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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band.

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Sein Verhältniß zu Niebuhr ward bald ein sehr enges; gemeinsam
durchwanderten sie das alte und neue Rom, verbanden sich in Studien und
Forschungen, und als Brandis nach Deutschland zurückging, wurde Bunsen
der preußischen Gesandtschaft attachirt. Ein neues Band fesselte ihn, als er
sich bald darauf mit Miß Frances Waddington verheiratete. Bunsen stand
damals in der Blüte männlicher Schönheit; so konnte es nicht verwundern,
daß er auf Frances leicht Eindruck machte und der Familie seiner Braut
während eines längeren vertrauten Verkehrs in Frascati so lieb wurde, daß
die Eltern sich über seine äußerlich prekäre Stellung hinwegsetzten und ihm
gerne die Hand ihrer Tochter gaben. Das junge Paar siedelte sich auf dem
Capitol an und wenige Tage nach der Hochzeit schrieb Bunsen im Vollge¬
fühl seines Glückes den folgenden Herzenserguß: "Was ich in der Kind¬
heit gefühlt und ersehnt, was in den Jahren der Jugend in meiner Seele
klarer und klarer ward, das will ich jetzt versuchen festzuhalten, zu prüfen,
darzustellen. Deine Offenbarung, mein Gott, in den Arbeiten der Menschheit,
deinen festen Weg durch den Strom der Zeiten will ich erkennen und nach¬
weisen, soweit mir in diesem irdischen Leben vergönnt ist, den Lobgesang der
ganzen Menschheit auf dich in nahen und fernen Zeiten, die Mühen und
Klagen der Erde und ihren Trost in dir will ich kennen lernen. Sende du
mir den Geist der Wahrheit daß ich die irdischen Dinge sehen möge, wie sie
sind, ohne Schleier und Maske, ohne Falten und leere Zierrathen, damit
ich im stillen Frieden der Wahrheit dich fühlen und erkennen möge."

Bunsen sah seine Stellung bei der Gesandtschaft nur als Durchgangs¬
punkt an; er hatte sie angenommen, um den ihm unschätzbaren Umgang
Niebuhrs längere Zeit genießen zu können, aber er wünschte nach Deutsch¬
land zurückzukehren, um sich ganz wissenschaftlichen Studien zu widmen und
hatte seine Abreise für den Termin festgesetzt, wo Niebuhr sich von seinem
Posten zurückziehen wollte. Aber es sollte anders kommen. Nachdem manche
der bedeutenden Staatsmänner Preußens, wie Humboldt und Stein, Rom
in jener Zeit besucht, erschien Ende 1822 auch der König Friedrich Wil¬
helm III. mit zwei Söhnen. Bunsen diente als Führer bei den Wanderun¬
gen durch Rom und kam dadurch in nähere Verbindung mit dem König,
der an ihm Gefallen fand und sich für seine liturgischen Arbeiten und An¬
schauungen besonders interessirte. Unerwarteter Weise erhielt Bunsen eines
Morgens die Ernennung zum Legationsrath und bald darauf den Auftrag,
während Niebuhrs Abwesenheit als Geschäftsträger zu fungiren. Gegen¬
über diesen Beweisen der königlichen Gunst glaubte er nicht auf seinen
Plänen bestehen zu dürfen, übernahm die Geschäfte aber nur auf ein Jahr
bis zur Ernennung el.nes neuen Gesandten. In einem Briefe an seine Schwe¬
ster spricht er aufs neue seine Abneigung aus, in der diplomatischen Lauf-


Sein Verhältniß zu Niebuhr ward bald ein sehr enges; gemeinsam
durchwanderten sie das alte und neue Rom, verbanden sich in Studien und
Forschungen, und als Brandis nach Deutschland zurückging, wurde Bunsen
der preußischen Gesandtschaft attachirt. Ein neues Band fesselte ihn, als er
sich bald darauf mit Miß Frances Waddington verheiratete. Bunsen stand
damals in der Blüte männlicher Schönheit; so konnte es nicht verwundern,
daß er auf Frances leicht Eindruck machte und der Familie seiner Braut
während eines längeren vertrauten Verkehrs in Frascati so lieb wurde, daß
die Eltern sich über seine äußerlich prekäre Stellung hinwegsetzten und ihm
gerne die Hand ihrer Tochter gaben. Das junge Paar siedelte sich auf dem
Capitol an und wenige Tage nach der Hochzeit schrieb Bunsen im Vollge¬
fühl seines Glückes den folgenden Herzenserguß: „Was ich in der Kind¬
heit gefühlt und ersehnt, was in den Jahren der Jugend in meiner Seele
klarer und klarer ward, das will ich jetzt versuchen festzuhalten, zu prüfen,
darzustellen. Deine Offenbarung, mein Gott, in den Arbeiten der Menschheit,
deinen festen Weg durch den Strom der Zeiten will ich erkennen und nach¬
weisen, soweit mir in diesem irdischen Leben vergönnt ist, den Lobgesang der
ganzen Menschheit auf dich in nahen und fernen Zeiten, die Mühen und
Klagen der Erde und ihren Trost in dir will ich kennen lernen. Sende du
mir den Geist der Wahrheit daß ich die irdischen Dinge sehen möge, wie sie
sind, ohne Schleier und Maske, ohne Falten und leere Zierrathen, damit
ich im stillen Frieden der Wahrheit dich fühlen und erkennen möge."

Bunsen sah seine Stellung bei der Gesandtschaft nur als Durchgangs¬
punkt an; er hatte sie angenommen, um den ihm unschätzbaren Umgang
Niebuhrs längere Zeit genießen zu können, aber er wünschte nach Deutsch¬
land zurückzukehren, um sich ganz wissenschaftlichen Studien zu widmen und
hatte seine Abreise für den Termin festgesetzt, wo Niebuhr sich von seinem
Posten zurückziehen wollte. Aber es sollte anders kommen. Nachdem manche
der bedeutenden Staatsmänner Preußens, wie Humboldt und Stein, Rom
in jener Zeit besucht, erschien Ende 1822 auch der König Friedrich Wil¬
helm III. mit zwei Söhnen. Bunsen diente als Führer bei den Wanderun¬
gen durch Rom und kam dadurch in nähere Verbindung mit dem König,
der an ihm Gefallen fand und sich für seine liturgischen Arbeiten und An¬
schauungen besonders interessirte. Unerwarteter Weise erhielt Bunsen eines
Morgens die Ernennung zum Legationsrath und bald darauf den Auftrag,
während Niebuhrs Abwesenheit als Geschäftsträger zu fungiren. Gegen¬
über diesen Beweisen der königlichen Gunst glaubte er nicht auf seinen
Plänen bestehen zu dürfen, übernahm die Geschäfte aber nur auf ein Jahr
bis zur Ernennung el.nes neuen Gesandten. In einem Briefe an seine Schwe¬
ster spricht er aufs neue seine Abneigung aus, in der diplomatischen Lauf-


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[0123] Sein Verhältniß zu Niebuhr ward bald ein sehr enges; gemeinsam durchwanderten sie das alte und neue Rom, verbanden sich in Studien und Forschungen, und als Brandis nach Deutschland zurückging, wurde Bunsen der preußischen Gesandtschaft attachirt. Ein neues Band fesselte ihn, als er sich bald darauf mit Miß Frances Waddington verheiratete. Bunsen stand damals in der Blüte männlicher Schönheit; so konnte es nicht verwundern, daß er auf Frances leicht Eindruck machte und der Familie seiner Braut während eines längeren vertrauten Verkehrs in Frascati so lieb wurde, daß die Eltern sich über seine äußerlich prekäre Stellung hinwegsetzten und ihm gerne die Hand ihrer Tochter gaben. Das junge Paar siedelte sich auf dem Capitol an und wenige Tage nach der Hochzeit schrieb Bunsen im Vollge¬ fühl seines Glückes den folgenden Herzenserguß: „Was ich in der Kind¬ heit gefühlt und ersehnt, was in den Jahren der Jugend in meiner Seele klarer und klarer ward, das will ich jetzt versuchen festzuhalten, zu prüfen, darzustellen. Deine Offenbarung, mein Gott, in den Arbeiten der Menschheit, deinen festen Weg durch den Strom der Zeiten will ich erkennen und nach¬ weisen, soweit mir in diesem irdischen Leben vergönnt ist, den Lobgesang der ganzen Menschheit auf dich in nahen und fernen Zeiten, die Mühen und Klagen der Erde und ihren Trost in dir will ich kennen lernen. Sende du mir den Geist der Wahrheit daß ich die irdischen Dinge sehen möge, wie sie sind, ohne Schleier und Maske, ohne Falten und leere Zierrathen, damit ich im stillen Frieden der Wahrheit dich fühlen und erkennen möge." Bunsen sah seine Stellung bei der Gesandtschaft nur als Durchgangs¬ punkt an; er hatte sie angenommen, um den ihm unschätzbaren Umgang Niebuhrs längere Zeit genießen zu können, aber er wünschte nach Deutsch¬ land zurückzukehren, um sich ganz wissenschaftlichen Studien zu widmen und hatte seine Abreise für den Termin festgesetzt, wo Niebuhr sich von seinem Posten zurückziehen wollte. Aber es sollte anders kommen. Nachdem manche der bedeutenden Staatsmänner Preußens, wie Humboldt und Stein, Rom in jener Zeit besucht, erschien Ende 1822 auch der König Friedrich Wil¬ helm III. mit zwei Söhnen. Bunsen diente als Führer bei den Wanderun¬ gen durch Rom und kam dadurch in nähere Verbindung mit dem König, der an ihm Gefallen fand und sich für seine liturgischen Arbeiten und An¬ schauungen besonders interessirte. Unerwarteter Weise erhielt Bunsen eines Morgens die Ernennung zum Legationsrath und bald darauf den Auftrag, während Niebuhrs Abwesenheit als Geschäftsträger zu fungiren. Gegen¬ über diesen Beweisen der königlichen Gunst glaubte er nicht auf seinen Plänen bestehen zu dürfen, übernahm die Geschäfte aber nur auf ein Jahr bis zur Ernennung el.nes neuen Gesandten. In einem Briefe an seine Schwe¬ ster spricht er aufs neue seine Abneigung aus, in der diplomatischen Lauf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. I Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_286711/123>, abgerufen am 02.07.2024.