 1830 führten,
durch das den ka'tholischen Priestern die passive Assistenz bei der Heirath ge¬
stattet wurde, auch wenn der andersgläubige Theil nicht versprechen wollte,
daß alle Kinder katholisch werden sollten. Dies Breve diente dann zur
Grundlage einer Convention, welche Bunsen 1834 im Auftrage der Re¬
gierung mit dem Erzbischof von Cöln schloß und in der preußischer Seits
merkwürdiger Weise die Aufhebung der im Rheinland herrschenden Civilehe
zugesagt ward. — Alles schien geordnet und Bunsen reiste guter Dinge nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/125>, abgerufen am 02.07.2024.